Kulturwellen im Nord-Süd-Profil: Sternstunden des Hörfunks

Bayern 4 Klassik, 10. Oktober 2008, 6 - 19 Uhr: Jugendradiotag

Klingende Geographie mit Herz und Esprit

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Von Ludolf Baucke

Kann ein dreizehnstündiges Musikmagazin so anregend gestaltet sein, dass es lustvoll gehört und ihm zuliebe der gewohnte Tagesablauf über den Haufen geworfen wird? Die Antwort lieferte das Kulturprogramm „Bayern 4 Klassik“ mit seinem vierten Jugendradiotag. Der Sender hatte dazu 26 Jugendliche, zwanzig Damen und sechs Herren, eingeladen und in mehreren Etappen auf das von ihnen zu gestaltende Programm vorbereitet. Anfang August wurden die jungen Programmmacher zu einer Seminarwoche ins Münchener Funkhaus eingeladen. Der 22. September wurde als Stichtag für die Abgabe der Beiträge, Reprotagen und Musikplanung festgelegt. Am 27./28. September wurden die von den Jugendlichen vorbereiteten Beiträge im Funkhaus produziert. Am Freitag, 10. Oktober, schließlich war es soweit - Bayern 4 Klassik sendete von 6.05 bis 20 Uhr den Jugendradiotag. Jeweils zwei Jugendliche fuhren gemeinsam mit professioneller Begleitung aus dem Hause ihre jeweils 55 Minuten dauernde Sendung. Sie moderierten kompetent und verzichteten ganz auf reißerische Anbiederungen.

„So klingt meine Stadt“, ein akustisch fesselnder Bilderbogen vom Aufwachen bis zum Feierabend

Die einzelnen Magazinblöcke folgten dem Tagesablauf. Die morgendlichen Etappen orientierten sich an Aufwachen, Wachwerden, Morgen, Frühstück, Langschläfer und Spätaufsteher, während sich an die beiden Mittagsmagazine die Stichworte Siesta, Nachmittag, Teatime, Rush-Hour und Feierabend anschlossen. Aufschlussreicher noch als die tageszeitlichen Etappen aber war die vom Thema „So klingt meine Stadt“ abgeleitete topographische Differenzierung. Die jungen Radioteams erkundeten Ulm, Hallertau und Taubertal, Waging am See, Augsburg, Gauting, München, Memmingen, das Allgäu mit Nesselwang und Kempten, Rosenheim, Landshut, Würzburg, Schrobenhausen und zum Schluss die Gemeinden Schönberg und Riemerling. Insgesamt entstand ein akustisch fesselnder Bilderbogen. Die jungen Radiomacher porträtierten ihre heimatlichen Regionen ebenso abwechslungs wie einfallsreich und lieferten mit Herz und Esprit eine klingende Geographie.

Stilistisch bunt gemischt: Beispiel Ulm

Musikalisch gab es keine Trennung zwischen ernster und unterhaltender Musik. Klassik, Jazz, Pop, Rock, Folklore mischten sich in jeder Sendestunde ganz, wie es durch den Ort und das Sendeteam vorgegeben war. Als vollständiger Beleg für die bunte stilistische Mischung in nur einer Etappe sei die Titelliste aus der ersten Stunde in Ulm zitiert. Da spielte „zum Wachwerden“ anfangs Andras Schiff Präludium und Fuge in F-Dur aus dem ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers. Weil anschließend das in Ulm stationierte Heeresmusikkorps 10 vorgestellt wurde, folgten die von Bernd Rabe schneidig arrangierte „High Society“ und - vom Tuba blasenden Thomas Hain mit dem Hinweis „zur Abwechslung auch mal ein Streicherstück“ der zweite Satz aus Mozarts „Nannerl-Sextett“ KV 251. Als dann die mit 28 Spielstätten aufwartende Ulmer Kulturnacht und die Musikschule ins Visier gerieten, reihten sich Ray Charles mit dem Titel „A fool for you“, das Charakterstück „Pour mon amour“ der Klavierpädagogin Elena Goodeva und in einer Aufnahme mit dem heimischen Panegazza-Consort das Caccini-Madrigal „Dalla porte d'oriente“ aneinander. Die Moderatorin erfüllte sich einen Wunsch mit „Fulltime Running“ der Schweizer Sängerin Heidi Happy, vom Ulmer Barockkomponisten Jakob Friedrich Kleinknecht erklang das Presto aus der 6. Sonate für Flöte und Continuo, die ausführlich vorgestellten „Ulmer Spatzen“ sangen ein Minnelied von Johannes Brahms, und kurz vor den 9 Uhr-Nachrichten musizierte das Concerto Köln aus Mendelssohn-Bartholdys achter Streichersinfonie.

Die ganze Welt der Musik

Als in der zweiten Stunde Veronika Wawatschek durch die Hallertau radelte, begegnete sie nicht nur der Blaskapelle Hopfareißer, sondern auch der Hard-Rock-Band „Damn Nation“, die sich den Sonnenaufgang aus „Also sprach Zarathustra“ (R.Strauss) wünschten. Später - im Verlauf der fünfteiligen Reportage über die Hopfenernte - wünschte sich die Hopfenkönigin „ein Stück von Mozart“. Für die anschließend im Taubertal auftretende Weinkönigin gab es Beethovens „Für Elise“, und viel später wurde für die Spargelkönigin aus Schrobenhausen das Vogelfängerlied aus der „Zauberflöte“ gesendet.

Bewegend schwenkte das Mikrofon in Landshut am Nachmittag zu der 1923 geborenen Kinderbuchautorin Marlene Reidel. Das von ihr gewünschte Adagio aus Schuberts Streichquintett wurde zwar nur als Ausschnitt gesendet, doch schon damit wurde ein kontemplativer Kontrapunkt zu alltäglicher Hektik gesetzt. Für Politprominenz gab es Jazz, aber auch das Schubert-Lied „Der Musensohn“. Der Jugendradiotag entdeckte zwischen Hackbrettklängen, Männerchorgesang und Weltmusik die ganze Welt der Musik.

Die Gunst des Ortes ausgenutzt

Die jungen Radiomacher nutzten die Gunst ihres Ortes. Augsburg als Mozartstadt, Gauting als Heimatort der Geigerin Julia Fischer und des Jazzpianisten Michael Wollny, Waging am See als Geburtsort des Dirigenten Lothar Zagrosek gaben Stichworte, die stets ideenreich sondiert wurden. Lothar Zagrosek wurde gefragt, wie junge Leute an klassische Musik herangeführt werden könnten. Er plädierte für Instrumentalspiel und Singen und wies besonders auf die musikalische Früherziehung hin.

Verbindlich und verantwortlich: Vermittlung zwischen den Generationen

Ermutigendes Fazit des bayerischen Jugendradiotages: Das Kulturprogramm Bayern 4 Klassik schulterte den Kultur- und Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewissenhaft und trotz der umfangreichen Vorbereitungsarbeiten mühelos. Das Programm warb intelligent um künftige Hörer und vermittelte zwischen den Generationen. Beim Jugendradiotag erlebten Heranwachsende nicht nur ihresgleichen, sondern auch die Welt der Erwachsenen. Umgekehrt funktionierten die Verbindungen ebenso: Eltern erfuhren mehr über ihre Kinder, Großeltern mehr über die Enkelgeneration, Erwachsene mehr über Jugendliche. So wünscht man sich verbindlich und verantwortlich gestaltetes Kulturradio.

veröffentlicht am 30. Oktober 2008

Hinweis: Die entsprechende wöchentliche Sendung „U21 - Wir auf Vier“ läuft jeden Mittwoch von 21.03 bis 22 Uhr
Homepage: www.br-online.de/u21