Praxis von NDR Kultur - Moderation

Im Laufe der „Matinee“ am 6. Oktober 2005
Fünf eigenständige Beiträge des Moderators

„Vielleicht“ könnte der Moderator
diese Sprüche ganz einfach bleiben lassen?

9.26 Uhr: „Der Umweg ist das Ziel“ - Zynismus pur für die Hörer

Willy Brandt soll gesagt haben, Arbeit sei nur der Umweg zu allen Genüssen. Wenn Sie also im Moment das Gefühl haben, sich arbeitenderweise mitten auf einem großen Umwegparcours zu befinden, versäumen Sie wenigstens nicht, die landschaftlichen Attraktionen am Wegrand in Augenschein zu nehmen. Es macht das Leben leichter, weil genussreicher. Frei nach dem Motto: auch der Umweg ist das Ziel.

Ohne Ankündigung: nächster Musiksatz.

Nein, nicht bei NDR Kultur: Zerstückelte Musikwerke und ständiges, aufdringliches Gerede sind für uns nicht „genussreich“, nicht „das Ziel“!

10.19 Uhr: „Bonbon am Donnerstag“ - wo bleibt die Pointe?

Was macht den Donnerstag zu einem besonderen Tag? Bon, um mit den Franzosen zu sprechen, bon, er erinnert daran, dass es einem meistens nicht vergönnt ist, sich auf seinen Loorbeeren auszuruhen. Aha.
Doch wieso, fragen Sie sich, wieso ist der Donnerstag da so einschlägig?
Bon, es gibt diese kleine Geschichte von den französischen Offizieren. Die gingen zu Napoleon, um die Beförderung eines Kapitäns zu erbitten. Begründung: durch großen Mut und kluge Überlegung habe der Mann eine schon verlorene Schlacht siegreich gewendet.
Bon, sagte Napoleon.
Bonbon, das war am Donnerstag. Und was hat er am Freitag getan?

Ohne Ankündigung: nächster Musiksatz.

10.38 Uhr: Das „Vergnügen“ des „Zuhörens“ - nur bei einem Tanz?

„Tanzen macht schon Spaß, wenn man nur nicht reden müsste.“ Das hat der große schwedische Dramatiker August Strindberg einer seiner Figuren in den Mund gelegt. Tanzen macht schon Spaß, wenn man nur nicht reden müsste, aber man muss ja auch nicht, man kann wortlos bei einem Tanz zuhören und trotzdem sein Vergnügen daran haben...

Es folgt ohne Ankündigung ein Slawischer Tanz von Antonin Dvorak, der nicht in der Programmübersicht steht.

Eine Moderatorin von NDR Kultur macht es genau umgekehrt:

So, meine Damen, meine Herren! Jetzt bitte Haltung annehmen und folgende Anweisung befolgen - das betrifft vor allem die Herren: So, Sie starten bitte mit dem rechten Fuß nach vorwärts. Achtung, Fersenschritt. Anschließend linker Fuß seitwärts...

11.24 Uhr: „Denkpause“, „pausenloses Denken“ - ein Denkmal für den Herrn Moderator!

Vielleicht ist Ihnen ja gerade danach, eine kleine Denkpause inmitten des hektischen Alltagsbetriebes einzulegen. Dann denken Sie sicherheitshalber nach, bevor Sie es tun. Das heißt ja speziell von Denkpausen, es sei ja manchmal nicht so ganz klar, ob das Pausen zum Denken sind oder nicht doch eher Pausen vom Denken. Bevor Sie darüber jetzt pausenlos nachdenken müssen, hören wir den ersten Satz des Violinkonzerts D-dur RV 210 von Antonio Vivaldi.

Erst „eine kleine Denkpause einlegen“, dann „darüber pausenlos nachdenken“, was soll der Zuhörer auf Anraten des Herrn Moderators noch alles tun? Ihm ein Denkmal errichten?

11.50 Uhr: Von der Kultur zum Trivialen - auf NDR Kultur

Vielleicht kennen Sie selbst das Gefühl oder haben es bei Nachbarn, Bekannten, Verwandten beobachtet: von manchen Dingen kann man nie genug haben, bei anderen hat man eher bescheidene Ansprüche. Der deutsche Dichter Barthold Hinrich Brockes hat das mal am konkreten Beispiel veranschaulicht. Nur zwei Zeilen hat er dafür gebraucht, und die heißen so:
     Niemand ist zufrieden mit seinem Stande,
     Jeder mit seinem Verstande.
Jetzt drehe ich das gleich um, indem ich's ein bisschen ändere und sage: Niemand ist zufrieden mit einem Verständchen, aber jeder mit einem schönen Ständchen. Hier ist das „Ständchen“ aus der Sinfonie G-dur „Harold in Italien“ von Hector Berlioz.

Wie kann man nur ein so großes Wort der Aufklärung für ein solches Geschwätz („von manchen Dingen kann man nie genug haben, bei anderen hat man eher bescheidene Ansprüche“) und für eine plumpe Ansage so herunterwirtschaften!

Lesen Sie auch zu seiner Moderation:

Und Egmont tritt herein, im Prachtgewande, glänzend steht er da. - So brecht, so reisst den Wall der Tyrannei zusammen!
aus: Goethe, „Egmont“
Moderator lobt Beethovens Schauspielmusik zu Goethes „Egmont“ über alles
Doch leider sendet NDR Kultur tagsüber nur die Ouvertüre, in 2 Jahren: 21 x.
NDR Kultur, 9. April 2006, Moderation