Das GANZE Werk - Presseschau

Hamburger Abendblatt, 19. Juli 2004

Rolf Beck - viele Jobs, viel Macht

Ämterfülle: Der Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals zieht an vielen Strippen

Von Joachim Mischke

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Hamburg - „Die Machtposition Rolf Becks ist ein problematisches Thema, aber sie bedeutet vor allem Verantwortung seinerseits. Ich wünsche mir, dass diese Verantwortung ernsthaft wahrgenommen wird.“ Als Daniel Kühnel, frisch gebackener Intendant der Hamburger Symphoniker, diese Einschätzung in einem „Welt“-Interview von sich gab, war bei seinen ortsansässigen Branchen-Kollegen ein verblüfftes „Holla!“ zu hören. So direkt wollte der junge Neu-Hamburger es zwar danach nicht gesagt haben, doch sprach er aus, was viele denken, aber nur hinter vorgehaltener Hand erwähnen: Rolf Beck, seit 1998 Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) und Herr über alle Klangkörper des NDR, ist im Norden längst so etwas wie ein inoffizieller Generalintendant für den Bereich Musik, länderübergreifend und in vielerlei Hinsicht subventionsunabhängig.

Mittlerweile ist Beck nach dem Ausscheiden von NDR-Chefdirigent Christoph Eschenbach alleiniger Intendant beim SHMF, sein Vertrag dort läuft bis 2008. Das immer dichtere Netz der Querverbindungen, die clever aufeinander abgestimmten Synergie-Effekte ermöglichen dem System Beck unbestreitbaren Erfolg - das SHMF steigert von Jahr zu Jahr seine Verkaufszahlen, der NDR veranstaltet Konzerte, die andere sich nicht leisten können. Ob es allerdings gut ist, dass ein einziger Verantwortlicher maßgeblich viele Facetten der Kultur einer Metropolregion bestimmt, ohne einer entsprechenden Kontrolle unterworfen zu sein, steht auf einem anderen Blatt.

Die beiden Chefposten bei NDR und SHMF erlauben Beck Doppelpässe nach Belieben - er kann Gast-Dirigenten und Solisten sowohl für die vielen Abo-Konzerte des Sinfonieorchesters als auch für das SHMF engagieren und so deren Marktwert steigern. Oder eben nicht. Der NDR sponsert das Festival durch die Gratis-Auftritte des Hausorchesters und bewirbt die Veranstaltungen ebenso gratis als Medienpartner. Der „Spiegel“ vermeldete kürzlich, dass auch sämtliche Einnahmen aus den SHMF-Kartenverkäufen für NDR-Konzerte beim Veranstalter bleiben. Die Frage, ob unter solchen Bedingungen eine unabhängige und gegebenenfalls kritische Festival-Berichterstattung für den öffentlich-rechtlichen Sender noch möglich ist, drängt sich auf.

Fast alle Sparten der NDR-Konzertangebote sind von Beck auf Linie gebracht worden. Der lange vor sich hin dümpelnden Reihe „das neue werk“ hauchte er mit großen Komponisten-Schwerpunkten und exklusiven Hochpreis-Interpreten frisches Leben ein. Das Ende der traditionellen Zusammenarbeit zwischen NDR und Philharmonischem Staatsorchester beim „neuen werk“ fiel in Becks Amtszeit. Mit Kooperationen des „neuen werks“ schlägt er lieber eigene Brücken ins Hamburger Konzertleben. Einerseits beim SHMF, indem die Freistil-Reihe „Anbruch“ auf Kampnagel neues, junges Publikum erschließt; andererseits in diesem Herbst erstmals mit der „Oktogonale“ im Bucerius Kunst Forum. Sie wird maßgeblich von der „Zeit“-Stiftung finanziert, kann sich ihre Spitzen-Solisten aber nur durch eine Mischfinanzierung leisten, da der NDR deren Konzerte dann eben nicht mehr im sendereigenen Rolf-Liebermann-Studio, sondern in dem Ausstellungsraum präsentiert.

Auch beim „Alten Werk“ wurde jetzt einiges anders: Die seit Jahren verantwortliche Redakteurin wurde ausgewechselt, jetzt sitzt eine Beck-Mitarbeiterin auf dem Posten. In der nächsten Spielzeit wird es erstmals auch Konzerte in der Musikhalle geben, um dort eine Duftmarke für dieses Genre zu setzen, bevor es andere tun, allen voran Musikhallen-Geschäftsführer Benedikt Stampa.

Beim NDR-Chor, der unter Spardruck von oben steht, geht unterdessen die Angst vor Sanktionen und Stellenabbau um, nachdem der Vertrag des erfolgreichen Chordirektors Hans-Christoph Rademann von Beck überraschend nicht verlängert wurde. Man befürchtet, zum Projektchor dezimiert zu werden, dem je nach Anlass ein Gastdirigent vorgestellt wird und der nach Bedarf mit Aushilfen bestückt wird. Pikanterweise ist der NDR-Chor, der sich unter Rademanns Leitung als Alte-Musik-Ensemble profiliert hat, nicht im Programm des Bach-Fests im Herbst vertreten.

Mittlerweile ist der ausgebildete Chorleiter Beck, dessen große Passion das Dirigieren ist, auch auf diesem Gebiet aktiv geworden. Doch während sich beispielsweise Peter Ruzicka in seiner Amtszeit als Hamburger Staatsopern-Chef Dirigaten in seinem Wirkungskreis versagte, ist Beck in diesem Sommer als Dirigent erneut beim eigenen Festival auf dem Spielplan. Am 22. Juli dirigiert er Bachs h-Moll-Messe mit der von ihm ins Leben gerufenen SHMF-Chorakademie in Lüneburg.

1983 gründete der Rilling-Schüler Beck den Chor der Bamberger Symphoniker und leitet ihn nach wie vor, dort war er vor seiner Berufung nach Hamburg auch Orchesterintendant. Diesen Posten hat vor einigen Monaten Paul Müller übernommen, der zuvor in Hamburg als Sinfonieorchesterredakteur unter Beck arbeitete. Die Bamberger gastieren in diesem Sommer beim SHMF, mit ihrem Chefdirigenten Jonathan Nott, der auch schon das NDR-Sinfonieorchester dirigiert hat. Mit dabei ist auch der Chor der Bamberger Symphoniker, nach dem Konzert in Hamburg geht es weiter zu den Salzburger Festspielen.

Vor wenigen Wochen fand in Bamberg ein Mahler-Dirigierwettbewerb zur Suche junger Talente statt, mit in der Jury saß: Rolf Beck. Anfang August gastiert das Bundesjugendorchester auf Einladung von Rolf Beck für ein Sonderkonzert in Salzau. Motor des Orchesters ist die Deutsche Stiftung Musikleben, ein Mitglied des Vorstands ist: Rolf Beck.

Dass Machtpolitik auch Personalpolitik ist, stellt Beck hin und wieder im Hamburger Kulturleben unter Beweis. Er war Vorsitzender des Hochschulrats, der für die Musikhochschule einen Nachfolger für Hermann Rauhe suchte und ihn in dem Wittener Professor Elmar Lampson fand.

Vor einigen Monaten hatte Beck konkrete Ideen für ein Hanse-Fest, die auf einer Zusammenarbeit mit dem Schleswig-Holstein Musik Festival basierten; die damalige Kultursenatorin baute lieber eigene Luftschlösser, seitdem ist von alldem nichts mehr zu hören. An den sehr diskret vorangetriebenen Planungen rund um eine Hamburger Kultur-Triennale unter der Lufthoheit von „Zeit“-Chefredakteur Michael Naumann und unter Teilnahme vieler Theater- und Museumschefs soll Beck angeblich aber nicht beteiligt sein.

Das größte langfristige Ziel jedoch, die Krönung seiner Laufbahn, scheint für ihn der Chefposten in der Elbphilharmonie auf dem Kaispeicher A zu sein, die pünktlich zum Ende seines bisherigen SHMF-Vertrags betriebsfertig sein könnte. Hinter den Kulissen rumort es bereits mächtig, nicht zuletzt, weil Beck als NDR-Vertreter womöglich jene Millionen als Mitgift mitbrächte, die zur Finanzierung des Baus nötig wären und dem NDR ein Mitspracherecht beim Betrieb des Saals sicherten.