Das GANZE Werk - Presseschau

Berliner Zeitung, 9. Dezember 2003

Das RBB-Kulturradio hört sich noch unentschlossen an

Bach n Soul

Im Tagesprogramm unterbrechen feste Rubriken alle Viertelstunde die Musik

Von Torsten Wahl

Der Slogan klingt beschwörend: „Kulturradio - Gehört zum Leben!“ Seit einer Woche versucht die neue Kulturwelle des RBB, die Hörer mit diesem Spruch für ihr reformiertes Programm zu gewinnen. Für die beiden Vorgänger, Radio Kultur und Radio Drei, hatten sich weniger als ein Prozent der Hörer interessiert. Als „Tagesbegleitprogramm“ soll sich das neue Kulturradio nun den veränderten Hörgewohnheiten anpassen. Die Erkenntnis, die dem zugrunde liegt: Auch die Kulturinteressierten haben heutzutage keine Zeit mehr, am Vormittag dreiviertelstündige Hörspiele zu verfolgen. Mit einem fünfminütigen „Hörstück“ will das Kulturradio nun auch die Nebenbei-Hörer ansprechen.

Mit seinen Reformbemühungen steht das RBB-Kulturradio in der ARD nicht allein. Auch beim NDR, MDR und WDR wurden die Kulturprogramme schnittiger gemacht. Für Gralshüter der Hochkultur aber ist selbst ein klassisches „Tagesbegleitprogramm“ eine Todsünde. Das Wochenblatt Die Zeit resümierte neulich bitter: „So gräbt sich der Hörfunk sein eignes Grab.“ RBB-Intendantin Dagmar Reim, die den Umbau der Kulturwelle forciert hat, winkt bei solchen Einwürfen nur müde ab: „Ich wäre froh, wenn alle unsere Kritiker tatsächlich Radio hören würden.“

Ein klassischer Dudelfunk, wie von manchen befürchtet, ist das RBB-Kulturradio jedenfalls nicht geworden. Auch nach der Reform ist die Welle eine Oase der Beschaulichkeit innerhalb der aufgedrehten Berliner Radiolandschaft. Sogar das Zeitzeichen zur vollen Stunde ertönt noch im RBB-Kulturradio. Hier feuern die Moderatoren nicht unablässig Kalauer ab, sondern sagen artig jedes Stück und jeden Interpreten an. Leicht verdauliche Klassik verbreitet eine dezente vorweihnachtliche Stimmung. Lieblingskomponist ist offenbar Johann Sebastian Bach. Von ihm stammt auch die Senderfanfare.

Im Tagesprogramm unterbrechen feste Rubriken alle Viertelstunde die Musik. Die Titel sind mitunter etwas irreführend. Der „Geistesblitz“ um 9.15 Uhr entpuppt sich als normales Interview, in der Rubrik „Zeitpunkte-Familienrat“ um 10.15 Uhr werden Hörer zitiert, etwa zur Frage „Was wissen Jugendliche von Aids?“. Live dabei sind die Hörer im „Hörerstreit“ um 12.30 Uhr, in dem etwa darüber debattiert wird, ob Kinder schon mit vier Jahren zur Schule gehen sollten. In der CD-Kritik um 13.30 Uhr lassen manche RBB-Redakteure ihrer Begeisterung freien Lauf („Ich liebe Barbara Hendricks über alles!“), während andere die Chance nutzen, dem „Markenkern“ klassische Musik mal andere Klänge entgegenzusetzen. So liefen Songs des Soul-Duos „Friend n Fellow“ am Nachmittag - ansonsten hat diese Art Musik nur am Abend Platz.

Insgesamt könnte diese Art „Tagesbegleitung“ durchaus funktionieren. Inkonsequent ist allerdings, dass die kleinteiligere, mit Rubriken aufgepeppte Form schon um 18 Uhr abbricht und nicht bis 20 Uhr durchgehalten wird. Denn ab sechs rücken jene SFB-Urgesteine ans Mikrofon, die bisher das traditionalistische Kulturprogramm prägten. Dreimal in der Woche etwa spielt Bernhard Morbach in „Morbach live“ um 18.05 Uhr mittelalterliche Musik - bei Radio Kultur lief die Sendung schon um 15.05 Uhr. Eine Stunde lang erteilt der Moderator eine Art Musikunterricht in einer schwer erträglichen Oberlehrersprache. Bei Morbach wird nicht einfach gesungen, hier werden „Tonsätze genuin vokal empfunden“. Wer seiner Schwärmerei für Lautenklänge des späten 14. Jahrhunderts nicht folgen mag, dem hält der Moderator prophylaktisch entgegen: „Unsere Ohren sind heute einfach desensibilisiert.“

Die ersten Erfahrungen mit dem Kulturradio des RBB:
Reingehört - Mit RBB-Kultur durch den Tag
„Das Kulturradio ist ein Tagesbegleitprogramm geworden, das man gerne hört - was will man mehr?“ - Berliner Morgenpost, 2. Dezember 2003
Adel und Depression - Erste Höreindrücke vom neuen RBB-Kulturradio
Die Formate heißen jetzt „Am Morgen“, „Am Vormittag“, „Am Mittag“ ... Pisagerecht eben
Der Tagesspiegel, 2. Dezember 2003
• Bach n Soul - Das RBB-Kulturradio hört sich noch unentschlossen an
Im Tagesprogramm unterbrechen feste Rubriken alle Viertelstunde die Musik
Berliner Zeitung, 9. Dezember 2003

Tralalalaaaa! - So pocht Musik-Trübsal an die Kulturradio-Tür
Der „Kulturradio“-Eintopf soll „die Leute durch den Tag begleiten“
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Dezember 2003