Das GANZE Werk - Presseschau

DIE ZEIT, Gedruckte Ausgabe, 17. März 2005

Argument

Wer nicht handelt, wird behandelt

Die EU-Kommission bedroht die Kulturhoheit der Bundesländer. Sie will über den Rundfunk mitbestimmen.

Von Götz Hamann

Es muss ein unangenehmes Treffen gewesen sein. Vier ranghohe deutsche Medienpolitiker haben sich in der vergangenen Woche mit einem ranghohen EU-Wettbewerbshüter zusammengesetzt, und lebten wir noch im Mittelalter, die Deutschen hätten wohl ein weißes Büßerhemd getragen. Martin Stadelmeier und Rainer Robra, die Chefs der Staatskanzleien in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, dazu Miriam Meckel, Staatssekretärin in Nordrhein-Westfalen, und Hansjörg Kuch, ein Beamter aus der bayerischen Staatskanzlei - die vier wollten erkunden, was ihnen und den öffentlich-rechtlichen Sendern aus Brüssel droht. Und wie sie das Drohende abwenden können.

Anlass ist eine vorläufige Stellungnahme der EU-Beamten zu den Finanzen und dem Programm von ARD und ZDF. Sie schreiben, dass die Sender ihre privilegierte Stellung mehrfach missbrauchen und private Konkurrenten behindern würden. Indirekt heißt das auch, die deutsche Medienpolitik habe versagt, weshalb die EU jetzt übernehme.

Am Ende könnte die Sache vor dem Europäischen Gerichtshof landen, doch vorerst ist nichts entschieden. Noch kann verhandelt werden.

Ein Machtverlust
droht den deutschen Medien-
politikern. Sie haben ARD und ZDF weder zu Reformen gezwungen noch ausreichend kontrolliert. Deshalb prüft die EU-Kommission jetzt, ob sie im Falle der öffentlich-rechtlichen Sender eingreifen soll.

Die deutschen Landespolitiker haben viel zu verlieren. Es geht um ihre Gestaltungsmacht in Fernsehen, um ihre Kultushoheit. Wo sie jetzt noch landesfürstlich herrschen, weil sie allein für Kultur- und Bildungspolitik zuständig sind, werden sie demnächst möglicherweise durch die Europäische Union bevormundet.

Nach Meinung der Wettbewerbshüter benutzen ARD und ZDF die Gebühren, um den Markt für Sportrechte praktisch leer zu kaufen. Das sei nicht ihre Aufgabe. Wenn die EU sich durchsetzt, werden begehrte Übertragungsrechte an die private Konkurrenz gehen. ARD und ZDF trifft das an einer besonders empfindlichen und schwachen Stelle. Viele Millionen schalten nur noch ein, wenn die Fußball-Nationalmannschaft spielt, ansonsten schauen sie Privatfernsehen. Der Sport ist also immens wichtig, um dem Gebührenzahler zu erklären, warum er zahlen muss.

Wenn es allein um den Sport ginge, ließe sich durchaus argumentieren: Es werde ohnehin Zeit, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihre Gebühren benutzten, um ihr übriges Programm zu verbessern. Doch in der EU-Haltung steckt eine gefährliche Logik. Könnte ein Diktat über den Sport nicht dazu führen, dass die EU-Beamten bald bestimmen wollen, wie viele Hollywood-Filme ARD und ZDF kaufen und senden? Oder Serien oder, oder ...

In ihrer Programmautonomie würden Sender und Landespolitiker dadurch beschnitten, dass die EU die Rundfunkgebühren auf einmal als "bestehende Beihilfe" bewertet, nicht als eine historische Einmaligkeit. Damit unterwirft sie die Gebühr harten Regeln: Eine "bestehende Beihilfe" beinträchtigt zwar den Wettbewerb, in diesem Fall auf dem Fernsehmarkt. Sie wird aber nicht infrage gestellt, weil es sie schon gab, als die EU gegründet wurde. Insofern ist sie rechtens, darf jedoch nur für einen genau beschriebenen Zweck verwandt werden. Daraus ergeben sich viele Fragen für die Zukunft.

Was bedeutet es etwa, wenn ein TV-Kanal für Jugendliche entstehen soll, weil der Kinderkanal Kika für Teenager langweilig ist? Bisher genügt ein Beschluss der Ministerpräsidenten und eine Änderung des Rundfunkstaatsvertrags. Und künftig? Fiele ein neuer Sender noch unter die "bestehende Beihilfe"?

Es droht eine Entmündigung der deutschen Medienpolitik - und sie hat es sich selbst zuzuschreiben.

Die Generalkritik lautet: Die Aufsicht hat versagt, weil es fast unmöglich ist, etwas zu verändern, was es einmal gibt. Medienpolitik ist schlechter Föderalismus hoch zehn. Wer die Öffentlich-Rechtlichen gravierend verändern will, braucht die allseitige Zustimmung von Ministerpräsidenten, Landesparlamenten und den Aufsichtsgremien der Sender, so verwinkelt ist das Rundfunkrecht.

Vor eineinhalb Jahren hatten die Ministerpräsidenten Georg Milbradt (Sachsen), Peer Steinbrück (Nordrhein-Westfalen) und Edmund Stoiber (Bayern) immerhin den richtigen Impuls. Gemeinsam forderten sie eine inhaltliche und strukturelle Reform, damit die Anstalten sparen, aus den Gebühren mehr machen und Letztere nicht mehr steigen.

Doch dann sind sie ziemlich planlos, grob und machtversessen vorgegangen. Erst haben sie eine Liste von Sparvorschlägen vorgelegt, von denen einige nicht duchzusetzen und andere finanziell wirkungslos waren. Dazu hat Stoiber kaum verhehlt, dass er die Öffentlich-Rechtlichen besonders gerne zugunsten der privaten Sender in seinem Bundesland stutzen wollte (ProSieben, DSF, Premiere).

Schädlich war auch die Rolle des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck. Er versteht mehr von Medienpolitik als alle anderen, doch beschränkte er sich darauf, Stoiber auszubremsen, statt dessen Energie in eine sinnvolle Reform zu lenken.

Am Ende ging es nur noch um die Macht. Um zu zeigen, dass sie etwas bewegen können, haben Stoiber, Milbradt und Steinbrück die europaweit als vorbildlich geltende Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (Kef) beschädigt. Die politisch unabhängige Kef prüft die Anträge von ARD und ZDF auf Gebührenerhöhung, doch die drei Ministerpräsidenten setzten sich über sie hinweg und drängten alle anderen dazu, sie willkürlich festzulegen. Seither soll ein Anstieg um 88 Cent sozialverträglich sein, der unabhängig errechnete (1,07 Euro) dagegen nicht.

Das hat das Bundesverfassungsgericht wohl nicht gemeint, als es den Ländern 1994 aufgab, sich um Bestand und Entwicklung der Öffentlich-Rechtlichen zu kümmern. Der Versuch einer Reform endete ziemlich kläglich - und könnte der letzte seiner Art gewesen sein, wenn die EU-Wettbewerbshüter wirklich mitbestimmen wollen.

Selbst ihr Diktat "Weniger Sport" ist ihnen schwer zu verdenken, denn auch dafür sind die meisten Ministerpräsidenten mit verantwordich. Sie sitzen in Rundfunk- oder Fernsehräten und warben dort sehr eindringlich dafür, die teuren Übertragungsrechte an der Fußballbundesliga und an der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland zu erwerben. Ansonsten ließen sie nach der Bundestagswahl schon mal auszählen, ob Stoiber im Fernsehen fair behandelt wurde. Fußball und Proporz-Berichterstattung - sieht so eine kritische Aufsicht aus?

Es wäre schön gewesen, mitzuhören, wie die vier medienpolitischen Gesandten versucht haben, die deutsche Medienpolitik zu verteidigen. Was sie tun werden, damit alles bleibt, wie es ist.