NDR Kultur - Geschmacksfragen

NDR Kultur, 17. Juni 2005, 16.30 Uhr, Focus Kultur, Ausstellungseröffnung

30 Minuten später berichtet NDR Kultur von NDR-Intendant Plog:
Bei der „kommerziellen Konkurrenz (...) würden wohl eher die Geschmacksgrenzen leidenschaftlich getestet“ihren NDR“

Picasso - Badende: „Spitz wie Felsen...“


Eine von NDR Kultur gesendete Geschmacklosigkeit?

Es verklang ein Satz der Sinfonie in C-Dur von Wolfgang Anadeus Mozart, KV 96, mit dem Concentus Musicus unter Nikolaus Harnoncourt.

Der Moderator

Das Motiv der Badenden hat Künstler eigentlich zu allen Zeiten interessiert, doch abgesehen von Paul Cézanne hat sich wohl keiner mit einer solchen Leidenschaft damit befasst wie Pablo Picasso. So erstaunt es umso mehr, dass bislang kein einziges Museum auf der Welt auf die Idee gekommen ist, den Badenden von Picasso eine eigene Ausstellung zu widmen. Die Staatsgalerie Stuttgart eröffnet heute Abend eine große Schau, zu der sie bis Mitte Oktober etwa 200.000 Besucher erwartet.

Susanne Kaufmann war schon dort und berichtet

„Wenn es nur eine einzige Wahrheit gäbe, könnte man nicht 100 Bilder über dasselbe Thema malen.“

Dieses Zitat von Picasso steht als Motto über der großartigen Ausstellung, mit der die Staatsgalerie Stuttgart nun endlich ihren Platz unter den führenden europäischen Museen Europas behauptet. Die Schau gibt einen hervorragenden Überblick über das Schaffen von Picasso, denn der Strand mit den Badenden zählt zu den Leitmotiven in seinem Werk.

Die Kuratorin Ina Conzen:
„Zum einen ist es so, dass Picasso einen starken emotionalen Bezug zu dieser Thematik hatte, einmal durch seine Herkunft aus Südspanien, einer Hafenstadt, zum anderen, weil er sich selbst eigentlich auch immer sehr als mediterranen Menschen gefühlt hat, sich ja dann auch in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr an der Côte d'Azur niedergelassen hat und ich glaube, dass deshalb dieses Thema eines ist, worauf er immer wieder zurückkommt. Das war für ihn eine Gegenwelt zu dem Leben in Paris, zu der Art der Schaffensweise in Paris, denn die meisten Bilder, die sich um dieses Thema ranken, haben ja doch einen engen Bezug zu seinen Erlebnissen am Strand und zu seinen Beobachtungen am Strand.“

So soll Picasso als Kind an den Stränden von La Coruna zwischen den Badekabinen zum ersten Mal eine nackte Frau gesehen haben, ein Motiv, das er später mehrfach malte. In der Ausstellung hängt etwa das kleinformatige Gemälde einer Badenden, die eine Strandkabine öffnet. Gerade steckt die Frau den Schlüssel rein, was danach im Inneren passiert, bleibt der Phantasie des Betrachters überlassen.

Gleichfalls im August 1928 entsteht das Gemälde einer blonden Frau, die sich auf einem Strandtuch räkelt. Die Größendimensionen ihrer Körperteile sind verschoben, der Kopf ganz oben winzig klein, spitz wie Felsen ragen die Brüste hoch, darunter kommen Vagina und Po, und all das breitet sich in offensivster Weise dem Betrachter dar. Warum Picasso sich hier für das Motiv der Badenden interessiert, ist offensichtlich: es bietet einen Rahmen für die Darstellung des Körpers, in diesem Fall ganz klar mit einer pornographischen Dimension.

Ohnehin stellte er mehr Frauen als Männer dar, dabei fällt aber auch eines auf.

Peter Daners, Leiter der KunstVermittlung an der Staatsgalerie Stuttgart:
„Nun ja, dass Picasso es gelungen ist, jenseits normativer Schönheit, die man gewöhnlich mit dem menschlichen Körper verbindet, denken Sie so an die klassizischen Skulpturen, denken Sie an die ...-Skulpturen, die wir in der Sammlung haben, dass es Picasso gelungen ist, auch die Brechungen und die Verwundungen des menschlichen Körpers zu zeigen und das trotzdem als ein stimmiges, schönes Ganzes erscheinen zu lassen, auch wenn es vielleicht unseren Idealvorstellungen von menschlicher makelloser Körperschönheit eben auch nicht entspricht.

Mit rund 150 Werken aus 76 Jahren bietet die Ausstellung einen Querschnitt durch Picassos Werk, erfrischend unintellektuell. Man kann flanieren und schauen wie an einer echten Strandpromenade, in der Rotunde hat die Staatsgalerie schon Sonnenschirme aufgestellt. Hier wird es auch Getränke geben und vor dem Eingang Eis am Stiel. Warum auch nicht? Es zeigt doch nur, was auch der Ausstellungsbesucher spürt: der Strand ist ein Thema voller Leichtigkeit und Urlaubsstimmung.

Eine zauberhafte Entdeckung ist ein kleines buntfarbiges Ölgemälde von 1918 mit einer überraschenden Detailgenauigkeit: Vor dem Hintergrund des Leuchtturm von Biarritz posieren drei Frauen und hier sieht man auch die Mode dieser Zeit, die Badeanzüge gehen fast bis zum Knie. Später hat sich Picasso dann nur noch wenig für die Kleidung interessiert. Der Strand wird bei ihm zur Arena und zum Lebensgleichnis und die Bilder sind stets auch ein Spiegel seiner aktuellen Lebens- und Liebessituation.

Der Moderator

Susanne Kaufmann über die Ausstellung in der Staatsgalerie in Stuttgart mit Picassos Badenden, die Ausstellung ist noch bis zum 16. Oktober zu erleben.

Jingle + NDR-Eigenwerbung

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