Moderation auf NDR Kultur

NDR Kultur, 21. November 2008, 9.55 bis 10.00 Uhr

Ein Kultursender macht es anders:

Gefälschter Satz Donizettis, für schiefe NDR-Eigenwerbung missbraucht

„Italienischer“ Ausflug nach Abu Dhabi mit einem ungarischen Trompeter...

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Von Theodor Clostermann

9.55 Uhr, nach der Absage der Fidelio-Ouvertüre von Ludwig van Beethoven:

„Und jetzt wird's italienisch hier auf NDR Kultur, I Musici di Roma spielt Musik von Gaetano Donizetti.“

Zu hören ist laut NDR-Kultur-Musikliste im Internet: Gaetano Donizetti (1797-1848), Concertino G-dur für Englisch Horn und Orchester, daraus: Variations (2. Satz) in der Bearbeitung für Trompete und Orchester, Gábor Boldoczki (Trompete), I Musici di Roma.

Kurz vor 10 Uhr:

„Das Ensemble I Musici di Roma hörten wir hier zusammen mit dem Trompeter Gábor Boldoczki und den 2. Satz aus dem Concertino G-dur für Englischhorn und Orchester von dem in Ital..., im italienischen Bergamo geborenen Komponisten Gaetano Donizetti. Und italienisch geht es auch am Sonntag in der Reisezeit hier auf NDR Kultur zu. Dann besuchen wir auf unseren architektonischen Streifzügen unter anderem 500 Jahre alte Villen in Venetien und schauen am Persischen Golf in Abu Dhabi vorbei und berichten von den dort gerade entstehenden Super-Kultur-Tempeln. Dieses und vieles mehr am Sonntag ab 13 Uhr in der Reisezeit hier auf NDR Kultur.“ [38 Sekunden]

„NDR Kultur, Nachrichten“ + Jingle + „Es ist 10 Uhr.“

Man könnte meinen, Abu Dhabi klingt ja sehr italienisch... Doch Scherz beiseite. Wir wissen jetzt gleich 4x in 5 Minuten, dass wir NDR Kultur hören, auch dass der Sender für übermorgen etwas Besonderes für Venetien und Abu Dhabi vorbereite. Dass Bergamo zur Lombardei gehört und Abu Dhabi nicht zu Italien, egal, Hauptsache die NDR-Eigenwerbung geht weiter, und sei es um zwei Ecken mit drei Duftmarken.

Warum jedoch ein Trompeter (geboren in Szeged, Ungarn) nicht das Englischhorn spielt, auch warum uns das Original-Thema und weitere Variationen vorenthalten werden, das erfahren wir nicht. Das sind aber die musikalischen Fragen, die sich zunächst stellen.

Fälschung der Schallplattenfirma, von NDR Kultur einfach übernommen

Und dabei ist das Stück streng genommen gar nicht von einem Italiener, sondern von dem Solisten und der Schallplattenfirma.

Die Trompetenstimme ist nicht von Donizetti

Die Schallplattenfirma schreibt dazu:

„...neu arrangiert für Trompete und Orchester. Die Arrangements stammen von Gábor Boldoczki selbst.“

Man mag die etwas großzügige Schreibart monieren (das setzt Gábor Boldoczki von Maurice André fort), darauf kommt es jetzt nicht an. NDR Kultur hat wenigstens in seinem Eifer für Italien und die „Reisezeit“ nichts davon erzählt.

Die Satzeinteilung ist nicht von Donizetti

Aus der Zeit von Rossini und Donizetti gibt es viele durchkomponierte bzw. einsätzige Kompositionen für ein Soloinstrument und Orchester, die mit einer Introduktion anfangen, auf die ein Thema und mehrere Variationen folgen, bis dann ein Finale das Werk abschließt.

Wenn man sich die 3 ½ Minuten des sogenannten „2. Satzes“ auf NDR Kultur anhört, fallen einem auf, dass es sich nur um drei sehr solistische Variationen handelt, die von einem Orchesterzwischenspiel von 16 Sekunden (I Musici) unterbrochen werden. Der „Satz“ verebbt dann nach der 3. Variation.

Wer das Stück kennt, vermisst das Thema und weiß, dass sich das Stück nach der 3. Variation und vor dem Schluss steigert: mit einem ausgeprägten Wechselspiel von Orchester und Soloinstrument und mit weiteren, offener gestalteten Variationen, bis hin zu Kadenz und Trillern. Nichts davon auf NDR Kultur. Ein Torso.

Warum? Weil die Schallplattenfirma das Concertino von Donizetti schematisch in 3 Sätze zerschnitten hat, NDR Kultur das blind übernimmt und nur einen Satz sendet:

„Andante“ (2:39 min), „Variations“ (3:31 min) und „Allegro“ (3:33 min).

Also: „Variations“, das ist der „2. Satz“, basta. Keiner hat sich diesen Satz vorher einmal bewusst angehört und festgestellt, dass er aus dem Zusammenhang gerissen ist. Und dabei dauert die ganze Komposition noch nicht einmal 10 Minuten!

Nach einer deutschen, im Internet verfügbaren Partitur (Klavierauszug mit Instrumentenangaben + Soloinstrument) ist die durchkomponierte Abfolge aber folgende:

„Andante“ (ab Takt 1), „Andante“ (ab Takt 25), „Allegro - Zwischenspiel“ (ab Takt 41), „1. Variation“ (ab Takt 49), „2. Variation“ (ab Takt 65), „Allegro - Zwischenspiel“ (ab Takt 81), „3. Variation“ (ab Takt 89) und „Allegro“ (Takt 105 - 236).

Zum Vergleich diente mir neben der oben genannten Partitur eine vollständige Aufnahme mit der RIAS-Sinfonietta, die NDR3 im Oktober 1994 in der Sendung „Serenade“ (18.05 bis 19.00 Uhr) gesendet hatte.

Verfasst am 23. November 2008