Enthüllung auf NDR Kultur...

NDR Kultur, 3. Juli 2009, 17.25 bis 17.34 Uhr

NDR Kultur über unzulässige Werbung für die Deutsche Bahn AG
bei Radio Hamburg

Wer im Glashaus sitzt...

Dokumentation und Zwischenbemerkungen von Theodor Clostermann

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Nachdem es auf NDR Kultur zwischen 15.17 und 15.22 Uhr durch das Wirken der Moderatorin zu einem reinen, aber nicht kenntlich gemachten Werbeblock für eine „aktuelle CD“ gekommen war (= Schleichwerbung), überraschte der Sender mit Spurenverwischung. Das Mittel: Angriff auf die private Konkurrenz. Es lag wohl für 17.30 Uhr kein Auftrag für einen weiteren „Aktuellen Kulturbericht“ vor, und so bediente man sich - als Lückenfüller und für NDR Kultur eigentlich unpassend - eines Berichts von NDR-Info-Journalistin Ilka Steinhausen, der sich auf Ereignisse und Enthüllungen von Mitte Juni bezog.

Der „moderative Teaser“, wie es im Werbefachjargon heißt

17.25 Uhr, Moderatorin:

„Der 3. Satz aus dem Klavierkonzert in C-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart, gespielt haben Daniel Barenboim und die Berliner Philharmoniker. Werbung ist ein lästiges Übel unserer Gesellschaft, aber eben oft nötig, um gerade Medien finanzieren zu können. Aber die Strategien der Werbemacher, die werden immer aggressiver. Mehr dazu gleich hier auf NDR Kultur nach Musik Emil Nikolaus von Reznicek.“

[Musik; statt der folgenden Ouvertüre steht ein Sinfoniesatz von Franz Schubert in der Musikliste...]

NDR Kultur: „Hörerinnen und Hörer können immer schlechter zwischen Werbung und Journalismus unterscheiden“

17.30 Uhr, Moderatorin:

„Das war die Ouvertüre zu Donna Diana von Emil Nikolaus von Reznicek [das Orchester und der Dirigent werden nicht genannt, wer war es?]. Der Sinn von Werbung ist, Verbraucher bewusst und gezielt zu beeinflussen, um das entsprechende Produkt zu verkaufen, klar. Üblicherweise passiert das in den Medien, zum Beispiel im Radio. Aber gerade Privatsender integrieren Werbung mehr und mehr ins Programm, ob als Beitrag, Gewinnspiel oder eben in der Moderation. Das Problem: Hörerinnen und Hörer können immer schlechter zwischen Werbung und Journalismus unterscheiden. Ilka Steinhausen über den problematischen Umgang mit Werbung.“

Wer hat die besten Einschaltquoten, wer hat das bessere Programm? Der Radiomarkt ist seit Jahren hart umkämpft. Da ist jedes Mittel zum Angriff auf die anderen recht, zum Beispiel wenn sich Radio Hamburg über die Rundfunkgebühren der öffentlich-rechtlichen Sender auslässt:

„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht dringend Ihre Gebührengelder. Für Nachrichtenmoderatoren, die objektiv berichten müssen... Aber möglicherweise durch ihre gutbezahlten Auftritte für große deutsche Firmen bei der Berichterstattung in Gewissenskonflikte kommen könnten.“

In Anspielung auf die Nebentätigkeiten von freien Moderatoren weist Radio Hamburg darauf hin, dass der Hörer beim Privatsender keine Gebühren zahlt. Tatsächlich nicht? Der Chef des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung, Uwe Hasenbrink, sieht das anders:

„Natürlich ist privates Radio auch nicht kostenlos, weil wir das über die Produkte und die Werbung mitfinanzieren. Also wir bezahlen teurere Produkte, damit die Hersteller dieser Produkte Werbung bei den Hörfunkveranstaltern zahlen. Insofern bleibt es sich relativ gleich.“

Davon wollen die Privatsender natürlich nichts wissen. Stattdessen suchen und finden sie neue Wege der Vermarktung, mit denen sie Werbung ins Programm holen.

Vor zwei Wochen eröffnete die Deutsche Bahn die Strecke Berlin - Hamburg neu. Radio Hamburg war dabei und warb auch gleich für eine andere Bahnstrecke.

„Radio Hamburg und die Deutsche Bahn schenken Ihnen täglich einen Shopping-Trip zu zweit in die Hauptstadt, und nun... (...) Ich muss mich noch mal ganz herzlich bei der Deutschen Bahn bedanken, ja, ich bin ja gefahren mit dem Deutsche Bahn Autozug jetzt von Hamburg nach Bozen und natürlich auch wieder zurück, und erstmal war das Bahnpersonal super freundlich, und das hat mir richtig gut gefallen, das war ne richtig schöne Fahrt mit der Deutschen Bahn, kann man auch mal sagen.“ [O-Ton Radio Hamburg]

Normalerweise läuft Werbung im Radio im Werbeblock und ist hörbar kenntlich gemacht. Hier allerdings integriert der Sender Werbung ins Programm, so der Medienexperte Hasebrink, das Programm wird von Werbung unterlaufen.

„(...) Wie sollen die Hörer einem Moderator glauben, von dem sie wissen, dass er ab und zu mal sich von der Bahn bezahlen lässt, um nett über die Bahn zu reden, und die nächste Aussage von ihm soll nun wieder stimmen? Das ist für die Hörer schwer nachvollziehbar.“

Das entscheidende Vergehen des Werbetrios Deutsche Bahn AG, Werbevermarktungsagentur RMS und Radio Hamburg liegt darin, dass ein Moderator für die Durchführung eines Gewinnspiels auf dem Sender („on air“) zum Einsatz kommt, der mindestens durch die Vergünstigung einer Gratisfahrt im Autoreisezug nach Bozen nicht mehr für journalistische Unabhängigkeit garantieren kann, der auf diese Weise eingenommen den Auftraggeber von möglicher Kritik freiredet und auf diesem Niveau nebenbei Produkte des Auftraggebers werblich positiv hervorhebt.

In dem Bericht von NDR-Info-Journalistin Ilka Steinhausen heißt es dann weiter:

Für die Privatradios arbeitet die Firma RMS als Vermarkter. Auf der Internetseite ist genau nachzulesen, wie Werbung im Programm platziert werden soll.

„Auch Werbebotschaften zu Angeboten der Deutschen Bahn werden mitkommuniziert. Parallel stützt die Präsentation durch den bekannten Radiomoderator die Glaubwürdigkeit der Information enorm.“

Beide Kriterien wurden bei Radio Hamburg im Programm umgesetzt, so der Medienexperte Hasebrink:

„Das wird explizit gesagt, die Botschaft, dass die Bahn gut ist, ist umso glaubwürdiger, wenn sie von einem beliebten Radiomoderator, der ansonsten sich Journalist nennt, vorgetragen wird. Das ist natürlich ein sehr plausibles Argument, von daher hat man hier einen schönen Fall, dass gezielt die journalistische Glaubwürdigkeit für Werbung ge- oder besser gesagt missbraucht wird.“

Die Verantwortlichen von Radio Hamburg können die Aufregung nicht verstehen. Seit Jahren sei diese Werbeform on air, so Geschäftsführer Neitzel, und es habe noch nie Probleme mit den Aufsichtsbehörden gegeben. Doch das könnte sich jetzt ändern, denn bei der Medienanstalt Hamburg wird dieser Vorgang ernsthaft geprüft.

Moderatorin:

„Und hoffentlich kommt es dann wieder zu einer ernstzunehmenden Trennung von Programm und Werbung. Sie hören NDR Kultur.“

Jingle (in der ausladenden Streicherfassung, auf die nachfolgende Musik abgestimmt), dazwischen der Werbeslogan (Claim): „NDR Kultur, hören und genießen.“

[Nächster Musiksatz]

„Dann“? Wann?

Ein beinahe wahres Fazit der Moderatorin von NDR Kultur

Eine „ernstzunehmenden Trennung von Programm und Werbung“? Die Medienanstalt Hamburg - seit dem 1. März 2007 handelt es sich um die fusionierte „Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein (MA HSH)“ - ist aber nur für die Privatsender zuständig. Wie „kommt es dann“ auch auf NDR Kultur wieder zu Musik- und anderen Kultursendungen, die nicht mehr durch Schleichwerbung und NDR-Eigenwerbung zerstückelt und gestört sind? Auch hier gilt der Rundfunkstaatsvertrag (insbesondere §§ 2.2 P. 7-9, 6, 6a und 7).

Die Bürgerinitiative für mehr Radiokultur Das GANZE Werk (Nord) hat nicht nur eine Eingabe zur zeitweiligen Verbesserung der Qualität auf NDR Kultur beim NDR-Rundfunkrat eingereicht, sondern gleichzeitig mit drei ausführlich dokumentierten Beispielen eine Beschwerde gegen die Werbung auf NDR Kultur vorgelegt:

- gegen die Sendepraxis mit den „aktuellen CDs“ und die praktische Bevorzugung der drei großen CD-Labels („Majors“), insbesondere der Deutschen Grammophon Gesellschaft

- gegen die Sendepraxis der Vermarktung des neuen Buches „Ruhm“ von Daniel Kehlmann und

- gegen die Freigabe von Sendezeit im Programm von NDR Kultur und die bevorzugte Berichterstattung zugunsten derjenigen „Kulturpartner“, die ein Geschenk für den NDR-Kultur-Adventskalender 2008 gestiftet hatten.

Es liegt also in der Entscheidung des NDR-Rundfunkrates, ob er die seit Anfang 2004 bestehende Sendepraxis korrigiert und es damit wieder zu einer „ernstzunehmenden Trennung von Programm und Werbung“ auf NDR Kultur kommt.

Verfasst am 11. Juli 2009

Weitere Dokumente

Das von uns dokumentierte Parallel-Gewinnspiel auf NDR Kultur

NDR Kultur, 9. März 2007

Das Schleswig-Holstein Musik Festival auf dem Meer

Galareise der klassischen Musik

Zwei Karten für die Reise werden von der Peter Deilmann Reederei zur Verfügung gestellt

„Die Spielregeln für die Verlosung sind einfach: Am Freitag, dem 9. März spielen wir auf NDR Kultur mehrmals die Ouvertüre ‚Meeresstille und glückliche Fahrt‘ von Felix Mendelssohn Bartholdy. Sobald Sie diese Musik hören, können Sie sich über die Servicetelefonnummer (...) für den Gewinn der Reise bewerben.“

Unsere Beobachtung: Das ganze Tagesprogramm des Kultursenders war von diesem Sponsoren-Ereignis bestimmt, und ein Musikstück wurde mehrfach dafür missbraucht (um 10.10, 14.45 und 17.15 Uhr).

„Heute, da lohnt es sich ganz besonders, NDR Kultur zu hören. Heute ist der große Tag, an dem Sie eine Galareise der klassischen Musik gewinnen können...“ (erste Moderation an diesem Tag zur Kreuzfahrt, 6.32 Uhr)

Artikel: dasganzewerk.de/ndr_kultur

Pressemitteilung der Vermarktungsagentur RMS (12. Juni 2009)

Deutsche Bahn fährt auf Radio ab - Dreiwöchige Radiopromotion auf Radio Hamburg und 94,3 rs2

Vorteile der schnellen Verbindung Hamburg - Berlin durch Hörergeschichten erlebbar gemacht

Die Deutsche Bahn kündigt die Wiedereröffnung der Bahnstrecke Hamburg - Berlin ab dem 8.6.2009 in einer dreiwöchigen Radiopromotion auf den RMS-Sendern Radio Hamburg und 94,3 rs2 (Berlin) an. Persönliche Geschichten von Hörern setzen einprägsam und glaubhaft in Szene, welche Vorteile die schnelle Verbindung von nur 1 1/2 Stunden hat. Ab dem 14. Juni sind Reisende auf der Strecke wieder rund 40 Minuten schneller in der anderen Stadt - Zeit, die sie für sich nutzen können.

Nach Berlin zum shoppen, nach Hamburg zur Familie

In Kooperation mit Radio Hamburg verlost die Deutsche Bahn zwei Wochen lang täglich von Montag bis Samstag je einen Shopping-Tagestrip von Hamburg nach Berlin - und zurück. 94,3 rs2 sucht gemeinsam mit dem Unternehmen die spannendsten Pendlergeschichten zwischen Berlin und Hamburg. Ob Pärchen, Familien oder Freunde - jeder darf sich mit seiner persönlichen Story bewerben.

Deutsche Bahn von Moderatoren in gesamte Show integriert

Die Gewinnaktionen der Deutschen Bahn präsentieren sich komplett im Gewand von Radio Hamburg und 94,3 rs2. So werden sämtliche Trailer im Senderdesign gestaltet. Darüber hinaus führen die bekannten Moderatoren während ihrer Shows durch das Gewinnspiel und sprechen mit den Gewinnanwärtern. Auch Werbebotschaften zu Angeboten der Deutschen Bahn werden mitkommuniziert. Weitere Informationen finden die Hörer auf den jeweiligen Sender-Websites, die über eine Verlinkung zur Website der Deutschen Bahn führen.

Andreas Fuhlisch, Sprecher der Geschäftsführung von RMS, sieht Radiopromotions als zukunftsfähiges Tool für eine strategische Markenführung:

„Unser Promotionpaket für die Deutsche Bahn beweist, dass Radio zielgerichtet einsetzbar ist. Die persönlichen Geschichten der Hörer machen den Vorteil der schnellen Verbindung hautnah erlebbar und untermauern den USP [= Unique Selling Proposition = Alleinstellungsmerkmal, tc] des Produktes. Parallel stützt die Präsentation durch den bekannten Radiomoderator die Glaubwürdigkeit der Information enorm. Darüber hinaus war für die Deutsche Bahn entscheidend, dass die Aktion im Radio zeitlich und räumlich exakt auszusteuern war.“

Quelle: radioforen.de

Stellungnahme der Deutschen Bahn AG (16.06.2009)

„Bei der Promotion-Maßnahme mit mehreren Radiosendern in Berlin und Hamburg handelt es sich keineswegs um verdeckte PR oder auch Schleichwerbung. Vielmehr handelt es sich um eine Sonderwerbeform, also eine Kooperation zwischen Sender und in diesem Fall der Deutschen Bahn, mit der auf ein Gewinnspiel aufmerksam gemacht wird. Solche Sonderwerbeformen sind seit Jahren bei privaten Radiosendern in Deutschland gängig und wurden bislang von den Landesmedienanstalten nicht beanstandet. Bei allen Spots, die jeweils im Werbeblock ausgestrahlt wurden, waren als Absender die Deutsche Bahn und der jeweilige Sender klar erkennbar.“

Quelle: radioszene.de

Weiterführende Links

Die lukrativen Nebentätigkeiten prominenter Moderatoren von ARD und ZDF

Nebenverdienste: Wie Fernsehmoderatoren ihre Prominenz vermarkten

Basissendung von ZAPP
Von Anne Ruprecht und Timo Großpietsch im NDR Fernsehen am 17. Juni 2009
Dokumentation der Sendung: ndr.de/sendungen/zapp/archiv

Fernsehen und Stars - Tom Buhrow und die Gier

Von H.-J. Jakobs und K. Riehl in der Süddeutschen Zeitung vom 18. Juni 2009
Artikel: sueddeutsche.de/kultur