Das GANZE Werk - Presseschau

Darum brauchen wir ein Kulturradio!

Die Geschmacksguerilla

Ernst Elitz, Intendant von DeutschlandRadio (Berlin, Köln):
Die Privaten machen, was ankommt,
die Öffentlich-Rechtlichen, worauf es ankommt.
Die Rundfunkgebühr dient der Qualitätssicherung,
wer Gebühren erhält, muß Maßstäbe setzen.

Von Ernst Elitz *

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Berlin - Das Radio war gerade erfunden, da fragte ein Redakteur der "Weltbühne": "Was ist ein Funkintendant? Eine Attrappe, ein Kegelklubpräsident?" Nein! Ihm sei "das geistige, künstlerische und gesellschaftliche Wohl der Menschheit mit in die Hand gegeben". Er habe zu entscheiden, "ob die seiner Hut anvertrauten Geschöpfe mit rapider Geschwindigkeit verdummen oder nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten an Geisteskräften zunehmen". Mithin, er solle Kulturradio machen.

Die Vergangenheit ist ein guter Lehrmeister für die Gegenwart. Für Musik, Hörspiel und Literatur gab es schon in den ersten Jahren des Hörfunks viele und feste Programmplätze. Thomas Mann las aus dem "Zauberberg", die Gedichte der Expressionisten wurden vorgetragen, Ringelnatz auch. Das Radio war ein Medium der zeitgenössischen Literatur. Das muß es auch heute sein. Und eine Servicestation. 77 Prozent der lesefreudigen Bürger geben an: "Es erscheinen so viele Bücher, daß es unmöglich ist, den Überblick zu behalten." 69 Prozent der Interessierten sagen auch: "Durch Radio und Fernsehen kann ich mich schneller über das Wichtigste informieren." So ist das Kulturradio Tipgeber und Kulturvermittler zugleich.

Es tut sich keinen Gefallen, wenn es sich im Musikbett des Mainstreams versteckt. Musik hat im Kulturradio eine andere Funktion. Neugier ist die Kardinaltugend des Journalisten. Neugier ist ansteckend. Und so ist das Radio der beste und allgegenwärtige Präsentator neuer Musikrichtungen - aus Deutschland, aus Europa, aus aller Welt. Das Kulturradio ist multikulturell und eben nicht Verstärker der globalen Pop-Industrie. Es verbündet sich mit den Rundfunkorchestern für musikalische Bildung und gegen schlechten Geschmack. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bekommt Gebühren von allen, deshalb muß er vielen vieles bieten. Aber letztlich wird er an den Maßstäben von Bildung, Kultur und sachverständiger Information gemessen. Gerade im Neuen und noch Unerprobten liegt der Humus kultureller Kreativität.

17 Millionen schalten die Kulturprogramme der ARD und des nationalen Hörfunks DeutschlandRadio regelmäßig ein, 4,5 Millionen hören täglich zu. Kulturradio ist kein Nischenradio. Aber selbst mit solchen Zahlen ist seine Wirkung noch nicht hinreichend beschrieben. Ein Gedicht, originelle Gedanken, ein Essay und die Konzerte der Radiosinfonieorchester haben einen anderen Wert als den, den Marketingexperten und Quotenfetischisten definieren. Lesen, Hören, Musizieren, die Herausbildung von Verstand und Geschmack sind unverzichtbar für eine Kulturnation. Gerade in den Kulturprogrammen erteilt der Redakteur auch denen das Wort, die sich Gedanken über die Zukunft machen und öffentliche Kontroversen anzetteln - über Politik und Geschichte, über Literatur und Theater. So versteht sich DeutschlandRadio bewußt als modernes Feuilleton für Wort und Musik. Da das Kulturradio kulturelle Trendsetter anspricht, ist seine Wirkung höher, als manche Quote vermuten läßt.

Die Privaten machen, was ankommt, die Öffentlich-Rechtlichen, worauf es ankommt - so wird der ordnungspolitische Grenzverlauf im dualen Rundfunksystem beschrieben. Die Rundfunkgebühr ist nicht nur ein Finanzierungsinstrument, sondern sie dient der Qualitätssicherung. Wer Gebühren erhält, muß Maßstäbe setzen.

Das Kulturradio ist im elektronischen Dschungel der Geschmacklosigkeit ein Guerillatrupp für den guten Geschmack.

* Unser Autor Ernst Elitz (63) wurde im März 1994 zum ersten Intendanten von DeutschlandRadio (Berlin, Köln) gewählt.

Hamburger Abendblatt, 23. Dezember 2004