Das GANZE Werk - Presseschau

Artikel des Hamburger Abendblattes zum Ende der Gebührendebatte

Das Spar-Programm der ARD

Intendant Jobst Plog: Keine Gefahr für die NDR-Orchester - aber auch kein Geld für die Elbphilharmonie

Von Joachim Mischke

Hamburg - Die Todesursache: neun Millionen Euro pro Jahr für 71 Planstellen. Soviel kostet das Münchner Rundfunkorchester den Bayerischen Rundfunk, und so wenig - unter ein Prozent des BR-Gesamtetats - ist dem Sender sein Kulturauftrag angesichts der Diskussion um das Ausmaß der Rundfunkgebührenerhöhung nun nicht mehr wert. Vor kurzem haben die Ministerpräsidenten der Länder entschieden, daß die nächste Erhöhung statt der vorgeschlagenen 1,09 Euro monatlich 88 Cent betragen soll. Die ARD-Sender hatten ursprünglich 2,01 Euro gefordert. Sollte diese Minus-Steigerung verabschiedet werden, muß die ARD in den nächsten vier Jahren auf 280 Millionen Euro verzichten. Jetzt werden die Rotstifte gespitzt.

Das BR-Rundfunkorchester, das sich gegenüber dem prominenteren BR-Symphonieorchester mit einfallsreichen Programmen gut profiliert hatte, hat dieser Sparzwang an der falschen Stelle eiskalt erwischt: Es wird zum Saisonende 2005/6 aufgelöst. Chefdirigent Marcello Viotti, fassungslos und frustriert über die Art der Abwicklung, hat seinen Taktstock hingeworfen, Orchester-Manager Gernot Rehrl hat seine Kündigung eingereicht. Wütende Proteste gegen den bajuwarischen "Holzhackerstil" (FAZ) stießen auf taube Ohren. Es nützt wohl auch nichts, daß der 2. Deutsche Orchestertag, zu dem sich an diesem Wochenende Dutzende von Intendanten in Berlin treffen, ein großes Lamento anstimmen und eine solidarisierende Resolution verabschieden will.

Insgesamt unterhält die ARD 26 Orchester, Big Bands und Chöre; durchschnittlich 36 Cent der monatlichen 16,15 Euro Gebühr finanzieren diese Klangkörper, die rund 1700 Musikerinnen und Musiker kosten jährlich rund 150 Millionen Euro.

In den letzten Jahren gingen immer mehr Spitzen-Rundfunkorchester lieber auf internationale Tourneen, die sowohl das Renommee steigern als auch Bares einbringen, als sich ihren Hörern vor Ort zu empfehlen. Und die Zeiten, in denen Sender vorbehaltlos stolz auf den Luxus ihrer Orchester waren, sind vorbei. Geht es nach dem Willen der Sparkommissare, wird es jetzt eng für so manches Ensemble, dessen Qualität das Kulturniveau insbesondere in jenen Regionen hebt, in denen sich die öffentliche Hand solche Institutionen nicht mehr leisten kann oder will. Diese kulturelle Grundversorgung wird nun womöglich dem Quotendenken geopfert.

Denn immer mehr Sender denken mittlerweile mehr oder weniger laut darüber nach, dem BR-Massaker weitere folgen zu lassen: Das Orchester des Saarländischen Rundfunks schaut verängstigt in die Zukunft. Beim SWR wird nicht nur über Orchester-Fusionsplänen gebrütet, sondern auch über das Engagement bei den Donaueschinger Musiktagen. Der WDR macht sich so seine Gedanken über die Wittener Tage für Neue Kammermusik und den ARD-Musikwettbewerb. Und in Berlin ist die Situation in der Orchesterszene ohnehin so verfahren, daß kaum jemand durchblickt. Doch die generelle Stoßrichtung ist klar: streichen, wo nur Minderheiten zu vermuten sind - und damit kaum Gegenwehr.

Die Lage beim NDR jedoch ist offiziell zwar chronisch schwierig, aber aktuell entspannt. Schon angesichts der senderspezifischen, personalintensiven Verpflichtung, vier Bundesländer zu bespielen, wird an Streichungen nicht gedacht. Intendant Jobst Plog: "Die Situation ist durchaus kompliziert, aber in den Griff zu bekommen." Man habe in den vergangenen Jahren beim NDR insgesamt weit über 500 Stellen abgebaut und Einsparpotenziale genutzt. Deswegen stünde aus heutiger Sicht weder die Einstellung von Programmen noch die Auflösung von Klangkörpern zur Debatte, so Plog. Gleichzeitig erteilte er aber auch einer seit langem in Hamburg kursierenden Vermutung einen Dämpfer: "Unabhängig von der Gebührenentscheidung sieht der NDR nach wie vor keine Möglichkeit, sich an den Baukosten einer Elbphilharmonie zu beteiligen."

Hamburger Abendblatt, 13. November 2004

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Von Kay E. Sattelmair, Bild Hamburg, 23.12.2004

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