Das GANZE Werk - Presseschau

Zitate:
Bei Kulturwellen ist es so: Sie können sich damit zufrieden geben, dass Sie die erreichen, die Sie immer schon erreicht haben. Diese Hörer haben aber den entscheidenden Nachteil, dass sie sich irgendwann verabschieden, und sei es aus biologischen Gründen.
Wir haben uns auch den Tagesverlauf von Menschen angeschaut, die noch nicht pensioniert sind, und niemanden gefunden, der sich nachmittags um 15 Uhr 55 Minuten über Theodor W. Adorno anhören kann. Daher die Zweiteilung des Programms: tagsüber ein Angebot, das man auch dann hören kann, wenn man noch im Büro ist oder nur eine relativ kurze Aufmerksamkeitsspanne hat, und am Abend dann die großen, Aufmerksamkeit verlangenden Stundensendungen.

epd medien Nr. 36, 9. Mai 2007

Ausschnitt aus einem Interview mit RBB-Intendantin Dagmar Reim, wenige Tage vor ihrer Wiederwahl

„Gern mehr 50-Jährige gewinnen“

Vorbemerkung: Am 11. Mai wurde Dagmar Reim vom Rundfunkrat mit 24 von 27 abgegebenen Stimmen erneut zur Intendantin des RBB gewählt. Aus dem umfangreichen Interview mit Volker Lilienthal zitieren wir Ausschnitte zu rbb kulturradio.

Frage 1: Die Zielgruppe(n)

Im vergangenen Jahr hatten Sie das Kulturradio zum Unternehmensziel ausgerufen. Wo sehen Sie dieses Programm heute, auch nach der vielen Kritik, die es gegeben hat?

Die Kritik war unausweichlich. Bei Kulturwellen ist es so: Sie können sich damit zufrieden geben, dass Sie die erreichen, die Sie immer schon erreicht haben. Diese Hörer haben aber den entscheidenden Nachteil, dass sie sich irgendwann verabschieden, und sei es aus biologischen Gründen. Bei der Bestandsaufnahme der Kulturwellen von SFB und ORB mussten wir feststellen, dass der Altersschnitt der Hörer nicht etwa gleich blieb, sondern binnen zwei Jahren um bis zu zehn Jahre stieg. Dieser Entwicklung konnten wir nicht länger tatenlos zusehen, zumal es sich um unser teuerstes Radioangebot handelt. Verjüngung heißt in diesem Fall: Wir würden gern mehr 50-Jährige dafür gewinnen. Darum kümmern wir uns. Wir haben uns auch den Tagesverlauf von Menschen angeschaut, die noch nicht pensioniert sind, und niemanden gefunden, der sich nachmittags um 15 Uhr 55 Minuten über Theodor W. Adorno anhören kann. Daher die Zweiteilung des Programms: tagsüber ein Angebot, das man auch dann hören kann, wenn man noch im Büro ist oder nur eine relativ kurze Aufmerksamkeitsspanne hat, und am Abend dann die großen, Aufmerksamkeit verlangenden Stundensendungen.

Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg): In Abgrenzung zu dem selbstgewählten Extrem, dass sich ein Nichtpensionierter keine 55-Minuten-Sendung über Theodor W. Adorno am Nachmittag anhören könne, steuert sie als Zielgruppe die Hörer mit „relativ kurzer Aufmerksamkeitsspanne“ an: die Büro-Beschäftigten und - wie anzunehmen ist - die Autofahrer. Welch Einschränkung! - Beim Stichwort „Adorno“ erinnern wir uns an die von Musikchef Dr. Christian Detig zitierten Stichworte „Kant“ und „Hegel“.

Frage 2: Gespräche mit Kritikern

Zugegeben: auch Kulturradio, das bleiben will, kann sich nicht gleich bleiben, muss sich ändern. Doch war nicht auch in der inhaltlichen Kritik von Traditionalisten wie Das Ganze Werk ein Körnchen Wahrheit und warum hat der RBB den öffentlichen Dialog mit diesen Kritikern so strikt verweigert?

Wir haben ihn nicht verweigert. Die Hörfunkdirektorin hat zweimal mit den Leuten diskutiert, der Chefredakteur des Kulturradios ebenfalls. Neulich wurde in der Akademie der Künste über die Rolle der Kultur im Radio diskutiert. Auf dem Podium saßen mit Ausnahme von zwei Kollegen lediglich Menschen, die nicht mehr im Berufsleben stehen. Niemand vom RBB war geladen. Wir baten darum, unsere Sichtweise auf dem Podium erläutern zu dürfen. Es war nicht erwünscht.

Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg): Wir erinnern daran, dass der RBB zu unserer Podiumsdisussion am 22. Juni 2006 in Berlin nicht erschien - eingeladen war die Intendantin. Stattdessen kam es am 5. September 2006 zu einem - ergebnislosen - Gespräch von Dr. Wilhelm Matejka und seinem Leitungsteam mit Vertretern unserer Initiative, das wir dokumentiert haben. Hansjoachim Hölzel, 1. Sprecher der Initiative: „Es hat nur ein einziges Gespräch gegeben, alles andere ist unwahr.“

Frage 3: Erfolge in der letzten Zeit

Nach dem Kulturradio als Unternehmensziel 2006: Ist inzwischen Entspannung eingetreten?

Ich glaube schon. Von Leuten, die Lesungen veranstalten, von Konzertveranstaltern und vielen anderen aus der Kulturszene erfahren wir ein starkes Interesse an dem, was wir tun. Und auch unsere Redaktionen kommen inzwischen sehr viel besser mit ihrem eigenen Programm klar. Sie haben Ermunterung erfahren und sich zum Beispiel einen Wettbewerb für Kurzhörspiele und Kurzfeatures einfallen lassen. Wir haben auch einige Hörer hinzugewinnen können. Wichtig ist uns: Kulturradio ist nicht auf Quotenjagd. Es soll eine wichtige Rolle in der an Kultur interessierten Zielgruppe spielen.

Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg): Der größte Zuspruch, den rbb kulturradio in letzter Zeit nach den Worten der Intendantin erfahren hat, ist also der von Kulturveranstaltern. Es ist ungewöhnlich, dass Frau Reim nicht die Hörer, sondern Kulturpartner besonders hervorhebt. Diese hat der Sender seit kurzem auf einer Extra-Seite veröffentlicht. Das zählt wohl.