Das GANZE Werk - Presseschau

Zunächst ist die Stärkung Hannovers schon ein großer Gewinn. (...) Gleichwohl agiert kein öffentlich-rechtlicher Sender im politikleeren Raum – und die spannende Frage ist, welche Rolle bei bevorstehenden Personalentscheidungen Parteibuch und Qualifikation spielen werden.

Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 9. Januar 2006
Leitartikel

50 Jahre NDR

Ein Anfang

Von Klaus Wallbaum

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Als NDR-Intendant Jobst Plog kürzlich in Hannover die Neuerungen im Fernsehprogramm erläuterte, war ihm eine Botschaft besonders wichtig: Der Sitz des Senders sei natürlich nach wie vor Hamburg. „Dabei bleibt es, und wir haben nicht die Absicht, dies peu à peu zu ändern“, betonte Plog. Niedersachsen werde im NDR zwar gestärkt, aber die Zentrale bleibe die Zentrale.

Übermorgen feiert der NDR seinen 50. Geburtstag – natürlich in Hamburg. Plogs Aussage ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil niemand den Abzug des Senders aus Hamburg gefordert hat. Richtig ist zwar, dass Ministerpräsident Christian Wulff vor einem guten Jahr nachdrücklich Reformen beim Sender verlangt und sogar mit dem Ausstieg aus dem Staatsvertrag gedroht hatte. Richtig ist auch, dass sich Wulff und Plog damals mächtig in die Haare gerieten. Aber mittlerweile ist der Streit vom Tisch, ein neuer Staatsvertrag gilt, und die beiden Männer verstehen sich, glaubt man ihrem jeweiligen Umfeld, mittlerweile glänzend. Warum also fiel Plogs Bemerkung über Hamburg?

Zu viel kommt aus Hamburg

Vielleicht liegt es daran, dass die Ausrichtung auf Hamburg nach wie vor das charakteristische Merkmal des NDR ist – und dies ist Chance und Problem zugleich. Einerseits ist der Sender dadurch effektiv organisiert und gut aufgestellt. 50 Jahre ist der NDR alt, und eigentlich sind Zuhörer und Zuschauer nicht unzufrieden, die guten Einschaltquoten beweisen es. Umgekehrt gilt auch: 60 Prozent der Gebührenzahler leben in Niedersachsen, aber die Vielfalt dieses Landes kommt in der täglichen Berichterstattung nur eingeschränkt zum Ausdruck. Dies ist nur zum Teil die Verantwortung derer, die das Programm gestalten. Die Journalisten des NDR in Rundfunk wie Fernsehen leisten eine gute Arbeit, berichten oft und viel aus dem Land. Doch in einer Anstalt, die vier Länder betreuen muss, sind die Spielräume für regionale Themen nun einmal begrenzt. Dies gilt umso mehr, als Regionalberichte von Natur aus selten überregionales Interesse wecken und daher oft schlechtere Einschaltquoten haben. Was viele in Hannover aber zu Recht ärgert, ist ein anderer Umstand: Zu viel geschieht in der Hamburger Zentrale, zu wenig in den Landesfunkhäusern.

Dies wird nun Zug um Zug verändert, und zwar nach einem durchaus ansehnlichen Plan. Am späten Nachmittag werden zunächst an zwei Tagen im dritten Fernsehprogramm Sendungen aus Hannover ausgestrahlt, die Talkshow „Herman & Tietjen“ kommt künftig auch aus der Landeshauptstadt. Das ist nicht mehr als ein Anfang, aber es ist ein Anfang. Sinnvoll und angebracht ist es, für die Stärkung des Produktionsstandortes Hannover hier auch die technische und personelle Ausrüstung anzusiedeln. Es ist kurios, dass für die Ausflüge in die Fläche des großen Sendegebietes ein Tross von Mitarbeitern aus der Hamburger Zentrale in Marsch gesetzt wird.

Im Grunde lässt sich am Beispiel des NDR besichtigen, welche Probleme zu große Einheiten mit sich bringen. Man stelle sich vor, wir hätten in den nächsten zehn Jahren einen Nordstaat aus Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern – ein solches Gebilde würde sich von den Menschen entfernen, wenn jede Entscheidung in der Landeshauptstadt fiele und für die Dependancen nichts übrig bliebe. So vernünftig und kostenbewusst es ist, Verwaltungsarbeit zu konzentrieren, so sinnvoll ist es auf der anderen Seite, Entscheidungen nach unten zu delegieren. Insofern ist die Stärkung der Landesfunkhäuser der einzig richtige Weg.

Wer hat sich durchgesetzt?

Die politische Frage, ob sich Wulff nun im Streit um die NDR-Reform am Ende durchgesetzt hat, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Zunächst ist die Stärkung Hannovers schon ein großer Gewinn. Wulff kann das Ergebnis für sich selbst verbuchen. Aber ob die jetzt begonnene Entwicklung von Dauer ist und ob die Landesfunkhäuser im NDR ein neues, starkes Selbstbewusstsein entwickeln, hängt vom weiteren Lauf der Dinge ab.

Eine Gefahr ist jedenfalls gebannt: Als Wulff seine ersten Vorstellungen zur Reform des NDR kundtat, fürchteten viele, der Ministerpräsident wolle sich den Sender zur Beute machen und ihn politischem Einfluss aussetzen. Davon ist jetzt, nachdem ein neuer Staatsvertrag mit neuen Vorschriften zur Zusammensetzung der NDR-Gremien gilt, nicht mehr die Rede. Gleichwohl agiert kein öffentlich-rechtlicher Sender im politikleeren Raum – und die spannende Frage ist, welche Rolle bei bevorstehenden Personalentscheidungen Parteibuch und Qualifikation spielen werden.

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