Das GANZE Werk - Presseschau

Frankfurter Rundschau, 18. März 2008

Zitat: Im Kern möchte ich ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem, in dem die Kreativen mehr und die Verwaltungen weniger zu sagen haben. Im gesamten Mediensystem sollte die Ökonomie die Inhalte nicht diktieren, sondern den Kreativen dienen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten Instrumente haben, um ihren Einfluss und ihre Interessen zeitnah geltend zu machen. In diesem Zusammenhang wäre eine Art Media Watch sicherlich auch hilfreich, um Kritik professionell zu bündeln.

Frankfurter Rundschau, 18. März 2008

„Massenkompatible Verramschung“

Linke-Chef Lothar Bisky warnt davor, dass ARD und ZDF in Bedeutungslosigkeit fallen

Interview: Robin Meyer-Lucht

Herr Bisky, in Ihrem Vorwort zur Studie „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk zwischen Wettbewerb und Kultur“ warnen Sie vor einem „kompletten Identitätsverlust der öffentlich-rechtlichen Sender“ und einem „Zusammenbruch des dualen Rundfunksystems“. Sie übertreiben.

Wer die Öffentlich-Rechtlichen schützen will, muss jetzt auf Reformen dringen. Wir können nicht Jahrzehnte warten, bis es dann möglicherweise zu spät ist. Die immer weitere Annäherung der öffentlich-rechtlichen an die privaten Programme halte ich für einen großen Fehler. In den Nachmittagsprogrammen der Öffentlich-Rechtlichen findet eine massenkompatible Verramschung von Sendezeit zugunsten minderwertiger Soaps statt. Auch manch andere Programmteile im dualen System nähern sich an. Die Mainstreamisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist nicht zu übersehen.

Zur Person
Lothar Bisky (66) ist Vorsitzender und auch medien- politischer Sprecher der Partei Die Linke.
Sie hat jüngst einen kritischen Bericht (pdf-Download: 6,6 MB) zum Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks veröffentlicht: „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk zwischen Wettbewerb und Kultur“.
Der Rundfunk sei ein „autistisch abgeschlossenes System, das nur noch mit sich selbst“ kommuniziere, das seinen Qualitäts-, Vielfalts- und Kulturauftrag vernachlässige. Es fehle an effektiver Kontrolle, Aufsicht und Transparenz.

Die Mainstreamisierung entspricht doch gerade dem Selbsterhaltungsreflex des Systems.

Meine Generation mögen die Öffentlich-Rechtlichen damit einigermaßen zufrieden stellen, aber die nächste Generation gewinnen sie so nicht. Wenn sie so weitermachen, werden sie in Zukunft in die Bedeutungslosigkeit fallen. Wer die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen im Auge hat, muss die Frage beantworten, wie sie sich bei den zukünftigen Generationen profilieren können. Hierzu bedarf es einer Rückbesinnung auf den öffentlich-rechtlichen Kernauftrag und einer neuen Verständigung hierüber. Das ist der Ansatzpunkt unserer Reformvorschläge.

Was muss passieren, damit die Öffentlich-Rechtlichen ihren Qualitätsauftrag ernster nehmen?

Ich denke, dass man über die Formulierung des Programmauftrags diskutieren sollte. Wir sollen hierüber eine kontroverse Debatte oder zumindest einen Diskurs entfalten, was das heute heißt. Wir können ja nicht so tun, als sei das Fernsehen von heute noch vergleichbar mit dem Fernsehen von vor zehn Jahren. Es bricht sehr viel um. Darüber zu diskutieren, was digitale Grundversorgung sein soll, erscheint mir wichtig.

Die Öffentlich-Rechtlichen verhalten sich wie ein „autistisch abgeschlossenes System, das nur noch mit sich selbst kommuniziert“, wie es in Ihrer Studie heißt.

Es ist ein großes Demokratiedefizit in der Medienpolitik zu konstatieren. Die zentralen medienpolitischen Weichenstellungen erfolgen nicht in den Parlamenten, sondern in den Staatskanzleien der Ministerpräsidenten und in der Rundfunkkommission der Länder. Das ist ein intransparentes, expertokratisches Gremium. Demokratische Teilhabe gibt es dort nicht. Die Landesparlamente haben nur Abnick-Rechte. Bei Rundfunkstaatsverträgen ist das digitale Zeitalter längst eingeläutet.

Wenig Demokratie fördernd wirkt, dass Medienpolitik hier streng genommen ein Zwei-Parteien-Geschäft ist.

Es ist bemerkenswert, dass die Gebührenerhöhung 2005 von Ministerpräsidenten einfach gekürzt wurde. Das war reiner Feudalismus. Wir haben es hier mit einer Zwei-Parteien-Autokratie zu tun. Einer der einst führenden Sozialdemokraten, Egon Bahr, hat mir die bundesdeutsche Medienordnung mal so erklärt: Es gibt zwei große Parteien, und solange sie sich über die Besetzung der entscheidenden Posten verständigen, wird es keine Gefahr für das System geben. Ich denke, da ist einiges dran. Die Parteien-Autokratie ist schädlich für alles Öffentlich-Rechtliche. Sie stellt ein großes Demokratiedefizit dar, auch wenn sie natürlich rechtsstaatlich legitimiert ist. Weder die Ministerpräsidenten der SPD noch die Ministerpräsidenten der CDU/CSU lassen eine besonders reformfreudige Seite erkennen. Sie profitieren ja auch von diesem System. Von denen wird keine Reform ausgehen.

Bei Ihren Reformansätzen spielen die Gremien eine zentrale Rolle. Sie wollen dort keine Parteienvertreter mehr sehen.

Die Zusammensetzung der Gremien ist aus meiner Sicht ein zentraler Hebel. Ich bin dafür, dass keine direkten Parteienvertreter in die Rundfunkräte entsandt werden. Natürlich: Parteien kann man nicht gänzlich raushalten. Aber wir brauchen vor allem mehr Sachverstand in diesen Gremien. Ich würde die Politiker einfach rausnehmen. Wir sollten aufhören, „Sitzdelegierte“ in die Gremien zu schicken. Wir brauchen Leute, die engagiert für eine effektive Erfüllung des Programmauftrags streiten.

Die Linke ist eine Partei mit Hang zum utopischen Denken. Wie lautet Ihre Utopie eines guten Mediensystems?

Im Kern möchte ich ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem, in dem die Kreativen mehr und die Verwaltungen weniger zu sagen haben. Im gesamten Mediensystem sollte die Ökonomie die Inhalte nicht diktieren, sondern den Kreativen dienen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten Instrumente haben, um ihren Einfluss und ihre Interessen zeitnah geltend zu machen. In diesem Zusammenhang wäre eine Art Media Watch sicherlich auch hilfreich, um Kritik professionell zu bündeln.

Beim neuen Rundfunkstaatsvertrag geht es auch darum, die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen im Internet genauer zu beschreiben. Was ist Ihre Position?

Ich bin dafür, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten in der neuen digitalen Medienwelt ihre Chance bekommen. Der kulturelle Umbruch, der uns alle mit der Digitalisierung ereilen wird, der findet jetzt statt, und da müssen die Öffentlich-Rechtlichen tätig werden. Aber auch bei Art und Ausrichtung der öffentlich-rechtlichen Online-Angebote gibt es Reformbedarf. Ich würde mir wünschen, dass Meinungsbildung hier eine größere Rolle spielt.

Zum Gutachten und zu einer kleinen Lese-Orientierung:

»Öffentlich-rechtlicher Rundfunk zwischen Wettbewerb und Kultur«
Pdf-Download, Achtung: 6,6 MB!
Gutachten zur Situation und Zukunft der Medien, des Medienrechts und der Medienpolitik in Deutschland und der EU, November 2007
Vorgelegt von Prof. Dr. Jörg Becker, Prof. Dr. Götz Frank, Dr. jur. Dipl. Kfm. Ulrich Meyerholt
im Auftrag der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Herausgeber: Lothar Bisky
„Eine kleine Lese-Orientierung zu den Ausschnitten aus dem Gutachten“
Hinweise, Zitate und wichtige Ausschnitte aus dem Gutachten (Pdf: 0,5 MB)

Teil A: Sozialwissenschaftliches Gutachten (Seite 7 – 32)
Teil B: Juristisches Gutachten (Seite 33 – 49)
Teil C: Thesen (Seite 51 + 52)
Auf Seite 16 steht zum Beispiel: Es ist durchaus im Interesse dieses Gutachtens kurz auf eine Analyse der Bürgerinitiative „Das ganze Werk“ näher einzugehen (und sei es nur deswegen, weil hier eine systematische Programmkontrolle „von unten“ kommt). Mitglieder der Initiative analysierten für den Nachmittag des 8. August 2006 vergleichend die Kulturprogramme...
Zusammenstellung: Theodor Clostermann, Das GANZE Werk (Nord), 22. Februar 2008