Das GANZE Werk - Presseschau

Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 9. März 2005

Hoffnung für NDR-Kultur-geschädigte Hörer?

Die bessere Nachricht: Deutschlandradio Berlin heißt jetzt Deutschlandradio Kultur - und macht Programm mit Format

Beim NDR-Kulturfunk hat die Vermozartung und Werkamputierung und Wortvernichtung derart zugeschlagen, dass nur noch ein Werbeslogan fehlt, der die besten Hits des 16., 17. und 18. Jahrhunderts verspricht

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Von Bert Strebe

Die gute Nachricht: Kultur im Radio hat wieder mehr Hörer. Seit der Programmreform 2003 hat der Sender NDR Kultur einen Publikumszuwachs zu verzeichnen. Nach den heute veröffentlichten Zahlen der Mediaanalyse hörten täglich etwa 274.000 Menschen das Programm. Das ist eine Steigerung von 1,6 auf 2,0 Prozent der Hörerschaft.

Vielleicht liegt das auch daran, dass die Bevölkerung älter wird. Oder dass die Hörer anderer Wellen, deren Moderatoren penetrant ihre entsetzlich künstliche gute Laune durch den Äther blasen, in Scharen flüchten. Denn am NDR-Kulturfunk kann es eigentlich nicht liegen. Da hat die Vermozartung und Werkamputierung und Wortvernichtung derart zugeschlagen, dass nur eines fehlt: ein Werbeslogan, der die besten Hits des 16., 17. und 18. Jahrhunderts verspricht.

Die bessere Nachricht: Es gibt eine Alternative. Es gibt sie schon lange, doch nun ist sie noch attraktiver geworden: Deutschlandradio Kultur. Der Sender entstand 1994 unter dem Namen Deutschlandradio Berlin aus dem Zusammenschluss vom Deutschlandsender Kultur (Ost) und dem Rias Berlin als Schwesterwelle des Deutschlandfunks.

Das Deutschlandradio war schon immer eine gute Adresse für die, die spannende Features, ausführliche Buchbesprechungen und Interviews hören wollen, in denen der Interviewer den Interviewten nicht durch Eineminutedrei-ßigsekunden treibt. Seit Anfang der Woche trägt das Deutschlandradio den Kultur-Zusatz im Namen und kommt in neuem Gewand daher. Und diesmal besteht das Konzept - welches Wunder - nicht aus der Verflachung des Musikangebots und der Häppchenbildung beim Wortanteil wie bei nahezu allen so genannten Reformen der Kultursender im Lande. Im Gegenteil.

Eine kleine Auswahl. 7.20 Uhr: Politisches Feuilleton zum Thema "Lust auf Klassik - die Sehnsucht nach dem zeitlos Gültigen". 9.09 Uhr: Gespräch mit Wolf Biermann, der Shakespeare vertont hat. 11.37 Uhr: Kulturtipps für den Tag. 14.33 Uhr: Besprechung des Lyrikbandes "Auf die schönen Possen" von Volker Braun. 17.07 Uhr: "Ortszeit", die (politischen) Themen des Tages. 19.07 Uhr: "Fazit am Abend", ein neuer kleiner Ableger des täglichen Kulturmagazins "Fazit", das um 23.05 Uhr eine Stunde lang alles kulturell Wichtige vorstellt, einschließlich der Premierenberichte vom selben Abend mit dem Kritiker am Telefon - schon lange eines der besten Kulturmagazine der Republik. Dazu locker vorgetragene Kulturnachrichten jeweils um halb, sechsmal täglich Buchbesprechungen, alles eingebettet in zwei dreistündige Radiofeuilletons von 9 bis 12 und von 14 bis 17 Uhr. Abends Konzerte, Hörspiele, Lesungen, Features.

Das ist Formatradio. Aber mit Format. Das Programm kommt entspannt, aber nicht behäbig, sachlich, aber nicht trocken, kulturbeflissen, aber nicht weihevoll daher. Die Chancen, dass damit der bisher eher übersichtliche Kreis von 250 000 Hörern pro Tag größer wird, stehen nicht schlecht. Zumal die Musikfarbe nicht, wie sonst üblich, konfektioniert ist. Wir hören "Gypsies, Tramps and Thieves" mit Cher, dann wieder Händel, an ein Stück von Genesis schließt sich ein Trompetensatz von Johann Nepomuk Hummel an. In der Generation der 35 plus x lauscht ja auch, wer nicht geschmacklich völlig festgelegt ist, erst den Stones, dann Robbie Williams, dann Vivaldi.

Der Nachteil des Deutschlandradios ist, dass es - anders als der Name suggeriert - über Antenne beileibe nicht bundesweit zu empfangen ist. Gerade in Niedersachsen gibt es weiße Flecken auf der Frequenzkarte, und die ausstrahlenden Stationen sind schwach, so dass eine Autofahrt mit dem Kulturfunk nicht immer die reine Freude ist. Es gibt Aussichten, dass sich das ändern wird, im Ostfriesischen und im Raum Cloppenburg, aber zwischen Hannover und Bremen beispielsweise ist der Empfang oft schwierig.

Doch dann hört man eben unterwegs ein bisschen NDR Kultur. Und freut sich auf zu Hause.