Moderation auf NDR Kultur

Donnerstag, 14. August 2008, 6.23 bis 6.29 Uhr

NDR-Kultur-Versprechen und Hörer-Enttäuschung am frühen Morgen

Von wegen: „Wir machen Ihnen den Morgen schön mit Musik von Wolfgang Amadeus Mozart“

Wie NDR Kultur versucht, Hörer in sein Boot zu ziehen - „Aktuelle CD“

Von Theodor Clostermann

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6.23 Uhr. Ich höre einen kurzen, inhaltlich auf die gestrige NDR-Kultur-Berichterstattung zugeschnittenen „Blick in die Feuilletons“ und einen barocken Musiksatz.

Ein Versprechen macht neugierig...

Es folgt ein Moderations-Exkurs über die wiederher- und jetzt ins-Internet-gestellten Briefe eines berühmten Journalisten an seine Lebensgefährtin (Dauer: eine ganze Minute) - völlig fehl am Platze, wie ich meine. Dann nehme ich überrascht ein großes Versprechen wahr:

„Sie hören NDR Kultur. Wir machen Ihnen den Morgen schön mit Musik von Wolfgang Amadeus Mozart.“

Hat NDR Kultur heute Morgen etwas Besonderes mit Mozart vor? Doch nach 3 Minuten und 45 Sekunden herrscht Ernüchterung. Die „Schönheit“ des Morgens ist schon vergangen.

Eine „aktuelle CD“

Ich erfahre nun den ersten Grund, warum NDR Kultur uns Hörern gerade diesen, vorher nicht genau angekündigten Mozart-Einzelsatz näher bringen will:

„Zwei Minuten vor halb sieben. Das war die aktuelle CD von Giuliano Carmignola. Auf seiner Guarneri-Geige spielte er zusammen mit dem ‚Mozart Orchester‘ den dritten Satz des zweiten Violinkonzertes D-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart. Die Leitung hatte Claudio Abbado.“

Hmm... Kann er nicht, wie üblich, zur Klarstellung die Köchel-Verzeichnis-Nummer (KV 211) und zum Charakter des Satzes die Satzbezeichnung (Rondeau - Allegro) nennen?

Und von wegen „schön“! „Aktuelle CD“ bedeutet seit einiger Zeit in der Geheim- und Signalsprache von NDR Kultur:

Werter Hörer! Jedes Mal, wenn wir im Programm von NDR Kultur „aktuelle CD“ signalisieren, meinen wir - um uns bei den zahlreichen „aktuellen CDs“ nicht ständig wiederholen zu müssen: diese CD ist gerade am Markt erschienen, und wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Ihnen diese CD durch häufige Sendung von ausgewählten Einzelsätzen schmackhaft zu machen und Sie als treues Publikum zum Kauf dieser CD anzuregen. Dann können Sie die Werke auch ganz hören. (Entschlüsselung/Übersetzung: Das GANZE Werk Nord, hier zum ersten Mal veröffentlicht)

Soweit Moderationsabsicht Nr. 1.

„Auch Sie sind dabei.“

Die Moderation ist aber noch lange nicht zu Ende. Erstaunt höre ich, knapp eine Minute lang, dass der Moderator einfach weiterredet:

„Und der [d.h. Claudio Abbado, T.C.] hat gestern Abend den Konzertreigen des ‚Luzerne Festivals‘ eröffnet. Dort am Vierwaldstättersee geben wieder die Spitzenorchester der Welt den Ton an. Motto ist: Tanz, Musik. Und ganz im Banne von Tanz und Metrum stehen heute Abend auch Béla Bartóks Rhapsodien für Violine und Orchester. Bernd Alois Zimmermann dagegen spiegelt in seinen rheinischen Kirmestänzen für 13 Bläserstimmen den Rhythmus um die schrillen Flötenklänge der Spielmannszüge. Und auch Werke von Ravel und Strawinsky sind dabei. Und Sie sind es auch, denn wir übertragen live aus Luzern heute Abend ab 20 Uhr im Rahmen der Internationalen Musikfestspiele das Konzert vom ‚Luzerne Festival‘, hier auf NDR Kultur.“

Ein Redeschwall, der weit über die „schöne“ Musik hinwegschießt.

Moderationsabsicht Nr. 2: Konzert- und NDR-Kultur-Eigen-Werbung für den Abend. Natürlich kann ich als unnötig wortüberströmter Musikhörer am frühen Morgen nicht automatisch am Abend „auch dabei“ sein, selbst wenn ich es wollte und nichts Besseres vorhabe.

Und wenn: Wer spielt denn überhaupt?

Und sogleich frage ich mich, wer denn nun am Abend das Konzert mit Bartók, den „Flötenklängen der Spielmannszüge“, Ravel und Strawinsky dirigiert, Giuliano Carmignola, Claudio Abbado oder Bernd Alois Zimmermann?, und ob das „Mozart-Orchester“ auch diese Werke aus anderen Epochen einstudiert hat.

Laut Internet werden es aber - davon ist in der Moderation im Eifer des Gefechtes nicht die Rede - das Mahler Chamber Orchestra unter der Leitung von Heinz Holliger sein. Da sieht die Kulturwelt doch etwas anders aus: die gegebenen Informationen zu den Interpreten sind einfach irreführend. Als dann zur Selbstbeweihräucherung und als Siegesfanfare über seine Kritiker der Jingle mit dem Claim „NDR Kultur - hören und genießen“ wieder über den Äther geht bzw. durch das Kabel läuft, schalte ich enttäuscht, frustriert und verärgert ab. Kein „Genuss“, sondern Verdruss.

Muss ich mir das alles anhören?

So handeln nach den bei uns eingehenden Berichten viele Hörer, auch jetzt noch, weil ihnen im norddeutschen Raum kein anderer Kultursender zur Verfügung steht. Es ist zum einen dieses ständige als unnötig empfundene „Gerede“ und zum anderen dieses ungewollte Mit-Hinein-Genommen-Werden in eine suggestive, von hinten herum praktizierte werbliche Absicht (hier sogar zweifach), die musikinteressierte Hörer als „aufdringlich“ abschreckt. Ganz frisch im Ohr: „Und Sie sind es auch.“ Brr...

Kein zufälliges Ereignis, kein Verplappern, sondern Alltägliches, Typisches. Diese Praxis von NDR Kultur hat System, täglich von 6 bis 19 Uhr, sonnabends und sonntags bis 18 Uhr. Denn Programmstil von NDR Kultur tagsüber ist: Nicht die Kultur selbst den Gebührenzahlern uneigennützig und zum Genießen zu senden, sondern Kulturinformationen über CDs, Interpreten und Veranstaltungen, die zum Konsum anstehen, animierend zu verbreiten.

Ein Weg zu mehr zufriedenen Hörern auf NDR Kultur

Liebe Programm-Macher von NDR Kultur, wir möchten, dass NDR Kultur mehr zufriedene Hörer hat. Hören Sie sich doch bitte als Beispiel an, wie Ihre Kollegen vom Deutschlandfunk ihre Kulturtipps und Sendehinweise vom musikalischen und inhaltlichen Programm trennen.

Verfasst am 14. und 15. August 2008.
Anmerkung: Die Namen der Moderatoren in unseren Berichten sind uns bekannt, wir veröffentlichen sie aber seit zwei Jahren nicht mehr.