Das GANZE Werk - Presseschau

Zitate:
Kambodscha, das nach einem verheerenden Bürgerkrieg in einem Sumpf von Korruption zu versinken droht, wird von einer politischen und ökonomischen Oligarchie kontrolliert. Die Obszönität ihrer Herrschaft spiegelt sich im Fernsehen, dem wichtigsten Medium, wider. Die sechs privaten Stationen lullen das Volk mit tumbem Entertainment ein. Der staatlich kontrollierte Sender versteht sich als Instrument der Propaganda.
Endlich: Im Schneideraum springt der Computer an. Noch dreieinhalb Minuten. Wir schaffen es - und die Filme, die unsere Arbeit krönen, zeichnet allesamt politische Substanz aus.

Hamburger Abendblatt, 22. April 2006

„Wir möchten Sie nicht stören, aber...“

Fernseh-Journalismus:
Kambodscha holt deutsche Lehrer an die Universität

Von Jürgen Bertram

Phnom Penh/Hamburg - Da ist es wieder, dieses rattenhafte Fiepen. Es signalisiert, daß der Computer, an dem wir gerade unsere Geschichte über die neue Rolle der Frauen in Kambodscha schneiden, gleich seinen Geist aufgibt. Tatsächlich: der Monitor erblaßt, mein Gesicht auch. Wie viel Zeit bleibt uns bis zur Deadline? Knapp sieben Minuten. Das schaffen wir nie...

Stromausfälle gehören zum Alltag in diesem unterentwickelten Staat im Südosten Asiens. Die Königliche Universität der Hauptstadt Phnom Penh, wo ich am Institut für Kommunikation im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) sechs Wochen lang Fernseh-Journalismus unterrichte, bleibt davon nicht verschont.

Noch größeren Schaden würde in solchen Momenten allerdings ein eigener „Blackout“ anrichten. Trotz der leidigen Produktionsunterbrechungen heißt es Ruhe bewahren, sonst wären mein Ansehen und meine Autorität bei meinen 18 Studenten schwer angeschlagen. Sie wurden in ihrer traditionellen Erziehung auf Selbstbeherrschung gepolt und erwarten gerade von ihrem Lehrmeister, daß er auch bei höchstem Stress die Contenance bewahrt.

Stets auf den richtigen Ton und das rechte Maß zu achten und ständig abzuwägen zwischen objektiven journalistischen Notwendigkeiten und kulturellen wie politischen Begrenzungen: Das ist die eigentliche Herausforderung bei dieser Arbeit, die tiefe Einblicke in die asiatische Mentalität gewährt und bei der mir meine 13 Korrespondenten-Jahre in diesem Kulturkreis sehr zugute kommen.

Beispiel Harmonie. Gleich am Anfang unserer Lektionen will ich herausfinden, wie journalistisch die Studenten bei Interviews vorgehen, ob sie Gefangene ihrer eigenen Vorsicht bleiben oder ob sie, von Neugier getrieben, ihr Ziel auch mal frontal ansteuern. Also bitte ich sie, sich vorzustellen, in der Provinz einen wildfremden Menschen zu interviewen und mir einen Katalog von Fragen vorzulegen.

Schon die erste Frage auf der Liste macht deutlich, wie weit westliche und asiatische Vorgehensweisen auseinanderklaffen. Ihr Wortlaut ist bei fast allen Studenten identisch: „Ach, entschuldigen Sie bitte, daß wir uns Ihnen nähern. Wir möchten Sie auch nicht lange stören, Sie aber doch höflich bitten, uns folgende Frage zu beantworten: Wie alt sind Sie?“

Beispiel Hierarchie. Wie fest auch dieser Wert im kambodschanischen Denken verankert ist, erfahre ich gleich am ersten Tag beim Begrüßungsritual. Sowie sich ein Student meinem Pult nähert, macht er eine Verbeugung, die fast bis zum Boden reicht. Als ich meine Antrittsrede (auf englisch, alle Kursteilnehmer sprechen englisch) noch mal überfliege, entdecke ich den Satz: „Aber natürlich dürfen die Studenten auch ihren Lehrer kritisieren.“ Ich streiche ihn hastig und vermerke: „Vielleicht später!“

Die größte Herausforderung einer solchen Mission aber ist der politische Drahtseilakt. Das von der Unesco ins Leben gerufene Institut postuliert einen „pluralistischen“, also auch kritischen Journalismus. Aber Kambodscha, das nach einem verheerenden Bürgerkrieg in einem Sumpf von Korruption zu versinken droht, wird von einer politischen und ökonomischen Oligarchie kontrolliert. Die Obszönität ihrer Herrschaft spiegelt sich im Fernsehen, dem wichtigsten Medium, wider. Die sechs privaten Stationen lullen das Volk mit tumbem Entertainment ein. Der staatlich kontrollierte Sender versteht sich als Instrument der Propaganda.

Läßt man die Studenten vor diesem Hintergrund nicht ins Messer laufen, wenn man sie zu substantieller Kritik animiert? Trage ich, andererseits, nicht dazu bei, die Propaganda zu perfektionieren, wenn ich mich auf die Vermittlung handwerklicher Fähigkeiten beschränke? Und: Ging in anderen Ländern Südostasiens die Demokratisierung der Gesellschaft nicht vom Campus aus?

Ich entschließe mich, als das Vertrauen zwischen mir und meinen Schülern von Tag zu Tag wächst, zu einer Doppelstrategie. Ich fördere das durchaus vorhandene kritische Bewußtsein, warne aber, indem ich meine Dokumentation über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking vorführe, gleichzeitig vor den Gefahren einer Konfrontation mit der Macht.

Endlich: Im Schneideraum springt der Computer an. Noch dreieinhalb Minuten. Wir schaffen es - und die Filme, die unsere Arbeit krönen, zeichnet allesamt politische Substanz aus. Das Porträt eines schrottreifen Zuges thematisiert zum Beispiel die katastrophale Infrastruktur, die Armut und den Raubbau an den Wäldern in Kambodscha. Der Frauen-Film, produziert von einer Gruppe aus weiblichen und männlichen Studenten, ist ein flammendes Plädoyer für die Emanzipation. „Und für den Fall, daß Sie nächstes Jahr wiederkommen“, sagt ein Schüler zum Abschied, „hätte ich schon eine neue Story: Bestechung an den Schulen und Universitäten.“

• Jürgen Bertram war bis vor fünf Jahren NDR-Korrespondent und Redakteur.