Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg): Kommentar

kulturradio vom rbb, im März 2008, und Das GANZE Werk (BB), 17. März 2008

Kulturradio-Preisrätsel

Bindung der Konsumenten an eine Marke ist seit langem eine Forderung der Werbung. Dies wird auch in der Medienbranche immer wichtiger: Zeitungen wollen ihre Leser, Fernsehsender ihre Zuschauer und Rundfunksender ihre Hörer an sich binden.

Ein Mittel dazu sind intellektuell sehr anspruchsvolle Preisrätsel der folgenden Art:

1. Welcher Tennisspieler hat als erster Deutscher dreimal das Turnier von Wimbledon gewonnen?
    (a) Boris Becker
    (b) Carl-Uwe Steeb
2. Welches beliebte Reiseland hat mit seiner Fußballmannschaft den Afrika-Cup 2008 gewonnen?
    (a) Ägypten
    (b) Indien
3. Von welchem Komponisten stammt die Kennmelodie unseres Senders – zu hören immer vor den Nachrichten?
    (a) Johann Sebastian Bach
    (b) Igor Strawinsky

Wir fügen folgende Frage an:

Welches dieser Preisrätsel stammt von einem öffentlich-rechtlichen Sender?

Hier die Auflösung dazu:

1. ist falsch: Diese Art der Fragestellung ist üblich bei den Daviscup-Übertragungen des Deutschen Sport-Fernsehens (DSF).
2. ist falsch: Genau diese Frage stellte das Quiz-Taxi von „kabel1“ am 10.03.2008 gegen 20.00 Uhr.
3. ist richtig: Das Kulturradio vom RBB bietet in seinen Sendungen und unter http://www.kulturradio.de/_/quiz/index_jsp/key=1365471.html eine Reise für zwei Personen inkl. Übernachtung zum Europakonzert der Berliner Philharmoniker nach Moskau am 1. Mai 2008.

„Sie fliegen zusammen mit den Berliner Philharmonikern und Simon Rattle zum Europakonzert am 1. Mai nach Moskau. Sie sitzen im selben Flugzeug, haben einen VIP-Shuttle zum Hotel, besuchen eine Probe und sind zum Empfang eingeladen. - Mitmachen und Gewinnen - Sie können bis zum 26.03.2008 00:00 Uhr an unserem Quiz teilnehmen. - Unter allen richtigen Einsendungen verlosen wir eine Reise für zwei Personen inkl. Übernachtung zum Europakonzert der Berliner Philharmoniker nach Moskau am 1. Mai 2008. Abflug gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern ist der 29. April von Berlin-Tegel.“

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Preisrätseln von DSF/kabel1 und RBB.

• Bei den Privatsendern sind kostenpflichtige Rufnummern zu wählen, sodass die Teilnehmer die Preise durch die Telefonkosten selbst bezahlen. Beim RBB ist die Teilnahme kostenlos und auch per Internet oder Email möglich.
• Igor Strawinsky ist ein Komponist klassischer Musik. Es wäre also zumindest nicht von vornherein abwegig, dass der RBB eine seiner Melodien als Senderkennung gewählt hätte (anders als bei den genannten alternativen Vorschlägen der Fernsehsender).
• Die Privatsender müssen sich selbst finanzieren: durch Werbung oder eben durch Marketing-Aktionen, die die Hörer und Zuschauer selbst bezahlen. Der öffentlich-rechtliche Sender RBB hat dies nicht nötig, sondern wird von allen Besitzern eines Rundfunk- oder Fernsehgeräts per GEZ finanziert.

Eine intellektuelle Herausforderung des RBB an seine Hörer

Bei genauerem Hinsehen relativieren sich diese Unterschiede:

• Igor Strawinsky wurde im Tagesbegleitprogramm des RBB (werktags zwischen 6 und 18 Uhr, samstags bis 12 Uhr) während des gesamten Jahres 2007 insgesamt 55x gespielt (bei etwa 20.000 Musikschnipseln). In fast der Hälfte dieser Fälle gab es Ausschnitte aus der Pulcinella-Suite zu hören; auch andere Stücke wurden mehrfach gespielt, sodass die Hörer noch weniger Musikbeispiele zu hören bekamen.
• In der gleichen Zeit wurde allein der 3. Satz des Brandenburgischen Konzerts Nr. 5 (BWV 1050) von J.S.Bach, der als Senderkennung „zweckentfremdet“ wurde, etwa 17x gespielt.
• Außerdem ist es für einen Sender billiger, Musik von schon längst gestorbenen Komponisten zu spielen, weil Tantiemen dann nur noch an die Mitwirkenden, aber nicht mehr an den Schöpfer der Melodien zu zahlen sind.

Selbst wer so gut wie nichts über Bach und Strawinsky weiß, wird also die richtige Antwort des RBB-Preisrätsels kennen - eine unglaubliche intellektuelle Herausforderung, die der RBB an seine Hörer stellt.

Das Verhalten des RBB ist deshalb enttäuschend. Obwohl er durch Gebühren finanziert wird und (eigentlich) keine Werbung verkauft, sondern einen Kulturauftrag hat, rennt er wie jeder x-beliebige Privatsender der Quote hinterher. Auch wenn ein solches Preisrätsel nur am Rande der Senderaktivitäten steht, könnte der RBB bei der Übernahme von Marketing-Maßnahmen zur Hörerbindung wenigstens auf Qualität und Anspruch setzen.

„Die Enquete-Kommission empfiehlt den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Beiträgen zur Kultur in den Hauptprogrammen breiteren Raum einzuräumen, sie stärker in die Hauptsendezeit zu rücken und mehr Möglichkeiten bereitzuhalten, musikalische Werke zusammenhängend darzubieten.“

Jürgen Thomas, veröffentlicht am 17. März 2008

Lesen Sie zu der Auflösung und zu den Konsequenzen:
Die Erkennungsmelodie ist doch von Johann Sebastian Bach und nicht von Igor Strawinsky... - Warum so viele falsche Antworten?
Von Jürgen Thomas, 9. Mai 2008

Lesen Sie auch zu einer ähnlichen Aktion bei NDR Kultur:
Galareise der klassischen Musik - Das Schleswig-Holstein Musik Festival auf dem Meer
„Mögen Sie das Meer? Wollten Sie schon immer mal im Frühling nach Venedig? Und möchten Sie sich jetzt schon auf das Schleswig-Holstein Musik Festival einstimmen? Dann sollten Sie sich die Verlosung der „Galareise der klassischen Musik“ nicht entgehen lassen!“
NDR Kultur, 9. März 2007