Kulturwellen im Nord-Süd-Profil

SWR2, 14. Dezember 2008 bis 6. Januar 2009, und NDR Kultur

Zweierlei Maß auf Kulturwellen

Im Süden die Macht der Musik - im Norden die Ohnmacht der Kultur

Von Ludolf Baucke

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Einschalthörer staunten, als sie zwischen dem 14. Dezember 2008 und dem 6. Januar 2009 das Programm SWR2 hörten. Der dreiwöchige Programmschwerpunkt lotete „Die Macht der Musik“ aus. Im SWR-Magazin hieß es dazu:

Kein Leben und also auch kein Radioprogramm ohne Musik. Im großen SWR2 Schwerpunkt macht sich die Musik selbst zum Thema. Drei Wochen lang nähern sich die Fachredaktionen von SWR 2 der „Macht der Musik“ von den unterschiedlichsten Seiten in weit über 130 Sendungen. Und natürlich beschäftigen sich nicht nur unsere Musikstrecken mit dem Thema: In „SWR2 Wissen“ beleuchtet die Wissenschaftsredaktion beispielsweise anthropologische, biologische, neurophysiologische, psycho-akustische, geophysische, klangökologische, mathematische und pädagogische Aspekte der Musik. Vorträge von Wissenschaftlern in „SWR2 Aula“ widmen sich den Beziehungen zwischen Musik und Gehirn. Am Samstag, dem 20. Dezember, gibt es zu diesem spannenden Zusammenhang sogar einen ganzen Thementag. Ein weiteres großes und wichtiges Thema ist Musik und Heilung beziehungsweise Musik und Medizin.

Soweit der erste Absatz des gut dreimal so langen Ankündigungstextes. Wer nun aber glaubte, dieser Programmschwerpunkt konzentrierte sich ausschließlich auf die Anhänger sogenannter „Höchstkultur“ und wäre deshalb ausschließlich im berüchtigten Elfenbeinturm der „L'art pour l'art“ anzusiedeln, wurde rasch belehrt. Im dreiwöchigen Programm fanden sich tagsüber unter anderem folgende Sendungen:

• Lobet den Herren, alle Welt. Das intern. Festival geistlicher Chormusik in Rottenburg 2008.
14.12., 12.05 - 13.00 Uhr, in „SWR Glauben“
• Guten Morgen, liebe Welt. Singen in der Schule.
15.12., 10.05 - 10.30 Uhr, in „SWR Leben“
• Jazztime: Hymnische Heilsversprechen. Glaubensbekenntnisse in der improvisierten Musik.
16.12., 15.05 - 16.00 Uhr, in „SWR2 Musik und Heilung“
• Eine Tür zur Erinnerung. Musiktherapie für alte Menschen.
17.12., 10.05 - 10.30 Uhr, in „SWR Leben“
• Black Power. Der Jazz als Stimme des schwarzen Protests.
22.12., 15.05 - 16.00 Uhr, in „SWR Jazztime“
• Und dann kamen Swing und Charleston. Wie unsere Großmütter sich vergnügten.
23.12., 10.05 - 10.30 Uhr, in „SWR2 Leben“
• Die Pianistin als Autorin. Wie Musik und Literatur zusammenspielen.
24.12., 08.30 - 09.00 Uhr, in „SWR2 Wissen“
• Die Kehle der Königin. Fans und Stars im Rausch der Stimme.
28.12., 14.05 - 15.00 Uhr, in „SWR2 Feature am Sonntag“
• Jankos Gitarre. Eine Sinti-Kindheit in der DDR.
30.12., 10.05 - 10.30 Uhr, in „SWR2 Leben“

Montag, 5. Januar: ganztägiger SWR2 Thementag
Musik und Politik, u.a. mit „Du bist, was du hörst. Musik und Jugendkultur“ (15.05 - 17 Uhr) und „Wie klingt Protest? Popmusik und Politik“ (17.05 - 17.50 Uhr)

Anmerkung: Die Auswahl könnte noch weitergeführt werden - selbst dann, wenn übliche Musiksendungen ausgeklammert werden. Wird noch die Sendezeit zwischen 19 und 20 Uhr betrachtet, so gab es Joachim Behrendts fünfteilige Reihe „Die Welt ist Klang - Nada Brahma“, aber auch „Pfade der Liebe. Sufis in Indien“ oder „Musik und geschichtliche Identität. Die Griots in Westafrika“.

Und NDR Kultur? Spurenelemente...

Der Vergleich mit dem ebenfalls öffentlich-rechtlichen, also gebührenfinanzierten Programm „NDR Kultur“ ernüchtert. Die Übersichten der programmeigenen Homepage vermelden tagsüber wenig Aussagekräftiges, wenn nicht gar Nichtssagendes. Unter dem Sammelbegriff „NDR Kultur am Heiligabend“ bzw. am 1. / 2. Weihnachtsfeiertag notiert die Homepage an jedem Nachmittag nur das simple Sendeschema

14:00 Nachrichten, Wetter
15:00 Nachrichten, Wetter
16:00 Nachrichten, Wetter

Das ist keine durchdachte Sendefolge, die zum Zuhören animiert. Und tagsüber Chormusik, Jazz, Weltmusik in NDR Kultur? Die Antwort lautet kurz und bündig „Fehlanzeige“. Bestenfalls gibt es diese Musiksparten tagsüber als Spurenelemente.

Geht es um Kultur im Hörfunk, wird im Norden und Süden Deutschlands mit zweierlei Maß gemessen. Der „Macht der Musik“ im Süden steht im Norden die „Ohnmacht der Kultur“ gegenüber: Frisia non cantat!

Verfasst am 24. Januar 2009