Das GANZE Werk - Presseschau

DIE WELT, 24. November 2004

Grundversorgung? Verschwendung? Denkmal?

Geheimsache Harald

Fast neun Millionen Euro im Jahr soll die ARD dem Entertainer Harald Schmidt für zwei Sendungen pro Woche zahlen. Wie kommerziell will das öffentlich rechtliche Fernsehen noch werden?

von Christian Seel

Manchmal kann Harald Schmidt sehr böse auf die ARD sein. Wenn etwa sonntags der "Tatort" ausfällt und sie statt dessen "alte Scheiße aus Saarbrücken" senden, dann sollte man die Verantwortlichen "nackt über die Telemesse jagen" und ihnen zehn Jahre die Gebühren streichen. So forderte der Entertainer noch kurz vor seinem Abschied vom privaten Fernsehen. Nun wird Schmidt bald in jener ARD auftreten, die er so gern mit Spott überschüttet hat. Und es ist keineswegs sicher, daß man in den Anstalten in Saarbrücken und anderswo wirklich ahnt, worauf man sich da eingelassen hat.

In Köln treffen heute Abgesandte des WDR mit Schmidt-Personal zusammen und verhandeln, um was es in der neuen "ARD Show" eigentlich geht, die in vier Wochen starten soll. Die Rahmendaten sind vage, festgehalten auf gerade einem Din-A4-Bogen. Der Meister selbst weilt in der Südsee und erscheint erst vier Tage vor der ersten Sendung persönlich. Das allein ist ein Paradigmenwechsel in der vielstimmigen ARD, in der man die meisten Dinge erst nach eingehender Befragung vieler Kommissionen auf den Weg zu bringen pflegt.

Geht es nach dem Willen der ARD, so soll Schmidt künftig auf "dadaistische Nummern" verzichten, wie es ein ARD-Verantwortlicher formuliert. Keine nachgespielten Dramolette mit Playmobil-Figuren, keine esoterischen Skatrunden. Ein Mann, ein Schreibtisch, ein Publikum, eine Band, so lautet das Konzept. Manuel Andrack, der Gefährte aus Sat.1-Tagen, wird auch bei der "ARD Show" die Redaktionsleitung haben und in der Sendung auftreten. Wie und wann? Unklar. Kommt Helmut Zerlett zur Band? Ungewiß. "Wenn ich's nur wüßte", sagt der zuständige Referent in der Münchner Programmdirektion, der gern beizeiten die Programmpresse informieren würde. Aber Meister Schmidt hat schon abgewinkt: Keine Journalisten mehr in diesem Jahr. Sicher: Beim WDR wird offiziell ein Redakteur für die Betreuung der Sendung zuständig sein. Damit ist den Formalien genüge getan ist. Aber klar ist auch, daß sich Schmidt nicht ins Handwerk pfuschen läßt. Der Redakteur könne schon glücklich sein, heißt es in ARD-Kreisen, wenn er den Schneideraum von außen sieht. Natürlich werde Medien-Kritik nicht ausgespart. Die kann bei öffentlich-rechtlichen Sendern schon einmal recht ruppig ausfallen. Über die Rosamunde Pilcher-Produktionen des ZDF etwa hörte man Schmidt einst lästern: "Viele machen den Sargdeckel noch mal auf, um sich das anzuschauen".

In der Produzenten-Branche, die eher an langwierige Verhandlungen mit öffentlich-rechtlichen Sendern gewöhnt ist, kann man nur staunen, auch angesichts der Summen, um die verhandelt wurde. Rund 140 000 Euro soll die ARD für jede halbe Stunde Schmidt-Show zahlen, so sagt man dort. Das sind fast neun Millionen Euro jährlich und 40 000 mehr, als man ihm einst bei Sat.1 für die ganze Stunde minus Werbung zahlte. Der Privatsender habe angeblich zuletzt sogar noch mitgeboten, heißt es - wenngleich auch das alle Seiten energisch dementieren.

Es gab Zeiten, da hat sich Schmidt selbst gern an Honorar-Spekulationen von ARD-Größen beteiligt. Zum Beispiel, als Frank Elstner das alte Schmidt-Format "Verstehen Sie Spaß?" übernahm. 150 000 bekomme Elstner bestimmt pro Abend, 250 000 für die Proben und noch mal 250 000 damit er auch kommt.

Damit die Geheimsache Schmidt auch eine bleibt, schleust die ARD das Projekt an ihren Gremien weitgehend vorbei. Abgewickelt wird die Show über die Tochterfirma Degeto in Frankfurt, die bislang eher für Vorabendserien und das seichte Freitagabendprogramm zuständig ist. Die Degeto hat den Schmidt-Vertrag auch nicht mit dessen Firma Benito geschlossen, sondern wiederum mit einer in Gründung befindlichen Firma Kogel & Schmidt. Dort ist Schmidts alter Freund Fred Kogel ebenfalls im Boot. Kogel holte den Entertainer einst als Sat.1-Geschäftsführer zum Privatfernsehen und hielt ihm auch über schlechte Quoten-Zeiten die Treue. Kogel hat auch alle Verhandlungen mit der ARD geführt, stets fernmündlich verbunden mit dem weltreisenden Schmidt.

Auf der anderen Seite des Geschäfts steht Jobst Plog, Chef des großen NDR, der in Sachen Star-Zukauf gewissermaßen Routine hat. Er warb schon Reinhold Beckmann und Jörg Pilawa von Sat.1 ab und kann nun mit der Personalie Schmidt ein krönendes Licht auf seine Amtszeit als ARD-Vorsitzender setzen, die am 31. Dezember zu Ende geht. Für Plog ist Harald Schmidt ein Stück "Grundversorgung", für die sich jeder Einsatz lohne. Ein Ausspruch, der auch bei vielen ARD-Mitarbeitern auf Widerspruch stößt.

Nicht zuletzt deshalb, weil für Schmidt eilig Platz geschaffen werden mußte. Zeitweise stand der "Scheibenwischer" zur Disposition (Schmidt-Spruch: "eine Sendung die für ältere Zuschauer durchaus aktuell ist"), der RBB wird nun sein "Polylux" einstellen, nachfolgende Dokumentationen und Fernsehfilme wandern in die frühen Morgenstunden.

Auch die Finanzierung war zunächst alles andere als gesichert. In kleiner Runde bemerkte selbst der Intendant einer wohlhabenden Anstalt, daß man in Zeiten der verschobenen Gebührenerhöhung nicht mehr so einfach einen neuen Geldsack vom Dach holen könne. Und die kleinen Sender fürchteten bis zuletzt, für den Neuerwerb anteilig zur Kasse gebeten zu werden.

Der vor wenigen Tagen verkündete ARD-Verzicht auf die Uefa-Pokal-Rechte entspannt nun einerseits die Lage an der Schmidt-Front, andererseits hat die ARD die Fußball-Vereine gegen sich aufgebracht. "Wir finden das befremdlich", sagte Erwin Staudt vom VfB Stuttgart in "Bild". Sein Wort hat Gewicht. Harald Schmidt ist bekennender VfB-Fan.

Was ist "Grundversorgung" in den Medien?

DIE WELT, 24. November 2004

Der Begriff der "Grundversorgung" wurde 1986 vom Bundesverfassungsgericht im sogenannten "Niedersachsenurteil" geprägt. Er beschreibt die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland und ist die Legitimation für dessen Gebührenfinanzierung. "Grundversorgung" beinhaltet "die essentiellen Funktionen des Rundfunks für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik". Darin findet der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Rechtfertigung. "Grundversorgung" meint ausdrücklich keine Minimalversorgung, sondern umfaßt alle Programmangebote: Bildung, Information und Unterhaltung. Der Begriff ist eng gekoppelt an die - ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochene - "Bestands- und Entwicklungsgarantie" der öffentlich-rechtlichen Sender. Umstritten ist derzeit vor allem, ob und in welchem Umfang Internet-Auftritte der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zur Grundversorgung gehören.

UC