Das GANZE Werk - Presseschau

GEMA Brief 56, Dezember 2005

Offener Brief von Professor Aribert Reimann

Wir, die unterzeichnenden Komponisten, protestieren gegen diese ungerechtfertigte Entlassung eines hervorragenden Anwalts für die Neue Musik und fordern, Martin Demmler in seine Pflichten beim RBB wieder einzusetzen

Im Spätsommer dieses Jahres kam es im Rundfunk Berlin-Brandenburg zu einer umstrittenen Personalentscheidung, die intern und extern hohe Wellen schlug. Der Redakteur für neue Musik, Martin Demmler, wurde fristlos entlassen, nachdem er sich unter falschem Namen bei drei ARD-Intendanten über eine Moderation im Kulturprogramm des Senders beschwert hatte, in der die Rundfunkphilosophie Joseph Goebbels mit den Intentionen der ARD-Intendanten gleichgesetzt wurde. Zahlreiche namhafte Komponisten haben diese drastische Strafmaßnahme und den befürchteten weiteren Abbau der zeitgenössischen Musik im RBB in einem Offenen Brief verurteilt.
Mit Bestürzung haben wir von der fristlosen Kündigung von Martin Demmler, Redakteur für Neue Musik beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, erfahren. Ob diese drastische Maßnahme gerechtfertigt ist, müssen die Gerichte klären.

In den 17 Jahren seines Wirkens an diesem Sender hat Martin Demmler Hervorragendes für die Sache der Neuen Musik geleistet und das nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene. Erst kürzlich hat er, übrigens nicht zum ersten Mal, den Ersten Preis für ein vom ihm eingereichtes Werk beim Internationalen Komponistenforum der UNESCO gewonnen.

Seine Arbeit wurde ihm allerdings bereits vor diesem Eklat seit Jahren erschwert: So wurden die Sendezeiten für zeitgenössische Musik von fünf auf zwei Stunden pro Woche, also um 60% gekürzt, der Etat so beschnitten, dass keine Aufträge für Sendungen freier Autoren mehr möglich waren. Auch die Konzertreihe “Musik der Gegenwart” wurde von vier auf zwei Konzerte reduziert und soll in Zukunft in dem Festival “Ultraschall” aufgehen, einer gemeinsamen Veranstaltung von RBB und DeutschlandRadio-Berlin. ähnliches geschah vor einigen Jahren, als die erfolgreiche Fernsehsendung “Wege zur Neuen Musik” kurzerhand gestrichen wurde.

Wir fragen uns daher, ob die plötzliche Entlassung von Martin Demmler – wegen eines “Vergehens” aus Gewissensnot – nicht willkommener Vorwand war, die zeitgenössische Musik beim RBB weiter zu reduzieren, wenn nicht gar abzuschaffen. Wahrscheinlich wird die Stelle ohnehin nicht neu besetzt. Es dürfte überdies schwer fallen, einen ähnlich guten Fachmann für dieses Gebiet zu finden.

Besonders empörend ist die Tatsache, dass Herr Demmler auch für mehrere andere ARD-Sender nicht mehr arbeiten darf. Das kommt einem Berufsverbot gleich.

Wir, die unterzeichnenden Komponisten, die Martin Demmler seit vielen Jahren begleitet und gefördert hat, protestieren gegen diese ungerechtfertigte Entlassung eines hervorragenden Anwalts für die Neue Musik und fordern, Martin Demmler in seine Pflichten beim RBB wieder einzusetzen.

Im übrigen: Ein Goebbels-Zitat, das im Zusammenhang mit den Interessen der ARD-Intendanten gebraucht wird, sollte in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt tabu sein.

Prof. Jürg Baur, Martin Daske, Moritz Eggert, Søren Nils Eichberg, Detlev Glanert, Prof. Friedrich Goldmann, Erhard Grosskopf, Johannes K. Hildebrandt, Ellen Hünigen-Schmidt, Christian Jost, Helge Jung, Prof. Georg Katzer, Prof. Hanspeter Kyburz, Prof Dr. Helmut Lachenmann, Dieter Mack, Prof. Siegfried Matthus, Jan Müller-Wieland, Franz Martin Olbrisch, Robert HP Platz, Prof. Aribert Reimann, Reiner Riehn, Rainer Rubbert, Prof. Dr. Dieter Schnebel, Charlotte Seither, Wilhelm Dieter Siebert, Prof. Manfred Trojahn, Wolfgang von Schweinitz, Benjamin Schweitzer, Karl-Heinz Wahren, Johannes Wallmann, Prof. Jörg Widmann, Peter Martin Wolf, Prof. Hans Zender

Lesen Sie außerdem zum Arbeitsgerichtsprozess:

Heil dem Dudelfunk
Zitat einer Hörerzuschrift: „Ziehen Sie den Umkehrschluss aus dem Hörerrückgang: Es gibt sehr viele kultivierte Hörer und Verbündete.“
DIE ZEIT, 16. Januar 2006

Kündigung unwirksam
Musik-Redakteur siegt bei Gericht über RBB
Berliner Morgenpost, 13. Januar 2006

Unterhaltung mit Goebbels
RBB-Redakteur klagte erfolgreich gegen seine Kündigung
Auch die Zukunft von Kulturwellen steht auf dem Spiel, deren Weg in die Bedeutungslosigkeit auch durch zunehmende Popularisierung kaum gebremst wird
Berliner Zeitung, 12. Januar 2006

Ohrfeige für den RBB vor dem Arbeitsgericht
Fristlose Entlassung eines Kulturradio-Redakteurs war unverhältnismäßig
Märkische Allgemeine, 12. Januar 2006

Kulturradio RBB
Mobbing mit Goebbels
Wer bei seiner Programmgestaltung die Kultur zurückschraubt, setzt auch auf den Jargon des Kommerzradios
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Januar 2006

RBB und Redakteur vor Arbeitsgericht
Mittlerweile versammeln sich hinter Martin Demmler Lobbyisten und Komponisten zeitgenössischer Musik sowie sämtliche Kritiker an dem Kulturradio
Der Tagesspiegel, 11. Januar 2006

Bitte anschnallen!
Gegen die fristlose Kündigug Demmlers haben sich jetzt mehr als 30 der bedeutendsten deutschen Komponisten in einem offenen Brief gewandt
Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 11. Januar 2006

Das Kulturradio schafft sich selbst ab
Wo aber der Kulturauftrag so konsequent an den Nagel gehängt wird, da manövriert sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk ganz von selbst in die Bedeutungslosigkeit
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Januar 2006

Offener Brief von Professor Aribert Reimann
33 Komponisten erklären: Wir, die unterzeichnenden Komponisten, protestieren gegen diese ungerechtfertigte Entlassung eines hervorragenden Anwalts für die Neue Musik und fordern, Martin Demmler in seine Pflichten beim RBB wieder einzusetzen
GEMA Brief 56, Dezember 2005

Lesen Sie die einzelnen Teile des RBB-Dossiers des GANZEN Werks:

Teil 1: Dokumentation - Moderation und Original-Zitat
Teil 2: Sinkende Hörerzahlen treiben schon seltsame Blüten
Zustimmung, Leichtfertigkeit oder Naivität im Umgang mit einem Zitat von Goebbels?
Ein Zitat, das dem systematischen Ausbau der NS-Herrschaft diente, darf nicht für die Kulturradio-Debatte missbraucht werden!
Teil 3: Musikredakteur Demmler alarmiert drei ARD-Intendanten
Karikatur zu Detigs Einfall - Da sitzen alle ARD-Intendanten an einem großen Konferenztisch, unterschreiben das Goebbels-Zitat...
... und RBB-Musikchef Detig moderiert, für Das Erste.
Teil 4: Zweierlei Maßstab des RBB
Riesenhaft hier
Der kritische Musikredakteur wird als „Straftäter“ und „Denunziant“ entlassen
Zwergenhaft da
Schonend wird die Moderation mit dem Goebbels-Zitat als „nicht glücklich“ kritisiert
Teil 5: Offener Brief zum Goebbels-Zitat
an die Intendantin des RBB und an die Intendanten von NDR und WDR:
„Ich möchte Sie bitten, derartiges in der ARD nicht zuzulassen.“
und die Antwort vom WDR.
Teil 6: Antwort der Intendanz des RBB
„Sie wissen, dass es hausintern eine kritische und konstruktive Debatte
über die Moderation von Christian Detig am 30. Mai 2005 gegeben hat“

Teil 7: Kein leichtfertiger Umgang mit dem Goebbels-Zitat zum Rundfunk!
3 Bilder als Mahnung und 3 Texte zum Nachdenken (Goebbels, Pohle, Detig)

„... Aufgabe, die Hörermasse empfangswillig zu machen für die Stunden, in denen der Staatsbürger angesprochen, informiert, beeinflußt werden sollte.“
Teil 8: Linkliste
a. Das Radio als Propaganda-Instrument in der NS-Zeit (weiterführende Literatur)
b. Zeitungsartikel zur Debatte über RBB-Kulturradio
c. Liste programmatischer Erklärungen zu NDR Kultur

Hier - dokumentiert - das vollständige Zitat der Moderation:

RBB-Kulturradio: 30. Mai 2005. 07.09 Uhr.
Moderator: Dr. Christian Detig, Musikchef und Vizewellenchef Kulturradio

Da schlägt das Trommlerherz natürlich höher, Georg Friedrich Händel, La Réjouissance aus der Feuerwerksmusik, gespielt vom Ensemble [xy], neun Minuten nach sieben, sieben Uhr und neun.
Achtung Zitat: »Das Programm des Rundfunks muss so gestaltet werden, dass es den verwöhnteren Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Dabei soll besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer einen Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Unterhaltung zu finden. Dem gegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.« Zitatende.
Und ich behaupte mal, das könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant auch unterschreiben, ich übrigens auch, ich lasse es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte anschnallen! - Joseph Goebbels.
Der Mann ist immer noch für Überraschungen gut und längst wissen wir noch nicht alles. Das Leben von Joseph Goebbels ist jetzt Theater geworden und zwar im Deutschen Theater. Die Frühkritik um sieben Uhr fünfundvierzig.

Und hier das vollständige Goebbels-Zitat:

»Das Programm des Rundfunks muß so gestaltet werden, daß es den verwöhnten Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Es soll in einer klugen und psychologisch geschickten Mischung Belehrung, Anregung, Entspannung und Unterhaltung bieten. Dabei soll besonderer Bedacht gerade auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitgehend überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer meistens vom Leben sehr hart und unerbittlich angefaßt wird, in einem nerven- und kräfteverzehrenden Tageskampf steht und Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Erholung zu finden. Demgegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.«

Quelle: Joseph Goebbels, Rede zur Eröffnung der Rundfunkausstellung 1936, Abdruck in „Mitteilungen der RRG“, Nr. 501 vom 28. August 1936, Bl. 4.
Zitiert in: Heinz Pohle, Der Rundfunk als Instrument der Politik - Zur Geschichte des deutschen Rundfunks von 1923/38, Hamburg 1955, S. 281 f.