Das GANZE Werk - Zur Diskussion gestellt

Teil 5 zu: Detigs Moderation mit dem Goebbels-Zitat
Offener Brief an die Intendanten von NDR, RBB und WDR

„Ich möchte Sie bitten, derartiges in der ARD nicht zuzulassen.“

An die
Intendantin des RBB,
Frau Dagmar Reim

An die
Intendanten des NDR und des WDR,
Herrn Prof. Jobst Plog und Herrn Fritz Pleitgen

Reinbek, 28. September 2005

Goebbels-Zitat in einer RBB-Moderation

Sehr geehrte Frau Reim, sehr geehrter Herr Professor Plog, sehr geehrter Herr Pleitgen,

mit Verwunderung habe ich Mitte Juni vernommen, dass der Musikchef von „Kulturradio“ des RBB, Dr. Christian Detig, am 30. Mai 2005 um 07.09 Uhr sagte:

Da schlägt das Trommlerherz natürlich höher, Georg Friedrich Händel, La Réjouissance aus der Feuerwerksmusik, gespielt vom Ensemble [...], neun Minuten nach sieben, sieben Uhr und neun.

Achtung Zitat: „Das Programm des Rundfunks muss so gestaltet werden, dass es den verwöhnteren Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Dabei soll besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer einen Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Unterhaltung zu finden. Dem gegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.“ Zitatende.

Und ich behaupte mal, das könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant auch unterschreiben, ich übrigens auch, ich lasse es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte anschnallen! - Joseph Goebbels.

Der Mann ist immer noch für Überraschungen gut und längst wissen wir noch nicht alles. Das Leben von Joseph Goebbels ist jetzt Theater geworden und zwar im Deutschen Theater. Die Frühkritik um sieben Uhr fünfundvierzig.

Diese Moderation ist in fünf Punkten bemerkenswert. Ich schreibe Ihnen als langjähriger Hörer der verschiedenen Kulturwellen im Hörfunk der ARD und als Verantwortlicher der Website www.dasganzewerk.de.

1. Mit seiner Bemerkung,

ich behaupte mal, das könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant auch unterschreiben,

stellt Dr. Detig inhaltlich - nur durch einen Konjunktiv abgeschwächt - das Fundament, das Selbstverständnis der ARD in Frage. Die Gründungen zunächst des NWDR, später der ARD waren die liberale und demokratische Antwort auf den Herrschafts- und Propagandahörfunk von Goebbels:

Nach der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus wollen die Alliierten in Deutschland keinen staatlich kontrollierten Rundfunk mehr einrichten. (...) In Anlehnung an das britische Modell der BBC wird der Rundfunk in Form von selbstständigen Anstalten des öffentlichen Rechts organisiert. (Dominik Reinle, Demokratie aus dem Äther - Die Wurzeln des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, auf www.wdr.de)

Erst vor wenigen Monaten haben Sie, Herr Professor Plog, noch einmal auf diesen Zusammenhang hingewiesen:

Der NDR steht in der Tradition der BBC und nicht eines Staatsrundfunks. (NDR-Presseerklärung vom 21. Januar 2005)

2. Dr. Detig hat nur für sich selbst einen Ausweg formuliert:

(...) ich übrigens auch, ich lasse es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte anschnallen! - Joseph Goebbels.

Er hat also - abgeschwächt - in Ihrem Namen gesprochen. Er hat damit Sie, die anderen ARD-Intendanten und die ganze ARD in Misskredit gebracht.

3. Im Jahr 1933 brachte Goebbels das Haus des Rundfunks in Berlin unter seine Kontrolle, die meisten führenden Männer wurden in das Konzentrationslager Oranienburg eingeliefert. Das Zitat stammt aus dem Jahr 1936. Den darin formulierten Angriff auf die Philosophen übernimmt Dr. Detig uneingeschränkt. Das ist ungewöhnlich. Damals war es nicht einfach ein Minderheitenproblem, sondern wichtig für

die geistige Widerstandskraft gebildeter Kreise, denen so manches Werk eines Dichters, Komponisten oder Philosophen auch in der Rundfunkdarbietung neuen Mut gegenüber der nationalsozialistischen Wirklichkeit gegeben hatte. (siehe: Heinz Pohle, Der Rundfunk als Instument der Politik, Verlag Hans Bredow-Institut/Hamburg, 1955, S. 283)

4. Dr. Detig hat zwei Passagen des Goebbels-Zitats weggelassen. Vollständig heißt es:

Das Programm des Rundfunks muss so gestaltet werden, dass es den verwöhnteren Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Es soll in einer klugen und psychologisch geschickten Mischung Belehrung, Anregung, Entspannung und Unterhaltung bieten. Dabei soll besonderer Bedacht gerade auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitgehend überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer meistens vom Leben sehr hart und unerbittlich angefaßt wird, in einem nerven- und kräfteverzehrenden Tageskampf steht und Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Erholung zu finden. Demgegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht. (siehe: Heinz Pohle, S. 281 f.)

Das Zitat steht für die Neuausrichtung des NS-Hörfunks in den Jahren 1935/36 auf die breite Masse. Erst durch das vollständige Zitat wird der historische Zusammenhang deutlich, offenbart sich die von Goebbels systematisch geplante geistige Einschnürung.

5. Selbst Dr. Detigs unverbindlich erscheinender Schluss fordert zum Widerspruch heraus:

Der Mann ist immer noch für Überraschungen gut und längst wissen wir noch nicht alles.

Dr. Detig will die These von Goebbels zu „Entspannung und Unterhaltung“ im Hörfunk annehmbar machen. Soll das eine Überraschung sein? Welche Überraschung dieser Art ist noch zu erwarten?

Dr. Detig hat von sich aus das Goebbels-Zitat in Umlauf gebracht. Er hat sich intensiv mit der Musikgeschichte vor 1933 beschäftigt, seine Promotionsarbeit handelt vom Leben und Wirken des Komponisten Max von Schillings (1868 - 1933). Das Handeln dieses erklärten Antisemiten in den Jahren 1932 und 1933 hätte für Dr. Detig Warnung genug sein sollen, nicht leichtferig mit einem Goebbels-Zitat umzugehen.

Sehr geehrte Frau Reim, sehr geehrter Herr Professor Plog, sehr geehrter Herr Pleitgen,

ich möchte Sie bitten, derartiges in der ARD nicht zuzulassen.

Mit freundlichen Grüßen
gez. Theodor Clostermann

Anlage: Auszug aus dem Text von Heinz Pohle

Lesen Sie die beiden eingegangenen Antworten

Antwort des WDR in Auftrag von Intendant Fritz Pleitgen (5. Oktober 2005)
... Da Sie Ihren offenen Brief bereits an die Intendantin des RBB geschickt haben, werden Sie sicher in Kürze von dort eine Antwort erhalten.
Antwort der Intendanz des RBB (14. Oktober 2005)
Sie wissen, dass es hausintern eine kritische und konstruktive Debatte
über die Moderation von Christian Detig am 30. Mai 2005 gegeben hat.

Lesen Sie die einzelnen Teile des RBB-Dossiers

Teil 1: Dokumentation - Moderation und Original-Zitat
Teil 2: Sinkende Hörerzahlen treiben schon seltsame Blüten
Zustimmung, Leichtfertigkeit oder Naivität im Umgang mit einem Zitat von Goebbels?
Ein Zitat, das dem systematischen Ausbau der NS-Herrschaft diente, darf nicht für die Kulturradio-Debatte missbraucht werden!
Teil 3: Musikredakteur Demmler alarmiert drei ARD-Intendanten
Karikatur zu Detigs Einfall - Da sitzen alle ARD-Intendanten an einem großen Konferenztisch, unterschreiben das Goebbels-Zitat...
... und RBB-Musikchef Detig moderiert, für Das Erste.
Teil 4: Zweierlei Maßstab des RBB
Riesenhaft hier
Der kritische Musikredakteur wird als „Straftäter“ und „Denunziant“ entlassen
Zwergenhaft da
Schonend wird die Moderation mit dem Goebbels-Zitat als „nicht glücklich“ kritisiert
Teil 5: Offener Brief zum Goebbels-Zitat
an die Intendantin des RBB und an die Intendanten von NDR und WDR:
„Ich möchte Sie bitten, derartiges in der ARD nicht zuzulassen.“
und die Antwort vom WDR.

Teil 6: Antwort der Intendanz des RBB
„Sie wissen, dass es hausintern eine kritische und konstruktive Debatte
über die Moderation von Christian Detig am 30. Mai 2005 gegeben hat“

Teil 7: Kein leichtfertiger Umgang mit dem Goebbels-Zitat zum Rundfunk!
3 Bilder als Mahnung und 3 Texte zum Nachdenken (Goebbels, Pohle, Detig)

„... Aufgabe, die Hörermasse empfangswillig zu machen für die Stunden, in denen der Staatsbürger angesprochen, informiert, beeinflußt werden sollte.“
Teil 8: Linkliste
a. Das Radio als Propaganda-Instrument in der NS-Zeit (weiterführende Literatur)
b. Zeitungsartikel zur Debatte über RBB-Kulturradio
c. Liste programmatischer Erklärungen zu NDR Kultur