Das GANZE Werk - Presseschau (Dokumentation)

Der Tagesspiegel, 17. Juli 2005 (Ausschnitte)

Wir sind in einer Zeit, in der wieder stärker über Regeln, Moral und Werte diskutiert wird

„Man kann ja nicht alle entlassen“

Lutz Hachmeister über den Schleichwerbungsskandal und die Frage, wie die ARD da herauskommt

Trotz der Kündigungen der vergangenen Woche geht der Skandal um Schleichwerbung und Korruption in der ARD weiter.

Das ist jetzt ein Flächenbrand. So funktioniert Journalismus nun einmal. Die Diskussion koppelt sich stark vom eigentlichen Thema Schleichwerbung ab und wird sicher in eine Generaldebatte um Aufgaben und Sinn des öffentlich-rechtlichen Rundfunks münden. (...).

Die CDU fordert schon den Rücktritt von ARD-Programmchef Günter Struve.

Die christdemokratische Politik versucht, den der SPD nahe stehenden Programmdirektor anzugreifen, als Ausgleich für die Kündigung des Bavaria-Chefs Thilo Kleine, der offensichtlich gute Kontakte zur CSU hatte. (...)

Bei James-Bond-Filmen akzeptieren alle, dass Autos gesponsert sind. Was ist das Problem von Schleichwerbung im Fernsehen?

Product Placement ist dann gefährlich, wenn es zu Korruption und Schattenwirtschaft führt. Aber man wird nicht chirurgisch die Warenwelt aus dem Fernsehen heraushalten können. Bei großen Shows ist es mir völlig egal, ob Herr Gottschalk seine Gummibärchen schwenkt.

Bei „Wetten, dass…?“ ist bekannt, dass die hohen Produktionsbudgets nicht ohne Sponsoren zusammenkämen. Warum regt sich darüber keiner auf?

Ich glaube, weil die Menschen Gottschalk ohnehin als Werbeträger wahrnehmen. (...) Beim „Marienhof“ wurden die Drehbücher offensichtlich umgeschrieben, um Produkte von interessierten Wirtschaftsunternehmen zu integrieren. Man konnte sich einkaufen in ein öffentlich-rechtliches Programm. Das geht natürlich nicht. Das ist ein Einfallstor, hinterher wird es zur Gewohnheit. (...)

Kann die ARD sich selbst nicht mehr kontrollieren?

Bei der Schleichwerbung war nicht die fehlende Kontrolle das eigentliche Problem, sondern das fehlende Unrechtsbewusstsein. Viele Produzenten haben das Verbot von Schleichwerbung für passé gehalten. Sie haben sich als Teil einer Gesellschaft gesehen, die von Werbung durchdrungen ist. Bei der Bavaria war das Product Placement offenbar Teil eines harten Expansionskurses. Das Gesamtvolumen der eingeworbenen Gelder - 1,5 Millionen Euro - ist lächerlich. Soviel kostet ein einziges Fernsehspiel. Aufwand und Ertrag standen in keinem Verhältnis. Das ist eher traurig, dass man sich anstrengt über Jahre für 1, 5 Millionen Euro und dann in solch einen Skandal gerät.

Warum schlägt die Affäre dann solche Wellen?

Weil wir in einer Zeit sind, in der wieder stärker über Regeln, Moral und Werte diskutiert wird.

PR-Agenturen produzieren mittlerweile sogar vollständige Beiträge zu Themen, die von Redaktionen übernommen werden.

Ja, Service- und Wissensmagazine würden sehr viel teurer werden, wenn es nicht zugelieferte Beiträge oder extrem enge Kooperationen gäbe. Dieser Bereich ist noch nicht ausgeleuchtet. Einen Beitrag „Wie entsteht ein Gummibärchen“ kann man ohne Haribo schlecht machen. (...)

Wo könnte die Debatte hinführen?

Sobald die Personalfragen geklärt sind - man kann ja nicht alle entlassen, jeder wusste immer irgendwas von dem, was der andere getan hat - dann muss die Diskussion in ein Regelwerk münden.

Wie soll das aussehen?

Ich glaube, der öffentlich-rechtliche Rundfunk tut gut daran, sich vom Product Placement komplett fernzuhalten. Man mag vielleicht große Shows und Sportereignisse ausnehmen, die sonst nicht stattfänden. Dort muss das Sponsoring dann aber klar ausgewiesen werden. Ansonsten plädiere ich für eine Werbefreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, also für das BBC-Modell.

Wer soll die neuen Regeln kontrollieren, die Rundfunkräte?

Ich bin für eine einheitliche Rundfunkaufsicht von Öffentlich-Rechtlichen und Privaten nach dem britischen Modell. Da gibt es die Ofcom, also ein zentrales, allem Anschein nach kompetentes Gremium. (...)

Das Gespräch führte Barbara Nolte.

Lutz Hachmeister ist Gründungsdirektor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik. Für seinen Film „Schleyer - eine deutsche Geschichte“ erhielt er den Grimme-Preis.