Das GANZE Werk - Presseschau

Zitate
Die Verfassung macht dem öffentlichen Rundfunk klare Vorgaben. Das Bundesverfassungsgericht ist der Meinung, dass die „besondere Eigenart“ des öffentlichen Rundfunks - „namentlich seine Finanzierung durch Gebühren“ - erst durch die Erbringung solcher Programmteile „ihre Rechtfertigung“ findet, die unter kommerziellen Bedingungen notwendig defizitär bleiben. (...)
In seinem Papier mokiert sich Intendant Voß über zu wenig Resonanz auf die Entscheidungen des Rundfunks - wenn die Musikszene sich nicht wehrt und Strategien für die Zukunft entwickelt, wird Unwiderbringliches zerstört werden.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. März 2005

Auftrag, nicht Wohltat - Öffentlicher Rundfunk und Neue Musik

Von Gerhart Baum

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„München war der Dammbruch“ - das war das Fazit einer Podiumsdiskussion Ende November in München, bei der Wolfgang Rihm, Manfred Trojahn, Peter Ruzicka, Siegfried Mauser, Peter Sloterdijk und ich die gefährlichen Kürzungen der Musikförderung diskutiert hatten. Gemeint war die Entscheidung des Bayrischen Rundfunks, das Rundfunkorchester aufzulösen - ein Orchester mit Tradition, Qualität und besonderen Verdiensten in der Jugendarbeit. Eine inhaltliche Begründung wurde nicht gegeben. Intendant Gruber verwies auf die Gebührenentscheidung der Ministerpräsidenten und auf die besondere Verantwortung von Stoiber, der gemeinsam mit anderen Ministerpräsidenten Einsparungen bei den Klangkörpern nahe gelegt hatte - eine merkwürdige Interpretation von Rundfunkfreiheit, auf der Intendanten sonst nachdrücklich bestehen. Der Einspareffekt ist gering, andere herausragende Einsparungen des Senders wurden nicht genannt. Inzwischen ist die Entscheidung auf massiven Protest abgemildert worden. Das Orchester wird "nur" verkleinert.

Der SWR-Intendant Voß bezweifelt zwar die Verfassungsgemäßheit des Sparverlangens der Ministerpräsidenten, macht sich aber deren Rationalisierungsforderungen ausdrücklich zu eigen. In seinem Ende 2004 dem Rundfunkrat vorgelegten Papier zur „Zukunft der SWR-Klangkörper“ geht er aber noch einen Schritt weiter: Er stellt den Kulturauftrag der Sender in der bisherigen Form überhaupt in Frage, indem er ihn nur noch als Teil des Bildungsauftrages akzeptiert. Anders als nach dem Kriege, wo ohne Rundfunk eigene Klangkörper kein Musikprogramm hätte stattfinden können, sei heute „anspruchsvoller öffentlicher Rundfunk... auch ohne Rundfunk eigene Klangkörper möglich“. Rundfunk habe einen Vermittlungs- und nicht einen Entwicklungsauftrag. Und den könne er auch mit vorhandenen Tonträgern erfüllen. Mit dieser Argumentation begründet der SWR seine Entscheidung, sich vom Stuttgarter Festival Eclat zu trennen und das Vokalensemble des SWR so zu reduzieren, dass es - trotz aller gegenteiligen Beteuerungen - keine Überlebenschance mit dem bisherigen hohen künstlerischen Standard hat. Diese Entscheidung bleibt angesichts der im internationalen Vergleich herausragenden Bedeutung dieses Chores völlig unverständlich. Ein „Umbau“ der Rundfunkorchester ist für dieses Jahr angekündigt.

Beim Fußball beschränkt sich die ARD nicht allein auf den Vermittlungsauftrag. Es werden die Rechte gekauft und damit die Entwicklung des Profi-Fußballs gesichert. Der Fußballer wird weiter bezahlt, der Musiker nicht mehr. Diese zynische Feststellung kommt einem in den Sinn - auch, wenn sich Kultur und Sport nicht vergleichen lassen. Deutschland ist ein Kulturstaat, so interpretiert das Verfassungsgericht unser Grundgesetz.

Bleibt Voß bei seiner einschränkenden Interpretation des Kulturauftrags, womöglich bestätigt durch seine Gremien, macht er eine neue Front gegenüber der EU Kommission auf, die die Verwendung der Gebühren und die Unterscheidbarkeit gegenüber privaten Anbietern zunehmend kritisch hinterfragt.

Ernst Elitz, Intendant von DeutschlandRadio, hat zum Programmauftrag vor kurzem ausgeführt: „Die Rundfunkgebühr ist mehr als ein Finanzierungsinstrument. Sie ist eine Qualitätssicherheitsgebühr, und daraus ergeben sich Konsequenzen sowohl für die Politik wie für die Macher.“

Die Verfassung macht dem öffentlichen Rundfunk klare Vorgaben. Das Bundesverfassungsgericht ist der Meinung, dass die „besondere Eigenart“ des öffentlichen Rundfunks - „namentlich seine Finanzierung durch Gebühren“ - erst durch die Erbringung solcher Programmteile „ihre Rechtfertigung“ findet, die unter kommerziellen Bedingungen notwendig defizitär bleiben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk findet diese Rechtfertigung nicht schon darin, dass sich jeweils möglichst viele Menschen einschalten, sondern erst darin, dass er neben massenattraktiven Sendungen auch „anspruchsvolle kulturelle Sendungen“ mit einem „hohen Kostenaufwand“ in seinem Programm hat, „die nur für eine geringere Zahl von Teilnehmern von Interesse sind“. Prof. Kirchhoff, der frühere Verfassungsrichter, ist der Meinung, dass eine freiheitliche Gesellschaft ihren Mitgliedern die kulturelle Prägung zur Freiheitsfähigkeit vermitteln muss und dass dies auch eine Aufgabe des öffentlichen Rundfunks ist.

Jahrzehnte lang wurde der Kulturauftrag in ständiger Staatspraxis erfüllt - besonders wirksam auf dem Feld der Musik. Die international herausragende Entwicklung der zeitgenössischen Musik wäre in den letzten Jahrzehnten ohne zentralen Beistand des öffentlichen Rundfunks und seiner Klangkörper nicht möglich gewesen! Hier wurde der Rahmen geschaffen, in dem sich das gesamte Spektrum zeitgenössischen Musikschaffens bis heute präsentieren und dokumentieren kann. Das ist nicht mäzenatische Wohltat gewesen, sondern öffentlicher Auftrag, für dessen Erfüllung zur Zeit nur etwas mehr als 2% des Gebührenaufkommens mit Blick auf die Klangkörper verwendet wird. Es wurde Musikgeschichte geschrieben und es muss weiterhin Musikgeschichte geschrieben werden!

Zugegeben, die neue Musik hat es im Vergleich zu zeitgenössischer Malerei und Literatur mit Blick auf eine breite gesellschaftlichen Akzeptanz besonders schwer. Der Geruch von elitärer Minderheitenkultur hängt ihr an. Produktionen sind bisweilen kostspielig, sie „rechnen“ sich nicht. Die „Quote“ wird nicht erfüllt. Beängstigend ist allerdings, dass sich heute nahezu alles an ökonomischer Effizienz orientiert und kulturelle Bildung zunehmend einen geringeren Stellenwert einnimmt. Ein schlimmes Signal ist, dass der Musik- und Kunstunterricht an den Schulen immer mehr vernachlässigt wird. Sloterdijk sieht die „kontemplativen Eliten“ hinter den „Leistungseliten“ verschwinden - ja, wir leben in Zeiten zunehmender Kulturfeindlichkeit, von der unbequeme und herausfordernde Erscheinungsformen in der Kunst besonders betroffen sind - wie eben die neue Musik.

Sicherlich können einschneidende Reformen in unserem Land, die vielen Menschen Erhebliches zumuten, die Kultur nicht unberührt lassen. Es müssen aber angemessene Maßnahmen sein, und sie dürfen nicht Züge einer willkommenen Strafaktion tragen, wie die jüngsten Überlegungen einiger Intendanten des öffentlichen Rundfunks vermuten lassen. Alle Entscheidungen müssen getragen sein von dem Wissen um die besondere Verletzbarkeit der Kultur und von der Einsicht, dass eine Gesellschaft ohne Kultur nicht zukunftsfähig ist.

Ich fürchte, wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung, die zu empfindlichen Kahlschlägen in der deutschen Musiklandschaft führen wird. Es wird weitere spektakuläre Entscheidungen geben - wie die Auflösung von Orchestern bis zur Aufgabe von Musikfestivals, aber auch viele nicht offensichtliche Entscheidungen. Betroffen sind nicht nur die Orchester und andere von der öffentlichen Hand unterstützten Klangkörper, sondern auch die vielen freien Ensembles, die Komponisten, die Konzerthäuser und natürlich auch das an Musik interessierte Publikum. Es ist also ein schleichender Prozess im Gange - er betrifft uns alle! Die öffentliche Diskussion hat begonnen, aber sie ist nicht intensiv und laut genug. In seinem Papier mokiert sich Intendant Voß über zu wenig Resonanz auf die Entscheidungen des Rundfunks - wenn die Musikszene sich nicht wehrt und Strategien für die Zukunft entwickelt, wird Unwiderbringliches zerstört werden.

Veröffentlichung beim GANZEN Werk mit freundlicher Genehmigung durch den Autor

Lesen Sie auch zu Ernst Elitz:

Darum brauchen wir ein Kulturradio!
Die Geschmacksguerilla
Ernst Elitz, Intendant von DeutschlandRadio (Berlin, Köln):
Die Rundfunkgebühr dient der Qualitätssicherung,
wer Gebühren erhält, muß Maßstäbe setzen.

Hamburger Abendblatt, 23. Dezember 2004

Lesen Sie zur Auseinandersetzung mit dem RBB-Kulturradio:

Antwort der Intendantin des RBB
auf den Offenen Brief von Gerhart Baum (28. März 2006)

in einer Gegenüberstellung mit dem Brief von Gerhart Baum und mit Hintergrundinformationen
abschließend mit einem Kommentar von Theodor Clostermann in der Form eines Zwiegesprächs: „Rosinenpickerei und Eigenlob - aber keine grundsätzlichen ‚Fakten‘“
Zur Vorbereitung einer Podiumsdiskussion am 22. Juni 2006 in Berlin zum Thema:
„rbb kulturradio - Wird der Kulturauftrag noch erfüllt? - Ein Streitgespräch“
Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), 12. April 2006

Offener Brief an die Intendantin des RBB
Aufruf zur Stärkung des Kulturauftrags des öffentlich-rechtlichen Hörfunks - Karlsruhe und Brüssel müssen eingeschaltet werden
Wenn die Sender auf Rechten bestehen - und ich kann durchaus nachvollziehen, dass sie sich an Karlsruhe wenden - müssen sie auch ihre Pflichten erfüllen.
Gerhart Baum, 28. März 2006, Erstveröffentlichung beim GANZEN Werk

Radio ohne Kultur
Gerhart Baums Kritik am Rundfunk
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Januar 2006

Aushöhlung des Kulturauftrags durch Programme der so genannten Kulturradios
Die vollständige Pressemeldung von Gerhart Baum zum Kulturradio
Gerhart Baum, 10. Januar 2006, Erstveröffentlichung beim GANZEN Werk

Lesen Sie zur Auseinandersetzung mit dem SWR-Sparkonzept:

Lieber Fußball als Stockhausen?
Interview mit SWR-Intendant Peter Voß, dem Erfinder der These:
Ein eigener Klangkörper sei für den Rundfunk eine mäzenatische Leistung Stuttgarter Zeitung, 2. Mai 2005

Von Gerhart Baum
Auftrag, nicht Wohltat - Öffentlicher Rundfunk und Neue Musik
Grundsätzliches zum Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
Das Bundesverfassungsgericht ist der Meinung, dass die „besondere Eigenart“ des öffentlichen Rundfunks erst durch die Erbringung solcher Programmteile „ihre Rechtfertigung“ findet, die unter kommerziellen Bedingungen notwendig defizitär bleiben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. März 2005

SWR-Intendant Peter Voß: „Strukturelle Veränderungen sind unausweichlich“
SWR-Rundfunkrat genehmigt Haushalt 2005
Voß: Der Sender müsse sein kulturelles und mäzenatisches Engagement an den heutigen und zukünftigen Gegebenheiten ausrichten.
Südwestrundfunk (SWR), 3. Dezember 2004

Interview mit SWR-Intendant Peter Voß
Voß: „Enormer Spardruck bestimmt Zukunft des SWR“
Frage: Wenn Sie ausgerechnet bei der Kultur, bei den Orchestern sparen, schadet das nicht der Legitimation der Öffentlich-Rechtlichen?
Peter Voß: Eigene Rundfunkorchester und Konzertveranstaltungen sind in diesem Zusammenhang vor allem eine freiwillige Leistung für die Kulturlandschaft.
Südwestrundfunk (SWR), 3. Dezember 2004