NDR-Programmausschuss

Sollte sich nicht auch im NDR die Diskussion besser auf die Qualitätsverbesserung des Angebotes konzentrieren,
statt den PISA-Effekt durch Verflachung zu unterstützen?

VORSCHLÄGE

• Zum Thema Quote
• Zum Thema Kosten
• Zum Thema Verbesserungen des Programms
• Zum Thema "Junge Hörer" und "Nachwuchsfindung"

PROF. W. STABENOW

An den
NDR-Rundfunkrat
Intendanz des NDR
Herrn Prof. Jobst Plog
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg

- Mit der Bitte um Weiterleitung an den Programmausschuss -

Hamburg, 27. Dezember 2004

Sehr geehrte Damen und Herren,

als langjährige NDR-III- und NDR-Kultur-Hörer befürchten wir, wie so viele andere, dass mit dem Namenswechsel der damit verbundene Anspruch nicht nur nicht eingelöst wird, sondern einem Prozess der Nivellierung an scheinbar quotenträchtigere Programme unterliegt. Tendenz: Berieselungsfunk oder kulturelles Häppchenbuffet ohne Speisekarte.

Der Fairness halber: nicht alles ist schlechter geworden seit dem Namenswechsel. Wir wünschen uns trotzdem, dass einige der folgenden Themen, die uns am Herzen liegen, Gegenstand Ihrer Programmdiskussion über das zukünftige Senderprojekt würden, mit dem Ziel, dass der NDR wieder an seinen alten Ruf anknüpfen kann.

Zunächst zum Thema Quote:

Das augenblickliche Bestreben, die Hörerquote angeblich um 1 % durch Popularisierung an die anderen privaten Kultursender anzugleichen, wird nur marginalen Erfolg haben. Andererseits bedeutet ein Prozent auch Zehntausende von echten Zuhörern und Zuhörerinnen. Die Tendenz zur Reduzierung z. B. des Musikangebotes auf kurze Stücke fast ausschließlich aus dem 18. und 19. Jahrhundert steht im krassen Widerspruch zum Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - vergleichbar mit anderen Bildungseinrichtungen, die von der Gesellschaft mit finanziert werden.

Wer käme auf die Idee, Schulunterricht nach Beliebtheitsmaßstäben zu organisieren? Anspruchsvolle Lehrfächer - voran die musischen - würden sofort aus den Lehrplänen verschwinden. Sollte sich nicht auch im NDR die Diskussion besser auf die Qualitätsverbesserung des Angebotes konzentrieren, statt den PISA-Effekt durch Verflachung zu unterstützen?

Eine wichtige Aufgabe müsste doch sein, vorrangig mit dem Programm um junge Hörer zu werben. Hier könnte die Diskussion einsetzen, den Begriff "Klassik" um neue Dimensionen zu erweitern. Metzmacher hat mit seinen Konzerten (und nicht nur am Jahreswechsel) die Hörerschaft deutlich verjüngt. Das sollte Mut machen. Warum nicht "klassischen" Jazz in seinem breiten Spektrum und - zumindest - die "klassische" Moderne des 20. Jahrhunderts bringen? "Who is (still) afraid of 20th Century Music?"

Zum Thema Kosten:

Bekanntermaßen ist eine anspruchsvolle Programmgestaltung arbeits- und kostenaufwendig, vor allem Sendungen mit durchgehender Moderation. Das gilt auch für die Einrichtung der NDR-Orchester von Weltgeltung, die keiner aufgeben möchte.

Der Kostenrahmen ist durch die Hörerbeiträge vorgegeben. Trotzdem wären Verbesserungsmaßnahmen und gleichermaßen Einsparungen denkbar. Es gibt im deutschsprachigen Raum viele "konkurrierende" Sender mit anspruchsvollen und zugleich beliebten Programmen, die sich hervorragend zum Austausch eignen würden.

Warum ist es nicht möglich, analog zur Idee des ARD-Nachtprogramms, das seine Farbigkeit den unterschiedlichen Beiträgen verschiedener Sender verdankt, ein NDR-Vormittagsprogramm im täglichen oder wöchentlichen Wechsel zu gestalten?

Das Angebot würde ohne zusätzliche Eigenproduktionen erweitert, zugleich bestünde die Chance, wieder ganze Werke zu hören.

Zum Thema Verbesserungen des Programms:

Als ein Gewinn werden die täglichen kurzen Kulturnachrichten angesehen, die teilweise von hohem Informationswert sind. Man wünschte sich eine Weiterentwicklung dieser Idee, z. B. die Einrichtung einer festen Sparte "Kritik" aktueller Theater- und Konzertaufführungen im Sendebereich, Kritik durchaus im Wettbewerb mit den aktuellen Tageszeitungen, vielleicht auch in Ergänzung, da diese häufig das kulturelle Angebot gar nicht bewältigen können.

Weiterhin unbedingt erhaltenswert sind die Sendungen "Wir lesen vor" (evtl. auch einen zusätzlichen Beitrag am Nachmittag, möglicherweise auch im Austausch mit anderen Sendern), das "Mittagsinterview", der "Veranstaltungskalender" und das sommerliche Festspielprogramm, das aber zeitlich erweitert werden könnte.

Zum Thema "Junge Hörer" und "Nachwuchsfindung":

Hier wären neue Angebote wünschenswert, vor allem spezielle Sendungen von und für junge Leute.

Denkbar ist die Zusammenarbeit mit den Musik(hoch)schulen, die viele ausgezeichnete Darbietungen (Opern und Konzerte) bieten, die es verdienen, einen größeren und jungen Zuhörerkreis zu finden.

Und last not least: Aufnahmen von Veranstaltungen von Literaturhäusern in den großen Städten, eine hervorragende Chance, Aktuelles und Zeitloses aus der Literaturszene zu vermitteln.

Diese Zeilen enthalten ein breites Spektrum von Wünschen und Anregungen, von denen sich viele sicherlich aus Kosten- oder Zeitgründen nicht kurzfristig erfüllen lassen werden. Gleichwohl können sie einen Anstoß geben, in Ihrem Hause die augenblicklichen Tendenzen im NDR kritisch zu hinterfragen, den Begriff "Kultur" vertieft zu diskutieren, um wieder an alte NDR-Traditionen mit ihren Ansprüchen an einen echten Kultur-Sender anzuknüpfen.

Das wünschen mit freundlichen Grüßen

gez. I. Stabenow, Prof. W. Stabenow

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VORSCHLAG
A  Ein Sender bringt ausschließlich Musikwerke aus allen Epochen...
B  Ein oder zwei Kultursender vertiefen ein Kulturinteresse bewusst...
C  Alle anderen Sender (auch die privaten) werden verpflichtet...