Das GANZE Werk - Presseschau

Zitate (Dagmar Reim an Gerhart Baum):
Ultraschall ist, da sind wir uns mit unserem Partner Deutschlandradio einig, die erste Adresse für Musik der Gegenwart in Berlin und Brandenburg.
Weitere Argumentationen (sind) in der Sache sinnlos, weil Sie Vorurteile an die Stelle von Urteilen setzen und Ihre Meinung nicht von Fakten stören lassen.

12. April 2006, die RBB-Intendantin antwortet auf den Offenen Brief von Gerhart Baum

Bekannte Argumentationsmuster

Rosinenpickerei und Eigenlob - aber keine grundsätzlichen „Fakten“

Kommentar in der Form eines Zwiegesprächs

von Theodor Clostermann

Originalansicht der Antwort von Intendantin Reim (Pdf)
Druckversion der vollständigen Dokumentation (Pdf)
Druckversion der Überprüfung der vier „Fakten“ (Pdf)
Druckversion des Kommentars: „Rosinenpickerei...“ (Pdf)

Sehr geehrte Intendantin, sehr geehrte Frau Reim,

wenn ich mir Ihre drei kulturellen Punkte noch einmal durchlese, wird mir endlich klar, worin Ihr Konzept besteht, das uns mit der Antwort hat zögern lassen, und spüre ich einen Irrtum, dem Sie unterliegen: Gerhart Baum ist kein Anfänger der Kritik des Kulturverfalls und steht auch nicht alleine da.

Punkt 1:

„Rhythm is it“ - wir haben durch hohes finanzielles Engagement den Film mitproduziert, der zahllose Preise gewinnt.

Ist dadurch - werktags zwischen 6 und 18 Uhr - das Niveau beim „kulturradio vom rbb“, mit seiner „Tagesbegleitung“ und den zerstückelten Kompositionen, einen Millimeter angehoben worden? Fehlanzeige.

Punkt 2:

Wer sich in Berlin und Brandenburg für Alte Musik interessiert, landet früher oder später bei Dr. Bernhard Morbach. Seine jeweils einstündige Sendung „Morbach live“ erfreut dreimal pro Woche unsere Hörerinnen und Hörer.

Wer nicht erst jetzt bei ihm landet (Gerhart Baum vielleicht als vermeintlicher Anfänger?), sondern aus Erfahrung über Dr. Bernhard Morbach berichtet:

Er freut sich über neue Entdeckungen und er freut sich, uns, seinen Hörern, davon zu erzählen.“ (Berliner Zeitung, 27. September 2000)

der kann nur noch darüber staunen, wie selbstgefällig Sie gleichzeitig die Kürzung der Sendezeit von fünf bzw. sechs auf drei Stunden und den Wegfall von Live-Konzerten und Studiogästen verschweigen.

Punkt 3:

Ultraschall ist, da sind wir uns mit unserem Partner Deutschlandradio einig, die erste Adresse für Musik der Gegenwart in Berlin und Brandenburg.

Großartig, dass sich die Veranstalter selbst „einig“ sind. Welch dickes Eigenlob und welch beispiellose Rhetorik... Feine Neue Musik - leider wesentlich kleiner geworden. Wie praktisch, dass Sie den Adressaten in die Schublade des „Nicht-wissen-wollens“ stecken: Er kann, er darf ja nicht wissen, dass die Sendezeit von „Musik der Gegenwart“ von fünf auf zwei Stunden gekürzt wurde und jährlich vier Konzerte der Reihe „Musik der Gegenwart“ gestrichen wurden, während gerade „UltraSchall“ von einem auf zwei Konzerte aufgestockt wird.

Ihre Werbesprache überzeugt mich nicht

„Rhythm is it“, „Morbach live“ und „UltraSchall“, das sind also kulturell „die Fakten“ beim „kulturradio vom rbb“?

Nein, Frau Reim, das sind nur drei Glanzlichter, drei Highlights. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Und der Schatten? Verschwiegen, verschwunden, dazu keine „Fakten“. Das ist auch beispiellose Rhetorik. Das ist nicht glaubwürdig.

Wie in der Werbung. „Eines der renommiertesten Festivals...“ Einer/eine/eines der -sten. Super Superlativ.

Der wirkliche Schatten: das „Tagesbegleitprogramm“

Einer der beliebtesten Tricks der Formatradio- und Tagesbegleitverfechter ist es, mit dem Abendprogramm zu prahlen. So haben es NDR-Hörfunkdirektor Gernot Romann und NDR-Kultur-Wellenchefin Barbara Mirow bei NDR Kultur anfangs auch versucht.

Der Schatten, das sind nicht nur die Kürzungen im Abendprogramm (bei „Morbach live“ und „Musik der Gegenwart“), sondern das ist das „Tagesbegleitprogramm“ werktags von 6 bis 18 Uhr.

Wenn Sie schreiben, Frau Reim,

dass es uns gemeinsam gelungen ist, die Substanz unserer Radioprogramme zu erhalten.

dann mag es für den Erhalt der Sender überhaupt gelten, keineswegs aber für die kulturelle Substanz tagsüber beim „kulturradio vom rbb“. Hatte sich nicht Musikchef Dr. Christian Detig zitatweise zustimmend dafür ausgesprochen, dass „besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung“ gelegt werden solle? Warum nehmen Sie nicht zur Kritik des Kulturverfalls Stellung, obwohl Gerhart Baum es in seiner zusammenfassenden Kritik miteinschloss?

Das Programm der Kulturwelle des RBB und die kulturellen Förderungsaktivitäten des RBB haben im Laufe der letzten Jahre einen erheblichen Substanzverlust erlitten. (...) Insgesamt orientiert sich der Sender immer weniger an Qualitätsmaßstäben. Das Quotendenken, das vom Musikchef des Senders öffentlich zum Thema gemacht wurde, bestimmt immer stärker die Entscheidungen.

Das Tal der Ahnungslosen und des „Nicht-wissen-wollens“ werden Sie nicht finden

Einer der beliebtesten Tricks der Formatradio- und Tagesbegleitverfechter ist es, die Kritiker für vergesslich zu halten. Frau Mirow hatte in einem Brief doch glatt die Behauptung aufgestellt:

Bitte lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zugleich ein Missverständnis richtig stellen: Längere klassische Werke haben wir im Tagesprogramm von NDR Kultur, respektive Radio 3, respektive NDR 3 immer nur in Ausnahmefällen gespielt. Einen Zusammenhang mit der Programmreform gibt es nicht. Ungekürzt können Sie die Werke der großen Meister selbstverständlich im Abendprogramm von NDR Kultur genießen.

Die Seite, auf der wir mit Kopien aus Programmzeitschriften der Jahre 1996 (NDR 3) bis 1999 (Radio 3) Musiksendungen mit ganzen Werken dokumentierten und damit das Märchenhafte ihrer Behauptung enthüllten, ist eine der beliebtesten Seiten unseres Internetauftritts. Worin unterscheidet sich da prinzipiell Ihr ausschließlicher Verweis auf die positiven Seiten von „Morbach live“ und „UltraSchall“?

Einer der Beliebtesten ist es schließlich, den Kritikern Unkenntnis vorzuwerfen. Frau Reim, da kennen wir uns gut aus. NDR-Intendant Prof. Jobst Plog schrieb mir auf den Tag genau vor zwei Jahren, indem er auf einen Kritikpunkt der Resolution der Hamburger Telemann-Gesellschaft und auch heute noch gültigen Resolution des GANZEN Werks einging, folgende Polemik:

Vertreten sollte die Telemann-Gesellschaft allerdings eine Persönlichkeit, die das kritisierte Programm auch hört. Dies ist offenbar nicht bei allen Vereinsmitgliedern der Fall, wie die Äußerungen in Ihrem Brief vermuten lassen. Denn die Formulierung, dass „alte und klassische Musik anscheinend einem auf Show ausgerichteten Kulturbetrieb untergeordnet wird“, kann nur in grober Unkenntnis der tatsächlichen Programmbestandteile von NDR Kultur getroffen werden.

So hat er seine Kritiker nicht kleinreden können. Heute hat die Initiative Das GANZE Werk mehr als 1.900 Mitglieder und zusätzlich mehr als 2.400 Unterstützer. Vielleicht hatten Sie bisher mit dieser Methode Erfolg.

Für Gralshüter der Hochkultur aber ist selbst ein klassisches „Tagesbegleitprogramm“ eine Todsünde. Das Wochenblatt „Die Zeit“ resümierte neulich bitter: „So gräbt sich der Hörfunk sein eignes Grab.“ RBB-Intendantin Dagmar Reim, die den Umbau der Kulturwelle forciert hat, winkt bei solchen Einwürfen nur müde ab: „Ich wäre froh, wenn alle unsere Kritiker tatsächlich Radio hören würden.“ (Berliner Zeitung, 9. Dezember 2003)

Ihre „Fakten“ überzeugen mich nicht

Frau Reim, Sie unterstellen Gerhart Baum, er ließe seine „Meinung nicht von Fakten stören“, weshalb „weitere Argumentationen in der Sache sinnlos“ seien.

Ihre „Fakten“ überzeugen mich „in der Sache“ nicht. Wenn Sie eine Diskussion für „sinnlos“ halten, handeln Sie in meinen Augen voreilig oder versuchen Sie in trotziger Weise, einer gebotenen Diskussion auszuweichen. Das haben Sie schon auf der Rundfunkratssitzung am 9. Februar 2006 versucht - nach dem Motto: Bloß keine Diskussion über die Programmphilosophie. Diese Diskussion läuft aber wieder - seit der Goebbels-Moderation Ihres Musikchefs beim „kulturradio vom rbb“.

Bei der Podiumsdiskussion am 22. Juni 2006 um 19.30 im Krönungskutschen-Saal der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin, veranstaltet vom Gründungsausschuss der „Initiative Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg)“, können Sie offen und öffentlich mit Gerhart Baum über folgende Frage ein Streitgespräch führen:

„rbb kulturradio - Wird der Kulturauftrag noch erfüllt?“

geschrieben am 25. Mai 2006

Lesen Sie zur Podiumsdiskussion am 22. Juni 2006 in Berlin:

„rbb kulturradio - Wird der Kulturauftrag noch erfüllt? - Ein Streitgespräch“
Der Gründungsausschuss der „Initiative Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg)“ als Veranstalter lädt ein zu einer Podiumsdiskussion am Donnerstag, 22. Juni 2006, um 19.30 Uhr in der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin, Krönungskutschen-Saal, Neuer Marstall - Schloßplatz 7, 10178 Berlin (Mitte)
Gründungsausschuss, 23. Mai 2006

Entwurf der Gründungsresolution: Mehr Radiokultur bei kulturradio
Nur mit einem attraktiven Programm kann kulturradio neue Hörer hinzu- und ehemalige Hörer zurückgewinnen
Gründungsausschuss der „Initiative Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg)“, 23. Mai 2006

Lesen Sie zur Korrespondenz von Gerhart Baum mit RBB-Intendantin Dagmar Reim:

Der Kommentar: Bekannte Argumentationsmuster
„Rosinenpickerei und Eigenlob - aber keine grundsätzlichen ‚Fakten‘“
Kommentar in der Form eines Zwiegesprächs, von Theodor Clostermann, 25. Mai 2006

Die Überprüfung: Die vier Punkte von Frau Reim
„Fakten“? Glanzlichter und ganz andere Tatsachen
Von Theodor Clostermann, 25. Mai 2006

Die Dokumentation: Alles auf einer Seite
Der Offene Brief von Gerhart Baum, die Antwort der Intendantin und die Überprüfung ihrer vier „Fakten“ nebeneinander, abschließend der Kommentar
28. März, 12. April und 25. Mai 2006

Die Antwort: Brief von RBB-Intendantin Dagmar Reim an Gerhart Baum
„Weitere Argumentationen in der Sache (sind) sinnlos, weil Sie Vorurteile an die Stelle von Urteilen setzen und Ihre Meinung nicht von Fakten stören lassen“
Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), 12. April 2006

Anfrage und Anklage: Offener Brief an die Intendantin des RBB
Aufruf zur Stärkung des Kulturauftrags des öffentlich-rechtlichen Hörfunks - Karlsruhe und Brüssel müssen eingeschaltet werden, Gerhart Baum, 28. März 2006

Lesen Sie zur weiteren Auseinandersetzung von Gerhart Baum mit dem kulturradio:

Radio ohne Kultur
Gerhart Baums Kritik am Rundfunk
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Januar 2006

Aushöhlung des Kulturauftrags durch Programme der so genannten Kulturradios
Die vollständige Pressemeldung von Gerhart Baum zum Kulturradio
Gerhart Baum, 10. Januar 2006, Erstveröffentlichung beim GANZEN Werk

Lesen Sie zum Kulturauftrag von Gerhart Baum:

Auftrag, nicht Wohltat - Öffentlicher Rundfunk und Neue Musik
Grundsätzliches zum Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
Das Bundesverfassungsgericht ist der Meinung, dass die „besondere Eigenart“ des öffentlichen Rundfunks erst durch die Erbringung solcher Programmteile „ihre Rechtfertigung“ findet, die unter kommerziellen Bedingungen notwendig defizitär bleiben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. März 2005