Das GANZE Werk - Presseschau

Hamburger Sender kämpfen um Klassik-Hörer

„NDR Kultur“ hat schlechte Quoten. Mit einem neuen Konzept will man jetzt die private Konkurrenz angreifen.

von Cornelis Rattmann

Ob Brahms, Bach oder Beethoven - wer gern Klassik im Radio hört, hatte es in Hamburg bisher einfach bei der Auswahl des Programms: Anspruchsvolle, auch längere Werke lieferte der öffentlich-rechtliche NDR; kürzere Titel von Purcell bis Pavarotti, die dem gestressten Großstädter beim Entspannen helfen, bot das private Klassik Radio.

Doch seit Jahresanfang ist alles anders: Der NDR hat seiner E-Musik-Sparte den Namen „NDR Kultur“ verpasst und das Programm an Werktagen auf leichtere Kost umgestellt. Die Zahl der Musikstücke wurde erhöht, neben Ouvertüren und Adagios darf es auch mal die Melodie eines Hollywood-Streifens sein. Dazwischen sorgen Interviews, Rezensionen oder Kulturnachrichten für Kurzweil.

Grund für die einschneidende Reform ist der dramatische Hörerschwund. Gerade noch 214000 Menschen schalten das Klassik-Programm des NDR täglich ein - der Marktanteil beläuft sich im Sendegebiet auf 1,3 Prozent. In Hamburg erreicht der Sender 0,7 Prozent der Hörer - etwa soviel wie der Offene Kanal.

Bevor man Gefahr lief, das mit 45 Mitarbeitern und mit Rundfunkgebühren produzierte Programm völlig unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu senden, zogen die Verantwortlichen die Notbremse. „Der Kulturauftrag soll gewahrt bleiben, aber die Quote nicht vernachlässigt werden“, erklärt „NDR-Kultur“-Chef Wolfgang Knauer. Die „neuen Kulturorientierten“ wolle man hinzugewinnen: „Jüngere Hörer, die nicht nur klassische Musik mögen und das Radio als Begleitmedium für den ganzen Tag nutzen“. Und für die schneidert man ein Programm, „das möglichst wenig Ausschaltimpulse bietet“.

Der neue Kurs stößt beim Stammpublikum nicht nur auf Begeisterung: Der Sender sei zu einem „Dudel- und Sabbelfunk“ verkommen, empört sich mancher. Andere Anhänger wollen eine Annäherung an das Programm von Klassik Radio mit seinem erfolgreicheren Mainstream-Angebot herausgehört haben. Das aber weist Knauer entschieden von sich - nicht ohne Seitenhiebe auf die private Konkurrenz auszuteilen: „Ich glaube nicht, dass man uns im Ernst mit Klassik Radio vergleichen kann, sowohl was die Vielfalt als auch die Qualität angeht.“

Bei dem Privatsender sieht man das durchaus anders: „Wir stellen fest, dass jetzt auch die ARD-Sender danach schauen, wie erfolgreich wir unser Programm gestalten“, meint Markus Langemann, Geschäftsführer und Programmdirektor von Klassik Radio - und übt sogleich Kritik an der NDR-Reform: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte sich auf seinen Kultur- und Bildungsauftrag konzentrieren, statt nach mehr Reichweite zu schielen.“

Das Buhlen des NDR um die Gunst der Klassik-Gemeinde im Norden trifft den Privatsender mitten in einer Konsolidierungsphase: „Gerade in den letzten beiden Jahren konnten wir die Reichweite deutlich steigern“, erläutert Langemann. Zuletzt hatte sich der Marktanteil in Hamburg auf drei Prozent erhöht. Bundesweit hören eine Million Menschen täglich das private Klassik-Programm.

Ende des Jahres will der Sender den Break-Even erreichen - was nicht zuletzt einem harten Sparkurs zu verdanken ist. Personal wurde abgebaut, heute sendet Klassik Radio von Hamburg aus mit zwölf Mitarbeitern. Die Nachrichten liefert die Berliner „Netzeitung“ zu. Der Sparkurs hat Spuren hinterlassen: Sendungen werden gleich mehrfach wiederholt, immer mal wieder kommt es zu technischen Pannen: Da gehen Werbung und Nachrichten zeitgleich über den Sender, Titel werden falsch angesagt, weil die Anmoderation fehlerhaft programmiert wurde.

Trotz aller Probleme: Der private Sender kann mittlerweile von seinen Werbeeinnahmen leben. Langemann: „Als bundesweite Premium-Marke verstehen wir uns als Plattform für die großen Markenartikler. Wir sind in der Lage, ein Paket von wenigen Big Brands auf die Antenne zu nehmen und damit das Unternehmen solide zu finanzieren.“

Als nächstes soll das Programm regionalisiert werden, erläutert Langemann: „Wir wollen die Hörer mit lokalen Wetter-, Verkehrs- und Veranstaltungsinformationen versorgen.“ Damit werde man voraussichtlich im zweiten Quartal in Hamburg starten - und damit „NDR Kultur“ das Leben wieder ein bisschen schwerer machen.

Die Welt, Feuilleton Hamburg, 10. Februar 2003