Das GANZE Werk - Presseschau

Frankfurter Rundschau, 21. Juli 2005

Streit um die EU-Fernsehrichtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“

Produkt-Platzierung - Tatort rechtsfreier Raum

Verbraucherschützer sehen durch Pläne der EU-Kommission das Verbot der Schleichwerbung aufgeweicht - Brüssel kontert

Von Michael Bergius

Während in Deutschland täglich neue Fälle von verbotener Schleichwerbung in Fernsehproduktionen bekannt werden, schickt sich die Europäische Union angeblich an, derlei Praktiken zu legalisieren. In Brüssel wird dieser von deutschen Verbraucherschützern geäußerte Verdacht heftig dementiert - und eine Vermischung von Tatsachen beklagt.

Die Verbraucherzentrale Bundesverband (Vzbv) fuhr schweres Geschütz auf: „Die EU-Kommission will Schleichwerbung im Fernsehen künftig erlauben“, vermeldeten die Berliner Konsumentenschützer am Mittwoch. Die Brüsseler Kommissarin Viviane Reding mache „keinen Hehl mehr aus ihrer Absicht, die bisherigen Werbebeschränkungen der EU-Fernsehrichtlinie aufzuweichen“ - und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da der „Schleichwerbeskandal in der ARD die deutsche Medienpolitik in Atem“ halte, so der Alarmruf von Verbandschefin Edda Müller.

EU-Fernsehrichtlinie
Die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ wurde 1989 verabschiedet und 1997 aktualisiert. Sie gibt Mindestregeln für die Rundfunkanstalten in der EU vor, unabhängig, ob diese privat oder öffentlich-rechtlich verankert sind.
Vorgeschrieben wird unter anderem, dass mindestens die Hälfte der Sendezeit nach Möglichkeit „europäischen“ Filmen und Programmen vorbehalten wird.
Daneben gelten Beschränkungen für die Werbung (höchstens 15 Prozent der täglichen Sendezeit) sowie Schutzbestimmungen insbesondere für Minderjährige. Angesichts der rasanten technologischen Entwicklungen im Medienbereich soll die Richtlinie 2006 abermals überarbeitet werden.
MBE

Die Vzbv sieht ihre Vorwürfe gestützt durch ein aktuelles Arbeitspapier der für Medienbelange zuständigen Kommissarin, das die Grundlage für eine Revision der Fernsehrichtlinie im kommenden Jahr bilden soll. In der Studie wird auf Anwendungsprobleme im Zusammenhang mit der sogenannten Produkt-Platzierung (Product Placement) verwiesen.

Diese bewege sich heute vielfach im „rechtsfreien Raum“, so die Bedenken zahlreicher von der Kommission befragter Sachverständiger. Denn die doppelte Verpflichtung zur Kenntlichmachung und Trennung von Werbung habe „implizit dazu geführt, dass Produkt-Platzierungen in den Programmen der Rundfunkanbieter verboten sind“. Daher, so die Empfehlung aus Brüssel, wäre „für die neue Richtlinie die etwaige Zulassung von Produkt-Platzierungen eine Möglichkeit, der tatsächlichen Entwicklung des Werbemarktes Rechnung zu tragen“.

Was den Berliner Verbraucherschützern als Angriff auf das EU-weit bestehende Schleichwerbe-Verbot erscheint, wird in Brüssel mit Unverständnis quittiert: „Schleichwerbung im Fernsehen ist verboten und wird es auch künftig bleiben“, sagte Redings Sprecher Martin Selmayr der Frankfurter Rundschau, „daran werden wir nicht rütteln.“

Die im Zusammenhang mit Marienhof- oder Tatort-Folgen derzeit geführte „unglückliche Diskussion“ in Deutschland habe nichts zu tun mit dem, was auf EU-Ebene beabsichtigt werde, heißt es in Brüssel. Sollten im europäischen Rahmen demnächst die Regeln für Produkt-Platzierung gelockert werden, dann nur mit einer „einheitlich geltenden Verpflichtung zur klaren Kenntlichmachung“.

Als Vorbild für eine mögliche künftige Praxis nennt Selmayr die James-Bond-Filme, über deren zahlreiche Werbe-Inhalte „sich ja in Deutschland auch niemand aufregt“. Es müsse, etwa über den Vor- oder Abspann, sicher gestellt werden, dass die Fernsehzuschauer „in jedem Fall darüber informiert werden, dass Werbung mit im Spiel ist“.

Den Verbraucherschützern, die bereits vor einem „Ende der redaktionellen Freiheit für Drehbuchautoren und Journalisten“warnen, gehen diese Schutzvorkehrungen nicht weit genug: Der Ansatz der Kommission sei „wirklichkeitsfremd“, kritisiert Vzbv-Sprecher Carel Mohn gegenüber der FR. „Fernsehzuschauer zappen sich doch oftmals durch die Programme und schauen sich keine Vor- oder Abspänne an. Die Unabhängigkeit der Rundfunkanstalten muss uns mehr wert sein als die kommerziellen Interessen der werbenden Unternehmen“, fordert Mohn.

Auf diese Bedenken ist die Kommission jedoch offenbar bereit einzugehen. Es sei „gut vorstellbar“, sagt Redings Sprecher, dass TV-Produktionen demnächst mit „zeitgleichen Kenntlichmachungen der Werbung, zum Beispiel in Form von Einblendungen“ versehen werden könnten.

Überdies, so hält das Brüsseler Arbeitspapier fest, gelte weiterhin der Grundsatz, dass Sponsoren „keinesfalls den redaktionellen Inhalt des gesponserten Dienstes beeinflussen“ dürften.