Das GANZE Werk - Presseschau

WELT am Sonntag, 24. Oktober 2004

GEBÜHREN

Freiheit vom Radio-Markt

von Axel Brüggemann

5.

DIE NACHRICHT: Radiosender erwägen, die Ausgaben für Rundfunkorchester zu senken. Das Münchener Rundfunkorchester wurde aufgelöst, der SWR will die Klangkörper von Kaiserslautern und Saarbrücken fusionieren.

DER KOMMENTAR: Eigentlich müßte man die öffentlich-rechtlichen Sender boykottieren. Weil sie sich in ihren Publikumsprogrammen kaum vom Privat-Gedudel unterscheiden. Weil ihre Infosender nur Zweitverwerter der Hauptprogramme sind. Weil sie auf Quote statt auf Qualität setzen. Aber selbst wenn der selbstbestimmte Radiohörer die öffentlichen Anstalten abschaltet, muß er Rundfunkgebühren zahlen.

Die werden heute fast ausschließlich durch Kultursender legitimiert: Bayern 4, SWR 2 oder RBB Kultur stehen für hohe Textanteile und Schulfunk. Sie leisten sich teure Radio-Orchester, die nicht nur Sendeminuten mit Bach, Beethoven und Boulez vollspielen. In Freiburg wurde für das SWR-Orchester ein Konzerthaus gebaut, das als Kongreßzentrum kultureller Mittelpunkt der Stadt ist. Die großen Orchester mit Pultstars wie Kent Nagano, Mariss Jansons oder Christoph von Dohnányi sind auf Gastspielen oder durch CD-Einspielungen Botschafter. Kleine Orchester wie in Kaiserslautern oder Saarbrücken übernehmen pädagogische Aufgaben vor Ort. Sie sind das letzte gesellschaftliche Musik-Fundament in Zeiten, da Musikunterricht an Schulen Dauerausfall bedeutet. Gebühren werden nicht bezahlt, damit die öffentlich-rechtlichen Programme mit „Radio Paradiso“ und „Klassik-Radio“ konkurrieren, sondern damit sie Minderheiten-Programme wagen und eine Freiheit vom Markt bewahren. Wenn sie diese Freiheit nicht nutzen, werden Rundfunkgebühren sinnlos.