Das GANZE Werk - Presseschau

Zu DGW-Meldung Nr. 001 (dort mit allen Querverweisen)

DIE ZEIT, 20. Dezember 1996

Mitschrift einer etwas mißglückten Hörerbefragung

Warum die Programme des NDR so sind, wie sie sind

„Der NDR schämt sich offenbar der Kultur, die ihm gelegentlich noch unterläuft“

Von Otto Köhler

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Über Satellit höre ich Radio von überall her. Und fast immer, wenn es mir geschieht, daß ich doch mal wieder meinen ortsansässigen NDR einschalte, frage ich mich, warum dessen Programme so sind, wie sie sind. Jetzt weiß ich es. Sie werden von Umfrageinstituten gemacht.

Gleich nach der „Tagesschau“ klingelte das Telephon. Ob ich ein paar Fragen beantworten wolle? „Es sind keine schwierigen Fragen, auch keine persönlichen Fragen. Man braucht also kein bestimmtes Wissen.“

Sie will wissen, was meine meistgehörten Rundfunkprogramme seien. WDR 3, sage ich, und dann S2. Falsch, merke ich bald, in Hamburg hat man keine Kulturprogramme aus der Fremde zu hören. Sie: „Ich nenne Ihnen mal einige Gründe, warum man von dem Programm, das man gerade hört, wegschalten oder umschalten kann: Ich schalte weg, weil Werbung kommt. Trifft das zu für Sie?“ Ich höre keine Sender, in denen Werbung kommen könnte.

Oder: „Wenn Beiträge oder Informationen kommen?“ Was heißt das? „Manche Leute hören ja nur wegen der Musik zu, und wenn dann irgend so ein Wortbeitrag kommt, dann schalten sie um.“ Was heißt: irgendein Wortbeitrag? Die sind doch völlig unterschiedlich. Wer hat denn diese unsinnige Frage erdacht? „Ja, wahrscheinlich der Auftraggeber.“ Der muß sehr dumm sein. „Meinen Sie! Ich hab‘ Ihnen das ja eben schon erklärt. Es gibt Leute, die nur wegen der Musik Radio hören möchten, wir können jetzt nicht, was weiß ich, irgendwie ins Detail gehen, die Frage lautet nur: Wenn Beiträge oder Informationen kommen.“

Aber die Frage ist doch dumm. Ich kann doch dumme Fragen nicht beantworten. „Was ist an der Frage dumm, bitte schön?“ fragt sie schon etwas spitz, will aber doch nachgeben. „Na gut, für Sie trifft zu, wenn ein Beitrag kommt, der Sie nicht interessiert, schalten Sie um.“ Aber, versuche ich zu erklären, ich schalte nicht grundsätzlich um, wenn Beiträge oder Informationen kommen, wenn Sie das so anstreichen, ist es völlig unsinnig.

„O.K., Sie schalten nicht um, wenn es kommt.“ Doch, wenn dumme Beiträge kommen, dann schalte ich selbstverständlich um. Die Frage ist dumm. „Ich weiß zwar nicht, was Sie an der Frage so dumm finden...“ Ich werde unnötig heftig: Wenn Beiträge, die mich nicht interessieren, kommen, schalte ich um. Wenn die Beiträge mich interessieren, dann bleibe ich dran. Ist das so schwer zu begreifen? „Na gut.“ Mir schwant etwas: Ja, was geben Sie jetzt ein, das würde mich interessieren. „,Nein‘, habe ich eingegeben.“

Ich verzweifle, werde laut: Aber bei dummen Beiträgen schalte ich doch um, das „Nein“ ist falsch, „Ja“ ist auch falsch. „Sie brauchen nicht ins Telephon zu schreien, ich bin nicht schwerhörig. Aber Sie begreifen nichts.“

Sie ist schon beim nächsten Punkt: „Sie haben doch eben gesagt, daß Sie, wenn Ihnen die Musik nicht gefällt, umschalten. Um welche Musik handelt es sich da?“ So ziemlich jede, die auch auf den Kommerzprogrammen gespielt wird. „Und was für eine Art von Musik hören Sie?“ Ach ja, ich höre vor allem außereuropäische Musik, indische Ragas, balinesischen und javanischen Gamelan, japanische Gagaku-Musik - und denke, während ich das sage, daran, wie ungehörig das ist. Wie mich einer der Programmgewaltigen in einer NDR-Pressekonferenz beschied: „Für die Menschen in der Norddeutschen Tiefebene ist das nichts.“

Sie ist schon weiter: „Jetzt nenne ich Ihnen mal einige Fernsehprogramme. Sagen Sie mir, ob Sie das betreffende Programm häufig, gelegentlich oder nie einschalten.“ Ja, gewiß, das Erste Programm sehe ich häufig, ja, ZDF auch. N3 aber selten, es ist doch fast nur noch ein Unterhaltungsprogramm. Dann lieber Bayern 3 oder WDR-Fernsehen.

Aber diese beiden Programme, bundesweit über Kabel und Satellit empfangbar, kommen in dem vom NDR ausgearbeiteten Fragenkatalog nicht vor. Und schon gar nicht arte und 3sat, obwohl der NDR an beiden beteiligt ist - der NDR schämt sich offenbar der Kultur, die ihm gelegentlich noch unterläuft. Seine Befragerin will wissen, ob ich RTL sehe. Nein! „RTL 2?“ Gibt es wirklich zwei davon? „Pro Sieben?“ Nein. „Dann Kabel 1?“ Was ist das denn, frage ich zurück, auch so ein Kirch-Programm? „Nee, nee, nee“, sagt sie mit Nachdruck, „Kabel 1, das hieß früher mal Kabelkanal.“ Das ist doch Kirch?! „Nee, ein Kirchensender, oder was meinen Sie?“ Ich lache. „Nee, was meinen Sie mit Kirch?“ Den Filmhändler. „Filmhändler?“

Sie kommt zurück aufs Rundfunkprogramm: „Sagen Sie mir, ob Ihnen der Bestandteil sehr wichtig, wichtig, weniger wichtig oder gar nicht wichtig erscheint. Die gespielte Musik, wie wichtig ist die Ihnen?“

Das ist, ich bin wieder unhöflich, eine genauso dumme Frage wie die nach den Wortbeiträgen. „Was paßt Ihnen an der Frage schon wieder nicht?“ Wie soll ich auf eine Frage antworten, wie wichtig oder unwichtig mir „gespielte Musik“ sei, das ist unmöglich, das ist eine dumme Frage.

„Also, ich versteh‘ da gar nicht, wieso die Frage schon wieder dumm ist, es ist weder definiert, was das jetzt für Musik ist...“ Ich unterbreche: Ja eben, das ist doch das Dumme dran. Ich kann doch nicht einfach „Ja“ sagen, und dann bin ich plötzlich ein Anhänger von Kommerzmusik. „Also werde ich das auch mal notieren: Das ist eine dumme Frage.“ Ja, weil nicht definiert ist, welche Musik. „O.K., nicht definiert, welche Musik gemeint ist.“ Ich war voreilig, wie sich bald zeigte.

Aber zunächst wollte sie etwas anderes wissen: „Wenn Sie jetzt mal an Ihr meistgehörtes Programm WDR 3 denken - ich nenne Ihnen mal die Programmbestandteile. Sagen Sie mir, wie Sie die eben im WDR 3 beurteilen.“ Und sie zählt auf: humorvolle Beiträge und Nonsens, die lokalen Informationen, die Verkehrshinweise, die unterhaltenden Wortbeiträge zu bunten Themen, die Mitmachmöglichkeiten - alles Dinge, die es im WDR 3 gottlob nicht gibt, mein „meistgehörtes Programm“ darf kein Kulturprogramm sein.

Da aber kommt doch noch die große Differenzierung: „Jetzt mal unabhängig von einzelnen Programmen, ich nenne Ihnen verschiedene Musikrichtungen, ob Sie die sehr gern, weniger gern oder gar nicht hören.“

Und dann zählt sie auf: Deutsche Rock- und Popmusik. Internationale Oldies, und zwar eher melodische. Aktuelle internationale Popmusik. Dann eher melodische oder rhythmische Popmusik. Internationale Oldies, und zwar mehr rhythmische... Hier werde ich wieder unhöflich, unterbreche sie und frage: Was sind das für Kategorien, das ist doch alles derselbe Dreck.

„Also auch nicht moderne volkstümliche Schlager? Deutsche Oldies vielleicht, deutsche Schlager wahrscheinlich auch nicht?“ Ich verstehe die Unterschiede nicht. „Ja, warum denn nicht?“ Das ist alles dieselbe Kommerzmusik.

Jetzt hat sie mich ertappt: „Moment mal, wenn Sie jetzt sagen: Es ist alles dieselbe Kommerzmusik, dann ist das vielleicht Ihre Meinung...“ Ach, Sie wollen gar nicht meine Meinung wissen? „Doch, aber wenn ich jetzt einen fünfzehnjährigen Teenager befrage, für den ist vielleicht doch ein Unterschied.“

Sie drängt weiter: „So, jetzt kommen wir zur klassischen Musik, wie gefällt die Ihnen denn, ich weiß, da gibt es sicher auch wieder Unterschiede.“ Allerdings, was haben Sie denn noch an Kategorien? „Ja, weiß ich jetzt nicht, da müßte ich erst eine Antwort drücken und kann dann zur nächsten übergehen.“

Ich sage hilflos, aber mir meiner Verantwortung für die Tausende bewußt, für die ich demoskopiert werde, daß mir die gebotene klassische Musik gut gefalle. Und ihr Computer spuckt die nächste Frage aus: „So, wir haben jetzt über das Radiohören ganz allgemein und...“ Ich unterbreche: Das war schon alles über Musik? „Das war jetzt leider schon alles, indische Musik oder so, was weiß ich, was es da so alles gibt, haben wir nicht.“

Also, es kommt nicht auf die Meinung des Hörers an? Er darf nicht Jazz hören, er darf nicht Blues hören, Folk darf er nicht hören. Und asiatische Musik schon gar nicht. Und bei der sogenannten ernsten Musik nichts vor und nichts nach Beethoven, eben nur klassische Musik.

„Ich mach‘ mal weiter, ja? In Radio FFN die Sendung ‚Hellwach‘, haben Sie die schon mal gehört?“ Ich höre nie FFN. „‚NDR 2-Frühkurier‘, haben Sie den schon mal gehört?“ NDR 2 höre ich überhaupt nicht mehr, das macht zuviel Krach. „Also die ‚Plattenkiste‘ auch nicht, ‚Quatsch‘ haben Sie noch nicht gehört, den ‚Club‘ auch nicht.“

Was immer die Sendung mit dem sicherlich zutreffenden Titel ‚Quatsch‘ sein mag, den ‚Club‘, an den erinnere ich mich noch. Als man dort noch gute Rockmusik hören konnte: Can, Pink Floyd, Tangerine Dream - Tempi passati.

„‚Mittagskurier‘“, fährt sie fort, „könnte doch sein, daß Sie ihn früher einmal gehört haben.“ Ja, früher, aber inzwischen ist die Musik zwischen den Berichten so nervend, das geht nicht mehr.

„In RSH ‚Goethes Morning Show‘, haben Sie die schon mal...“ Nein, sage ich, und sie erläutert, klüger über mich geworden: „RSH, das ist Radio Schleswig-Holstein, auch ein Kommerzsender, ganz recht.“ Interessiert schlage ich hinterher im Programm nach: Der Mann heißt Koethe, nicht Goethe, und sitzt jeden Werktag von 6 bis 9.30 Uhr vor dem Mikrophon, welch ein Leben.

Und dann - sozusagen die Gegenfrage: „Bücher lesen, wie häufig kommt das vor, daß Sie das machen?“ Was für Bücher, will ich wissen. Doch ihr reicht es nun endlich: „Sie wollen immer so ins Detail gehen. Wir führen die Befragung nicht nur mit Ihnen durch.“ Sie verzweifeln langsam? „Ja, da kann man doch nicht hingehen und fragen, wie häufig lesen Sie, was weiß ich: Romane. Wir haben Bücher ganz allgemein.“ Sie verzweifeln also doch. „Ich verzweifle nicht“, sagt sie tapfer und beweist es. Denn auch das will der NDR am Ende wissen: „Welcher Konfession gehören Sie an?“ Weil ich indische Musik liebe, weiß sie: „Ich nehme an: Hare Krishna?“ Nun gut, wie Sie und der NDR meinen. Aber warum eigentlich bin ich kein lutherischer Pastor? Ich mag doch auch Bach.