Das GANZE Werk - Presseschau

Berliner Zeitung, 12. Januar 2006

Unterhaltung mit Goebbels

RBB-Redakteur klagte erfolgreich gegen seine Kündigung

Von Rainer Braun

Der Klage des Musikredakteurs Martin Demmler gegen seine fristlose Kündigung durch den Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) ist gestern durch das Landesarbeitsgericht stattgegeben worden. Die Entscheidung, ob eine Abmahnung oder die fristlose Kündigung gerechtfertigt wäre, sei eine „schwierige Gratwanderung“, so die Vorsitzende Richterin Hinrichs im Prozess. Wie sie der Berliner Zeitung sagte, gehe sie davon aus, dass der Sender eine Revision des Urteils beantrage. RBB-Sprecher Ulrich Anschütz wiederum erklärte, dass der Sender zunächst die Urteilsbegründung „sehr sorgfältig prüfen werde“. Bis auf weiteres bleibt Demmler allerdings ohne Beschäftigung. Seine Klage auf vorläufige Wiedereinstellung zog er auf Anraten der Richterin zurück.

Indirekter Auslöser des Prozesses war eine Anmoderation des Musikchefs des RBB, Christian Detig, am 31. Mai um 7 Uhr 45. Detig hatte in der Ankündigung der Frühkritik zu „Das Leben des Joseph Goebbels“ im Deutschen Theater einen für viele Ohren degoutanten Einstieg gewählt. Detig brachte folgendes Zitat: „Das Programm des Rundfunks muss so gestaltet werden, dass es den verwöhnteren Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Dabei soll besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer einen Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Unterhaltung zu finden. Demgegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.“

Detig kommentierte: „Ich behaupte mal, das könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant unterschreiben. Ich übrigens auch. Ich lass' es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte anschnallen - Joseph Goebbels. Der Mann ist immer noch für Überraschungen gut und längst wissen wir noch nicht alles.“ Daraufhin sandte Demmler einen empörten Hörerbrief unter dem Namen eines freien Mitarbeiters an die Intendanten von NDR und WDR. Die Sache flog auf, die Geschäftsleitung des RBB sah darin Urkundenfälschung, Pflichtverletzung und einen Bruch des Vertrauensverhältnisses, zumal Demmler den Dienstweg nicht eingehalten habe. Per 3. August wurde dem Redakteur, der seit 17 Jahren beim SFB und dann beim RBB tätig war, fristlos gekündigt.

Das Schreiben Demmlers und sein Gegenstand schlugen fortan in und außerhalb des Senders hohe Wellen. Personalrat und Redakteursausschuss sprachen sich gegen eine Kündigung Demmlers aus. Während der RBB-Kulturradiochef Wilhelm Matejka Detigs Anmoderation in einer ersten Reaktion als „steilen Teaser“ wertete, wurde sie von der RBB-Hörfunkdirektorin Hannelore Steer als „verfehlt“ gerügt. Demmler erblickt darin eine „unverantwortliche Entgleisung“. Zwar bedauerte er vor Gericht noch einmal seine „Kurzschlussreaktion“, für die er sich ausdrücklich entschuldigte. Er habe zu dieser außergewöhnlichen Maßnahme gegriffen, da er im redaktionellen Umfeld keine Möglichkeit zur Auseinandersetzung sah und zudem Detigs Einlassungen auch direkt auf seine eigene berufliche Zukunft als Redakteur für Neue Musik bezogen interpretierte.

Fest steht, dass Demmlers Bereich und die Sendeflächen für anspruchsvolle Programme insgesamt im Zuge der letzten Programmreform des Kulturradios deutlich schmaler geworden sind. Die Vorsitzende Richterin Hinrichs gestand Demmler zu, dass er sich „kalt gestellt gefühlt habe“ und machte im Prozess zugleich deutlich, dass sie seine Bedenken gegenüber einer zunehmenden Popularisierung der gebührenfinanzierten Sender teile: Es sei „ärgerlich, wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk entwickelt“. Als „sehr problematisch“ bewertete Hinrichs zugleich die Behauptung, der ehemalige Reichspropagandaminister des NS-Regimes „sei immer noch für Überraschungen gut“. Nicht nachvollziehen mochte sie allerdings, dass sich Demmler unter Pseudonym geäußert habe. Und Hinrichs deutete auch an, dass sich Demmler mit seiner Interpretation des Zitats zu verrennen drohe.

Andererseits wies die Richterin den Vorwurf der Urkundenfälschung seitens des RBB zurück, der ohnehin in diesem Prozess keine Rolle spielte. Sie sah es auch als weniger gravierend an, dass Demmler seinen Brief an die Intendanten von NDR und WDR geschickt habe. Diese seien schließlich „keine Dritten“ im klassischen Sinne. Gleichwohl attestierte sie eine massive Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Musikchef Detig und seinem Redakteur und regte deshalb an, dass Demmler seine Klage auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zur eventuellen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zurückzieht.

Jenseits der Bewertung des konkreten Regelverstoßes von Demmler bleiben nicht nur Fragen danach, wie es um das Betriebsklima zumindest in Teilen des RBB bestellt ist. Auch die Zukunft von Kulturwellen steht auf dem Spiel, deren Weg in die Bedeutungslosigkeit auch durch zunehmende Popularisierung kaum gebremst wird. Das ist kein spezifisches Problem des RBB-Kulturradios, aber hier besonders gravierend, weil Mediananalysen diesem Sender nur mehr ein Prozent des Publikums attestieren.

Lesen Sie außerdem zum Arbeitsgerichtsprozess:

Heil dem Dudelfunk
Zitat einer Hörerzuschrift: „Ziehen Sie den Umkehrschluss aus dem Hörerrückgang: Es gibt sehr viele kultivierte Hörer und Verbündete.“
DIE ZEIT, 16. Januar 2006

Kündigung unwirksam
Musik-Redakteur siegt bei Gericht über RBB
Berliner Morgenpost, 13. Januar 2006

Unterhaltung mit Goebbels
RBB-Redakteur klagte erfolgreich gegen seine Kündigung
Auch die Zukunft von Kulturwellen steht auf dem Spiel, deren Weg in die Bedeutungslosigkeit auch durch zunehmende Popularisierung kaum gebremst wird
Berliner Zeitung, 12. Januar 2006

Ohrfeige für den RBB vor dem Arbeitsgericht
Fristlose Entlassung eines Kulturradio-Redakteurs war unverhältnismäßig
Märkische Allgemeine, 12. Januar 2006

Kulturradio RBB
Mobbing mit Goebbels
Wer bei seiner Programmgestaltung die Kultur zurückschraubt, setzt auch auf den Jargon des Kommerzradios
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Januar 2006

RBB und Redakteur vor Arbeitsgericht
Mittlerweile versammeln sich hinter Martin Demmler Lobbyisten und Komponisten zeitgenössischer Musik sowie sämtliche Kritiker an dem Kulturradio
Der Tagesspiegel, 11. Januar 2006

Bitte anschnallen!
Gegen die fristlose Kündigug Demmlers haben sich jetzt mehr als 30 der bedeutendsten deutschen Komponisten in einem offenen Brief gewandt
Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 11. Januar 2006

Das Kulturradio schafft sich selbst ab
Wo aber der Kulturauftrag so konsequent an den Nagel gehängt wird, da manövriert sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk ganz von selbst in die Bedeutungslosigkeit
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Januar 2006

Offener Brief von Professor Aribert Reimann
33 Komponisten erklären: Wir, die unterzeichnenden Komponisten, protestieren gegen diese ungerechtfertigte Entlassung eines hervorragenden Anwalts für die Neue Musik und fordern, Martin Demmler in seine Pflichten beim RBB wieder einzusetzen
GEMA Brief 56, Dezember 2005

Lesen Sie die einzelnen Teile des RBB-Dossiers des GANZEN Werks:

Teil 1: Dokumentation - Moderation und Original-Zitat
Teil 2: Sinkende Hörerzahlen treiben schon seltsame Blüten
Zustimmung, Leichtfertigkeit oder Naivität im Umgang mit einem Zitat von Goebbels?
Ein Zitat, das dem systematischen Ausbau der NS-Herrschaft diente, darf nicht für die Kulturradio-Debatte missbraucht werden!
Teil 3: Musikredakteur Demmler alarmiert drei ARD-Intendanten
Karikatur zu Detigs Einfall - Da sitzen alle ARD-Intendanten an einem großen Konferenztisch, unterschreiben das Goebbels-Zitat...
... und RBB-Musikchef Detig moderiert, für Das Erste.
Teil 4: Zweierlei Maßstab des RBB
Riesenhaft hier
Der kritische Musikredakteur wird als „Straftäter“ und „Denunziant“ entlassen
Zwergenhaft da
Schonend wird die Moderation mit dem Goebbels-Zitat als „nicht glücklich“ kritisiert
Teil 5: Offener Brief zum Goebbels-Zitat
an die Intendantin des RBB und an die Intendanten von NDR und WDR:
„Ich möchte Sie bitten, derartiges in der ARD nicht zuzulassen.“
und die Antwort vom WDR.
Teil 6: Antwort der Intendanz des RBB
„Sie wissen, dass es hausintern eine kritische und konstruktive Debatte
über die Moderation von Christian Detig am 30. Mai 2005 gegeben hat“

Teil 7: Kein leichtfertiger Umgang mit dem Goebbels-Zitat zum Rundfunk!
3 Bilder als Mahnung und 3 Texte zum Nachdenken (Goebbels, Pohle, Detig)

„... Aufgabe, die Hörermasse empfangswillig zu machen für die Stunden, in denen der Staatsbürger angesprochen, informiert, beeinflußt werden sollte.“
Teil 8: Linkliste
a. Das Radio als Propaganda-Instrument in der NS-Zeit (weiterführende Literatur)
b. Zeitungsartikel zur Debatte über RBB-Kulturradio
c. Liste programmatischer Erklärungen zu NDR Kultur

Hier - dokumentiert - das vollständige Zitat der Moderation:

RBB-Kulturradio: 30. Mai 2005. 07.09 Uhr.
Moderator: Dr. Christian Detig, Musikchef und Vizewellenchef Kulturradio

Da schlägt das Trommlerherz natürlich höher, Georg Friedrich Händel, La Réjouissance aus der Feuerwerksmusik, gespielt vom Ensemble [xy], neun Minuten nach sieben, sieben Uhr und neun.
Achtung Zitat: »Das Programm des Rundfunks muss so gestaltet werden, dass es den verwöhnteren Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Dabei soll besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer einen Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Unterhaltung zu finden. Dem gegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.« Zitatende.
Und ich behaupte mal, das könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant auch unterschreiben, ich übrigens auch, ich lasse es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte anschnallen! - Joseph Goebbels.
Der Mann ist immer noch für Überraschungen gut und längst wissen wir noch nicht alles. Das Leben von Joseph Goebbels ist jetzt Theater geworden und zwar im Deutschen Theater. Die Frühkritik um sieben Uhr fünfundvierzig.

Und hier das vollständige Goebbels-Zitat:

»Das Programm des Rundfunks muß so gestaltet werden, daß es den verwöhnten Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Es soll in einer klugen und psychologisch geschickten Mischung Belehrung, Anregung, Entspannung und Unterhaltung bieten. Dabei soll besonderer Bedacht gerade auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitgehend überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer meistens vom Leben sehr hart und unerbittlich angefaßt wird, in einem nerven- und kräfteverzehrenden Tageskampf steht und Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Erholung zu finden. Demgegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.«

Quelle: Joseph Goebbels, Rede zur Eröffnung der Rundfunkausstellung 1936, Abdruck in „Mitteilungen der RRG“, Nr. 501 vom 28. August 1936, Bl. 4.
Zitiert in: Heinz Pohle, Der Rundfunk als Instrument der Politik - Zur Geschichte des deutschen Rundfunks von 1923/38, Hamburg 1955, S. 281 f.