Das GANZE Werk - Presseschau

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 25. August 2004

Qualität statt Quote

Kein Formathören: DeutschlandRadio Kultur vor der Reform

Von Christian Deutschmann

Seit jeher zeichnet sich der Kölner Deutschlandfunk (DLF) durch ein kreuzsolides Informationsprogramm aus. Der Halbsatz "... sagte gestern im Deutschlandfunk" gehört zu den geflügelten Worten des bundesrepublikanischen Nachrichtenalltags und wird, wen wundert's, gerne in den Werbekampagnen des Senders aufgegriffen. Ein offensichtlich tiefes Vertrauensverhältnis zwischen dem Sender und Politikern gleich weicher Couleur mag, auch in der Kürze, deren sich das Programm mit seinem unaufhörlichen Informationsstrom befleißigt, den Ausschlag dafür geben, daß da nicht allein Unverbindlichkeiten ausgetauscht werden, sondern oft genug auch Substantielles zu hören ist. Doch hat dies nicht dazu geführt, daß der Kultur beim DLF ein Schattendasein zugefallen ist. Berichterstattungen und Rezensionen, Feature, ja selbst das Hörspiel, auch wenn der DLF hier vorwiegend Abspielstätte von anderswo Produziertem ist, fallen häufig genug durch Seriosität, Gründlichkeit wie programmatische Gewitztheit auf.

Auf weniger stabilen Fundamenten ruht seit seiner Gründung vor zehn Jahren das Deutschlandradio (DLR) Berlin. Nach dem Vorbild der beiden Fernsehprogramme von ARD und ZDF hatte man wenige Jahre nach der deutschen Einheit unter dem nationalen Hörfunkdach Deutschlandradio zwei bundesweit operierende Programme etabliert, die den regionalen Programmen etwas entgegensetzen sollten, ohne ihnen als Konkurrent unangenehm zu werden. So schlossen sich der bereits seit langem existierende Deutschlandfunk in Köln und das "Deutschlandradio Berlin" zusammen, eine Fusion zweier Relikte der Vorwendezeit: des Rias Berlin und des einstigen, inzwischen selber gewendeten DDR-Programms "Deutschlandsender Kultur". Sei's nun ein Heraustreten aus regionalen Begrenztheiten in deutsche Gesamtbefindlichkeiten, sei's ein Hauch Weltoffenheit - als "nationaler Hörfunk und Radio aller deutschen Länder", wie Intendant Ernst Elitz es nennt, verwendet das Deutschlandradio immer noch viel Energie darauf, der Öffentlichkeit die Besonderheit seines Daseins klarzumachen.

Neuer Start mit neuem Namen

Weit mehr als der offensichtlich unerschütterliche DLF hatte daran bislang "Deutschlandradio Berlin" zu tragen. Als Kulturprogramm sollte es der Nachrichtendominanz des Kölner Bruders etwas Eigenes hinzufügen, ohne sich von der politischen Bühne zu verabschieden. Und als Fusion eines West- und ehemaligen Frontstadtprogramms mit dem einzig verbliebenen Ostsender hatte es erst einmal genug mit dem Kraftakt zu tun, die Befindlichkeiten zweier konträrer Belegschaften miteinander ins Verhältnis zu bringen, wenn nicht gar zu verschmelzen. Es ist kein Geheimnis, daß seitdem das Berliner Deutschlandradio im Windschatten des großen Kölner Bruders DLF segelt. Mit gerade einem Viertel der täglichen Hörerschaft des DLF sind die Einschaltquoten, durch immer noch ungenügende bundesweite Erreichbarkeit ohnehin geschmälert, nicht gerade berauschend, und auch das Profil aus dem Berliner Haus, selbst wenn da im einzelnen Respektables vollbracht wird, fällt eher durch Gesichtslosigkeit und buntes Nebeneinander denn durch klare Strukturen auf.

Jetzt freilich Scheint in Berlin ein neuer Wind zu wehen. Denn mit dem Amtsantritt von Günter Müchler, der bereits das Kölner Programm leitet und vor einem Vierteljahr auch Chef des Berliner Hauses wurde, stehen dem DLR Berlin vielversprechende Reformen ins Haus. Müchler, ein klarer, überaus besonnen formulierender Kopf, scheint nicht gerade versessen darauf, den ebenso schicken wie griffigen Formulierungen, mit denen neuerdings die Kulturprogramme von sich reden machen, neue hinzuzusetzen. Der bisher eher verlegen umraunten Programmcharakteristik ("ein nationales Kulturprogramm") wird künftig mit einer Namensänderung selbstbewußt Rechnung getragen. Mit dem Start des reformierten Programms im kommenden Frühjahr wird DLR Berlin hinfort "Deutschlandradio Kultur" heißen.

Musik statt Klangteppich

Doch auch in seiner Programmatik scheint das Berliner Haus Vorstöße in Neuland wagen zu wollen. So spricht Müchler von "kontradiktorischen Antworten", die er auf den gegenwärtigen "Mainstream" der Hörfunk-Kulturprogramme geben wolle. Das Angebot, er nennt es "kulturell, aber nicht kulinarisch", solle sich wieder mehr an den Tagesfragen, den großen Ereignissen und Auseinandersetzungen orientieren. Das Radio, allzulange schon ein bloßer Nachläufer jener Debatten, wie sie in den Feuilletons der großen Tageszeitungen ausgetragen werden, solle wieder mehr in deren Zentrum vorstoßen. Auch wenn es dann bei der Kleingliedrigkeit der Beiträge im "Tagesbegleitprogramm" bleibt, wird wohl nur wenig an das "Formatradio" vieler anderer Kulturprogramme erinnern. Müchlers Zauberformel heißt Redundanz: Themen sollen wiederholt aufgegriffen und unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden, "Verschränkungen" von Politik und Kultur dafür sorgen, daß blindes Ressortdenken unterbleibt. Auch einer Aufwertung der Kultur spricht er das Wort.

Bei aller Wortbetontheit wird die Musik wohl zumindest im Tagesprogramm zurücktreten. An die Stelle illustrierender Klangteppiche werden Stücke treten, die an Jahrestage, Ereignisse, Namen und dergleichen erinnern, wenn sie nicht gleich als "CD der Stunde" in aller Ausführlichkeit präsentiert werden. Den Abend werden verstärkt die rundfunkeigenen Klangkörper - mit zwei renommierten Orchestern und zwei ebenso berühmten Chören ist Berlin reich gesegnet - verschönen, aber nicht nur sie. Einem erweiterten Kulturbegriff folgend, werden sich den Konzertaufnahmen und -Übertragungen einmal pro Woche Pop und Rock hinzugesellen.

Beruhigen dürfte es die Hörer des klassischen Radios, daß nicht an den Abbau der großen Wortflächen des Abendprogramms gedacht ist. Das Berliner Haus, bisher schon mit täglichen Hörspiel- und Featureterminen und allein 2004 mit fünfundsechzig Neuproduktionen verwöhnt, soll auch in Zukunft eine "Pflanzstätte des Hörspiels" (Müchler) bleiben und der Umbau des Hörspielstudios die größte Investition der nächsten Jahre werden.

Täuscht nicht alles, so werden uns vom nächsten Frühjahr an also ein paar neue Töne im Konzert der deutschen Kulturradioprogramme begegnen. Die kreative Anstrengung, von der Müchler spricht, erfaßt gegenwärtig nicht nur die Chefs des Hauses, am Ideensammeln soll vielmehr eine zweistellige Zahl von Redakteuren beteiligt sein. Selbst Etatkürzungen wie die Einsparung von fünf Prozent der bis Ende 2006 frei werdenden Planstellen schreckt sie offenbar nicht. Daß endlich einmal Ideen zirkulieren und nicht allein von Anpassungen an Quoten und angebliche Hörgewohnheiten die Rede ist, dürfte jedenfalls genügen, den Diskussionen übers Kulturradio unserer Tage neuen Auftrieb zu geben.

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