Das GANZE Werk - Presseschau

Hamburger Abendblatt, 7. Februar 2004

Klassisch durch den Tag

Analyse: Über Verjüngungskuren bei NDR Kultur und Anpassungen an Klassik Radio

Von Bettina Brinker

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Hamburg - Einschalten oder Ausschalten? Diese Frage stellt sich wohl nur noch den Hörern. Den Radiomachern geht es in erster Linie darum, dass die Hörer möglichst lange beim eigenen Sender verweilen. Das gilt auch für die öffentlich-rechtlichen Kulturradios.

Der NDR unterzog sein Programm in mehreren Etappen einer Verjüngungskur - erst unter Wolfgang Knauer, seit vergangenem Sommer unter der neuen Wellenchefin Barbara Mirow. Aus Radio 3 wurde am 1. Januar 2003 NDR Kultur. Damit rückte der erfolgreiche private Konkurrenzsender Klassik Radio wieder verstärkt ins Blickfeld. Denn der NDR wollte wohl auch einen Teil jener Hörer, die zu Klassik Radio abgewandert waren, wieder zurückgewinnen. Das Rezept hieß "Tagesbegleitmedium". Man wollte sich, wie Klassik Radio es seit knapp 14 Jahren vormacht, dem normalen Tagesablauf der Menschen anpassen. Tagsüber wurde das Programm auf "Durchhörbarkeit" hin konzipiert. Denn wer hört schon gern zum Frühstück eine ganze Bruckner-Sinfonie oder ein Streichquartett von Ligeti in der Rush-Hour? Größere Wort- und Musiksendungen wurden ins Abendprogramm geschoben - auch das gab es bei Klassik Radio anfangs.

Manch treuer NDR Kultur-Hörer bedauert diesen Wandel. Zumal tagsüber die klassische Musik eher in Häppchen serviert wird und sich aus dem zentralen Reperoire speist - also beliebten Stücken vorwiegend aus den Epochen Klassik und Romantik, auch dem Barock. Sogar klassisch anheimelnde U-Musiken à la Klassik Radio, etwa Melodien aus Hollywood-Streifen, wurde der leichteren Musikmixtur hinzugefügt. Das Ganze übrigens nett moderiert mit Stimmen, die teilweise vorher noch beim privaten Konkurrenzsender zu hören waren. Und so startet man heute mit NDR Kultur "Klassisch in den Tag", ist mit dem Sender "Klassisch unterwegs" und wird ganz entspannt "Klassisch in die Nacht" entlassen.

Damit hat der Sender seinen bildungsbürgerlichen Kulturbegriff erweitert, aber nicht verändert in Richtung Klassik Radio. Die private Konkurrenz setzt auf eine durchgestylte Musikmischung, bei der Mozart wie selbstverständlich in sanft verpoppte Klassik, in Filmmusiken oder einfach "New Classics" übergeht - also alles, was zumindest für den Sender noch nach Klassik klingt. NDR Kultur ist immer noch ein Kulturradio - eines, das sich aber nun dem Konzept, mit dem Klassik Radio 1990 startete, angenähert hat. Tagsüber: Begleitprogramm, abends: Einschaltprogramm. Um den Bedürfnissen der Stammhörer und einer neuen Generation von Kulturinteressierten entgegenzukommen.

Denn nur die kulturaufgeschlossene jüngere Generation sichert das Überleben der öffentlich-rechtlichen Kulturwellen. Problematisch hingegen ist, dass NDR Kultur ebenso wie die anderen Kulturradios der ARD - die sich mit Blick auf die Quote allesamt verjüngt haben - allmählich an eigenem Profil verlieren. In diesem Fall könnten sie irgendwann ihre föderalistische Struktur aufgeben. Die Frage, die sich das Programm-Management doch stellen muss, ist: Inwieweit kann das öffentlich-rechtliche Kulturradio den Bedürfnissen der Hörer nachkommen und gleichzeitig seinen Kulturauftrag wahrnehmen?