Interview mit dem Hörfunkprogrammdirektor

NDR Kultur, 1. September 2008, Klassik à la Carte

Das Sonntagskonzert öffnet die erste Tür,
Programmdirektor Joachim Knuth öffnet mit seinen Grundsätzen ein Tor

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Vorbemerkung

Von Theodor Clostermann und Ludolf Baucke

Schon beim ersten Hören des Interviews und erst recht bei der späteren Analyse des Textes verspüren wir, die Mitglieder der Redaktion Das GANZE Werk (Nord), dass es dem neuen Hörfunkprogrammdirektor um mehr als nur um die allgemeine Information der Öffentlichkeit über Änderungen bei NDR Kultur zum 1. September 2008 geht, auch nicht um bloße Propaganda:

1. Diejenigen Aussagen über NDR Kultur, die sich (noch) nicht mit der gegenwärtigen Alltagspraxis des Senders decken, interpretieren wir als Absichtserklärungen für ein zukünftiges qualitatives Kulturprogramm.

2. Er setzt sich im Hintergrund mit noch mehr auseinander. Das zeigt sich daran, dass er von „neue Formen“ denkt und vom Überschreiten von „Grenzen“ spricht, gleichzeitig NDR Kultur aber für ein gelungenes „Radio-Feuilleton“ hält. In unserer Eingabe an den NDR-Rundfunkrat vom 20. März 2008, die ihm bekannt ist, lautet der Kernsatz:

„In der Hauptsendezeit, d.h. vor- und nachmittags, richtet NDR Kultur in größerem Umfang gestaltete Wortsendungen (mit längeren Beiträgen zur Kultur) und Musiksendungen (mit zusammenhängenden musikalischen Werken) ein.“
Mehr zur Eingabe...

3. Seine Formulierungen sind gleichzeitig so gestaltet, dass sie als Gesprächsangebote für zukünftige Änderungen des Programms NDR Kultur aufgefasst werden können. Das nehmen wir gerne an. So haben wir, auch um die Tragweite verschiedener Aussagen zu verdeutlichen, unsere Fragen ergänzt, die wir bei einem Gespräch stellen würden.

„Klassische Musik hat etwas Würdevolles, etwas Erhabenes“ (Joachim Knuth) - Das regt uns zu Fragen an (Das GANZE Werk - Nord)

Beate Scheibe, NDR Kultur: (Herr Knuth, wenn) Sie die ersten Monate mal ein wenig konkreter bilanzieren, was haben Sie in dieser kurzen Zeit erreicht oder wo konnten Sie schon Weichen stellen?

Was würde dagegen sprechen, die „Wissensoffensive“ erheblich auszuweiten? Drei bis dreieinhalb Minuten am Tag sind, selbst wenn sie gut gemacht sind, doch eher ein Wissenstupfer. Wie wäre es tagsüber mit „in größerem Umfang gestalteten Wortsendungen (mit längeren Beiträgen zur Kultur)“ (siehe oben, Text der Eingabe), um dem Bildungsauftrag gerecht zu werden?

Programmdirektor Joachim Knuth: Wir haben jetzt in der vergangenen Woche eine Wissensoffensive vorgestellt für alle NDR Hörfunkprogramme. Diese Wissensoffensive hat zum Ziel, dass wir das, von dem wir glauben, dass es in Zukunft von steigender Bedeutung sein wird für Menschen, nämlich den Rohstoff Wissen und Bildung für viele Menschen verfügbar zu machen, in journalistisch attraktiver Form in unsere Programme einweben. So haben wir ganz viele einzelne Schritte, neue Sendereihen, neue Ideen kreiert, bei NDR Kultur beispielsweise einen Streifzug durch die deutsche Kulturgeschichte, oder auch etwas sehr Amüsantes, sehr Feuilletonistisches, wir haben die schönsten Liebesgeschichten in Oper und Film aufgearbeitet. Das ist alles sehr hörenswert.

Sie erwähnen die Neuerungen, die jetzt ab September in den NDR Hörfunkprogrammen greifen. Was NDR Kultur, also unser Programm, betrifft, ist auch ein Fokus, glaube ich, auf den Sonntag zu richten. NDR Kultur wird sonntags ab 11 Uhr live die Matinee-Konzerte des NDR Sinfonieorchesters aus der Laeiszhalle übertragen. Das heißt, insgesamt noch mehr Live-Konzerte im Programm, ergänzt durch die schönsten Festival-Konzerte des Nordens, Aufnahmen, die bei verschiedenen Festivals entstanden sind. Was hat zu dieser Entscheidung geführt, noch einmal nachzulegen und die Zahl der Konzertübertragungen zu erhöhen und diesen Sendeplatz am Sonntagvormittag zu öffnen?

Uns ist wichtig, dass wir als Kulturveranstalter, Kulturträger und journalistisches Kulturmedium NDR Kultur in Norddeutschland präsent sind, das sind wir in hohem Maße durch zahlreiche Kulturpartnerschaften. Wir sind ein unverzichtbarer Träger, Veranstalter und Vermittler von Kultur im Norden. Wir denken natürlich permanent über die Frage nach, wie kann man ein solches Programm wie NDR Kultur verfeinern, wie kann man es komplettieren. Wir glauben, dass der Sonntagvormittag ein guter Termin ist, um die großen Konzerte des NDR Sinfonieorchesters - Sie haben sie erwähnt, Frau Scheibe - live darzubieten, und zwar für all jene verfügbar zu machen, die nicht im Konzertsaal sitzen. Das gilt eben auch für die großen Festival-Konzerte im Norden. Das ist ein Teil unserer Verbundenheit zur Kultur und Konzertlandschaft des Nordens. Insofern glauben wir, dass wir dafür auch ein interessiertes Publikum gewinnen können. Ansonsten ist NDR Kultur ja nicht nur klassische Musik, sondern auch Radio-Feuilleton. (...) Auch dafür haben wir die eine oder andere Überlegung angestellt.

Joachim Knuth, Qualität in den Programmen ist Ihnen natürlich wichtig, Quantität aber auch. Schließt sich das nicht manchmal fast aus?

Nein, das finde ich nicht. Wir müssen beides machen. Wir müssen Qualität liefern, aber wir müssen auch darauf achten, dass wir viele Hörerinnen und Hörer haben, das ist das klassische Spannungsfeld, das es in unserem Beruf gibt, Reputation und Reichweite, Qualität und Quote. Ich glaube, und das ist ein Teil meines Kultur-Optimismus, dass wir im Radio mit Qualität auch Quote machen können und dass Gutes von Hörerinnen und Hörern auch nachgefragt wird. Man kann Qualität ja nicht anordnen. Qualität ist ein Prozess, der sich entwickeln muss, der Freiheit braucht, auch intellektuelle Freiheit. Dazu kann man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermuntern, aber wir leben von unserer qualitativen Kraft. Dafür gibt es öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir brauchen dafür ganz viele Hörerinnen und Hörer, und zwar überall, wo Radio genutzt wird, und das heißt auch zunehmend, im Internet.

Joachim Knuth, Programmdirektor Hörfunk, ist zu Gast bei uns in der Sendung Klassik à la Carte auf NDR Kultur. Wir hören auf Ihren Wunsch Musik von Johann Pachelbel.

[Johann Pachelbel]

Canon und Gigue von Johann Pachelbel, gespielt von der Academy of St. Martin in the Fields unter der Leitung von Iona Brown. Klassik à la Carte auf NDR Kultur. Bei mir ist der NDR Hörfunkdirektor Joachim Knuth. Diese Pachelbel-Musik haben Sie sich gewünscht, was verbinden Sie mit diesen Klängen?

Das ist ja getragene Musik. Ich mag Barock, ich mag besonders Bach, weil ich finde, dass diese Musik eine besondere Ausdrucksform auch des Glaubens ist und ich dabei immer spüre, dass unser Leben und diese Welt von Gott geschaffen ist. Darin liegt, finde ich, auch etwas sehr Lebensbejahendes. Ich finde, dass diese Musik Würde hat, Anmut, und micht trägt. (...)

Welche Verpflichtung verspüren Sie als Hörfunkdirektor?

Verpflichtung gegenüber den Hörerinnen und Hörern, gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Diese Verpflichtung besteht vor allem darin, dass wir ein gutes Programm anbieten, das öffentlich-rechtliche Absenderschaft hat, das heißt - das klingt ja wahnsinnig staubig, öffentlich-rechtliche Absenderschaft - das heißt, dass wir guten, umfassenden Journalismus machen, dass wir attraktive Programme anbieten und dass wir in ganz vielen Dingen, die wir tun, von unseren kommerziellen Konkurrenten unterscheidbar sind. Dafür bekommen wir Gebühr. Dafür sind wir sozusagen ein Public Radio. (...)

Jetzt will ich gern mit Ihnen einen weiten Schritt zurückgehen, Herr Knuth. Sie sind seit 1985 beim NDR, mehr als 20 Jahre, Sie waren Redakteur bei NDR2, Anfang der 90er Jahre Referent des damaligen Intendanten Jobst Plog, schließlich Hörfunk-Chefredakteur und Programmchef von NDR Info. Was hat Sie zum NDR geführt?

Der Zufall. Ich habe in München studiert, habe eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München gehabt, die damals wie heute sehr anerkannt war, und bin dann eher durch Zufall, aber auch auf Grund meiner norddeutschen Wurzeln, als Praktikant zum Norddeutschen Rundfunk gekommen. Das war der letzte Teil der Ausbildung an der Journalistenschule. (...)

Was hat dann Ihr Interesse an der Musik, das ja sehr stark ist - was sich heute auch an den Musikwünschen, die wir in dieser Stunde hören, ablesen lässt - was hat Ihr Interesse an der Musik geweckt?

Wenn Musik „etwas Würdevolles und auch etwas Erhabenes hat“, wenn Sie gerne „bei klassischer Musik nachdenken“:
Finden Sie dann nicht auch, dass die
- werktags ununterbrochene,
- 12 ½ Stunden lange
- Reduzierung der Kompositionen auf Einzelsätze
- von durchschnittlich 5 Minuten Dauer
- in einer beliebigen Mixtur
unwürdig ist gegenüber den Komponisten, den Interpreten und den Hörerinnen und Hörern?
Finden Sie nicht auch, dass dann ein
Nachdenken in der von Ihnen beschriebenen Art gar nicht möglich ist?
Finden Sie nicht auch, dass die ständige Indienst-
nahme der kurzen Musiksätze für Ankündigungen der verschiedensten Art unwürdig ist
und die Hörerinnen und Hörer immer wieder aus dem „Hören und Genießen“ herausreißt?
Finden Sie dann nicht auch, dass der Musik
ein würdiger Rahmen in abgeschlossenen „Musiksendungen“ (siehe oben, Text der Eingabe) sehr gut stehen würde
und viele Hörerinnen und Hörer sich darüber richtig freuen würden?

Meine Musikpräferenzen, die heute in der Sendung eine Rolle spielen, zeigen ja, dass es in eine bestimmte Richtung geht. Ich kann bei klassischer Musik sehr gut nachdenken, und zwar losgelöst vom Tagesalltag. Ich finde auch, dass klassische Musik insbesondere da, wo sie mich berührt - und klassische Musik kann ja Seele berühren - etwas Würdevolles hat und auch etwas Erhabenes. (...)

Wir hören Mozart auf Ihren Wunsch, das Rex tremendae aus Mozarts Requiem. Hat das eine ganz besondere Bedeutung oder steht das in dem Kontext, den Sie eben erwähnt haben?

Das steht in diesem Kontext. Es ist im Angesicht des Mozartschen Todes geschrieben, es ist (...) ein unvollendetes Werk. Das Requiem von Mozart beschreibt ja in Wahrheit die Auseinandersetzung zwischen Leben und Tod mit einer unumstößlichen Erkenntnis unseres Lebens, nämlich der Sterblichkeit und dem Ende. Insofern ist das Grenzmusik und eine Musik, die schon über unser Leben hinausweist.

[Wolfgang Amadeus Mozart]

Das Rex tremendae aus Mozarts Requiem mit dem Arnold Schönberg Chor und dem Concentus Musicus Wien unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt, ein Wunsch von Joachim Knuth, Hörfunkprogrammdirektor des NDR und heute zu Gast hier auf NDR Kultur. - Was gefällt Ihnen, Herr Knuth, wenn Sie die NDR-Hörfunkprogramme einschalten.

(...) Bei NDR Kultur die Mixtur aus wunderbarer klassischer Musik und attraktivem Wort, das, finde ich, ist ein Radio-Feuilleton, wie ich es mir vorstelle. Das sind Punkte, die man noch zuspitzen kann. Wir planen ja jetzt auch eine neue Diskussionssendung am Sonntag, weil ich finde, dass Kulturprogramme auch immer einen Forumscharakter haben, in dem intellektuell streitiger Diskurs stattfinden darf. (...)

Was macht denn für Sie gute Moderation aus?

Präzision, Stimme, warme Stimme, die Hörerinnen und Hörer anspricht, eine Stimme, die - und das ist ja ein Geheimnis von Moderation - wenn irgend möglich, ganz viel an Hörerrezeption und -zuspruch abgreifen soll. (...) Und gute Moderation ist, auf Augenhöhe mit Hörerinnen und Hörern sprechen, Partner und Anwalt des Hörers sein, und so fragen, wie auch Hörerinnen und Hörer fragen würden, also keine abgehobene Distanz schaffen, sondern ein guter Makler sein. (...)

Richten wir den Blick, Joachim Knuth, auf die Kulturprogramme. Wir sind bei einem Kultursender, NDR Kultur. Was muss aus Ihrer Sicht denn ein modernes Kulturradio bieten und leisten?

Es freut uns, Herr Knuth, dass Sie nicht behaupten, dass alle Hörerinnen und Hörer das Programm inzwischen gut fänden. Es freut uns auch, dass Sie auf „alle“ Hörerinnen und Hörer eingehen wollen. Und wenn Sie den Wünschen „aller“ Hörer gerecht werden wollen, dann sollte das Sonntagskonzert für die ganze Woche Schule machen (siehe unsere „Programmvorschläge“ vom 9. April 2006, zum Beispiel: „Konzerte aus dem Sendegebiet / Zu Gast bei Sendern der ARD“).

Breit, facettenreich und durchaus provokant journalistisch arbeiten, vielfältig sein, ohne beliebig zu werden, anspruchsvoll, ohne elitär zu sein, anregend, aber mit Tiefe, und für alle Hörerinnen und Hörer gemacht (...). Das ist ganz wichtig, weil Kultur etwas ist, was zu einer Gesellschaft dazugehört. Kultur kann ein wunderbarer Klebstoff sein zwischen verschiedenen Interessen, die eine Gesellschaft ausmachen. Kultur ist für mich, Frau Scheibe, deshalb sage ich das mit dem Klebstoff, etwas, was ja auch eine gewisse Transzendenz entwickeln kann, eine Abstraktion schaffen kann von unserem Alltag. Ich finde, dass der Kulturbegriff ganz weit gefasst sein muss. Der kann das Rex tremendae im Requiem von Mozart genauso umfassen wie einen Roman von Charlotte Roche, der auf allen Bestsellerlisten vorne liegt und der natürlich einen vollkommen anderen Kulturbegriff markiert als den, über den wir heute mit Blick auf die Musik dieser Sendung diskutieren. Aber kulturbreit angelegt. Ich finde, dass man alles respektieren sollte, was Menschen jenseits ihres Alltags lesen, hören, an Ausstellungen besuchen. Ich finde, das ist ein Wert an sich. (...)

Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern?

Wenn Sie mehr journalistische Professionalität erwarten, sollte dann nicht auch gewährleistet werden, dass die Berichte keine Kurzberichte sind, die schnell zur Hofberichterstattung werden und O-Ton-Passagen höchstens 15 Sekunden lang erklingen lassen, sondern dass sie differenzierte Inhalte haben und in Ruhe vorgetragen werden?

Einsatz, hohe Professionalität, Präzision und Leidenschaft. Leidenschaft für den Beruf des Journalisten, denn wir leben vom Journalismus, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, von den Inhalten, die wir transportieren. Leidenschaft dafür, dass man gute Themen findet, dass man engagiert arbeitet, dass man hart recherchiert. (...)

Sie haben es als Ihre Aufgabe bezeichnet, Herr Knuth, Raum zu schaffen für Kreativität, für die Entfaltung von Talenten, diesen Raum zu schaffen, ist ja im Alltag manchmal gar nicht so einfach. Wie erreichen Sie das denn, oder wie kann man das erreichen?

Es freut uns sehr, dass Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu auffordern, die „Grenzen“ des „Form“atradios zu überwinden.
Warum soll das aber nur NDR-intern geschehen?
Können sich nicht auch Hörerinnen und Hörer daran beteiligen?
Wir haben Ihnen eine Palette an Möglichkeiten in unseren „Programmvorschlägen“ zusammengestellt, von denen die Sendung „Sinfonie und Konzert“ am Sonntag ja Wirklichkeit geworden ist.

Das ist in der Tat nicht einfach, weil man es nicht verordnen kann. (...) Die Vorgabe kann nur lauten: Probiert euch aus. Ich bin jetzt in den ersten Monaten in allen Redaktionen gewesen und habe ermuntert: Macht Vorschläge, seid programminnovativ, entwickelt neue Reihen, neue Serien, neue Formen und denkt über Programm nach und auch über Grenzen hinweg nach. (...) Wenn man sich anschaut, dass man Programme ja auch teilweise ändern muss, dann braucht man Bereitschaft und die Fähigkeit vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch über den Tellerrand des aktuellen Tages hinauszugucken. Wenn ich an NDR Kultur denke, ist das hervorragend geglückt, und die Programme von N-Joy und NDR2 stehen gut im Markt, brauchen aber, weil sie natürlich auch eine sich verändernde Hörerschaft haben, immer wieder Innovation. Die muss von uns kommen. Insofern kann das nur ein Stimulans sein, das man gibt: Probiert es aus. Das ist manchmal schon als innovativer Prozess ein Selbstzweck an sich. (...)

Joachim Knuth, bei der folgenden Musik habe ich ein wenig gestaunt, dass Sie sich diese gewünscht haben, denn Schubert-Messen werden nicht oft gewünscht, sind auch gar nicht so bekannt. Sie haben sich das Agnus Dei aus der Schubert-Messe Es-Dur, Deutsch-Verzeichnis 950, gewünscht. Warum?

Ich mag in Kirchen und an Kirchenmusik gerne das Lied Christe, du Lamm Gottes, und ich finde, dass in dem Schubert, den wir gleich hören werden, dieses Agnus Dei eine schöne, eine fromme Komposition ist und auch zu mancherlei religiösen Betrachtungen Anlass gibt. Deshalb kommt Schubert vor. Es ist übrigens auch ein Werk wie Mozarts Requiem, geschrieben am Ende eines sehr kurzen und genialen Lebens. Die Uraufführung hat Schubert gar nicht mehr mitbekommen, die war 1829, ein Jahr nach seinem Tod. Es ist insofern ein Werk, was wie so viele von Schubert über ihn und sein Leben hinausweist.

[Franz Schubert]

Das Agnus Dei aus der Messe Es-Dur, Deutsch-Verzeichnis 950, von Franz Schubert mit der Gächinger Kantorei und dem Bach-Collegium Stuttgart unter der Leitung von Helmuth Rilling. (...) - Joachim Knuth, unsere Zeit geht langsam zu Ende. Eine Anmerkung vielleicht zur Schlussmusik. Ich weiß, das Ihnen ein Komponist besonders nahe steht, Ihnen wichtig ist, und das ist Johann Sebastian Bach. Sie haben sich Musik von Bach gewünscht, O Mensch, bewein dein Sünde groß. Warum dieses Stück in der Reger-Bearbeitung?

Ich finde, dass die transskribierten Streicherversionen, die es ja in umfänglicher Weise zu Bach gibt, durchgängig gelungen sind. Ich würde den Original-Bach in fast allem, was er geschrieben hat, immer mitnehmen auf die vielzitierte einsame Insel. Aber mit dieser Reger-Fassung möchte ich eigentlich eine Lanze brechen für das, was es an sonstigen Bach-Transskriptionen gibt. Ich finde, dass das ganz wunderbare klangerfüllte Musik ist, und habe die Kritik an dieser Form eigentlich nie richtig verstanden. Deshalb der Reger mit der bearbeiteten Choralfassung, sozusagen ein Bach über Bande.

Mit Klängen von Bach geht diese Stunde zu Ende. Vielen Dank, Joachim Knuth für das Gespräch.

Frau Scheibe, ich danke Ihnen.

[Johann Sebastian Bach (1685-1750), O Mensch, bewein dein Sünde groß, BWV 622, BBC Philharmonic, Leitung Leonard Slatkin]

Aufnahme und Transskription: Theodor Clostermann, 1. bzw. 7. und 8. September 2008
Zum besseren Verständnis wurde ein weiterführendes „und“ häufiger durch einen Satzanfang ersetzt.
Redaktionelle Texte verfasst am 15. September 2008