Das GANZE Werk - Presseschau

Neues Deutschland, 7. April 2005

DeutschlandRadio Kultur seit einem Monat

RADIO FEUILLETON

Wortbeiträge mit kultureller Nachhaltigkeit - Der bewusste Einsatz von Musik wird bislang nur sehr bedingt erreicht

Von Rainer Braun

Da sage noch einer, das öffentlich-rechtliche System sei so manövrierfähig wie ein Tanker. Das Deutschlandradio hat gezeigt, dass gebührenfinanzierter Rundfunk auch ohne Druck zu Reformen fähig ist, die diesen Namen auch verdienen. Seit 7. März präsentiert sich die werbefreie Qualitäts-Welle unter dem Namen DeutschlandRadio Kultur. Neu sind freilich auch der Internet-Auftritt (in Orange) und die Inhalte des Programms. »Radio Feuilleton« statt Magazin-Journalismus heißt das Stichwort für die großen Flächen von 9 bis 12 und von 14 bis 17 Uhr. Verbunden damit ist zugleich ein Abschied vom begleitenden Charakter der Musik, die nun vor allem inhaltlich begründet werden soll und muss.

Dieser Mut zur Veränderung ist auch in der Presse mit Aufmerksamkeit und viel Wohlwollen begleitet worden. Das lag zum einen daran, dass hier ein öffentlich-rechtlicher Sender Mut zum Risiko zeigte statt über finanzielle Engpässe zu klagen. Hinzu kam aber fraglos auch ein weit verbreiteter Unmut über das Angebot im Hörfunk hier zu Lande, was sich nicht allein am bescheidenen Zuspruch der gebührenfinanzierten Kulturradios ablesen lässt. In dieser Hinsicht versprach DeutschlandRadio Kultur einen hoffnungsvollen Aufbruch zu neuen Ufern. Dazu zählt auch, dass mit der Programmreform nun auch legendäre Rock-Konzerte wie »Woodstock« jeweils mittwochs ab 20 Uhr ihren festen Platz haben und ein erstes »Fazit« um 19 Uhr einen Blick auf das Tagesgeschehen gibt.

Wer sich diesen inhaltlichen Veränderungen von "D-Kultur" widmet, darf sich dabei auf manche positive Überraschung freuen. Die erste betrifft den publizistischen Qualitätszuwachs. Was da seit gut drei Wochen als 'Radio-Feuilleton' angeboten wird, ist Beleg dafür wie bunt, abwechslungsreich und vielfältig das Kulturleben hierzulande abgebildet werden kann. Diese jeweils dreistündigen Strecken werden pointiert und meinungsfreudig mit Autorinnen und Autoren gefüllt, die etwas zu sagen haben und es hier (oft) auch in der gebotenen Länge dürfen. Was bekanntermaßen selten geworden ist in den ARD-Radios zwischen hehrem Anspruch und Realität von Quotendruck und Sparkurs. Beim DeutschlandRadio gelten die Bekenntnisse zur ungewohnten Ausführlichkeit nicht nur für Sigrid Löffler oder Roger Willemsen oder die Kommentierung und Spiegelung der Leipziger Buchmesse. Besprechungen von vier Neuerscheinungen haben täglich ihren festen Plätze wie auch kompetente Kinokritiken, Theater- und Musikrezensionen, sowie erhellende Blicke in die Zeitungs-Feuilletons, was Kulturinteressierten vor allem eine kompetente Orientierung ermöglicht.

Ausgesprochen spannend und täglich überraschend ist aber die Schwerpunkt-Setzung der Redaktionen, die dem geneigten Publikum Mehrwert nun nicht nur im ersten Fazit um 19 Uhr verspricht. Statt Routine und Rubrizierung wird hier kulturelle Nachhaltigkeit geboten. Der Bibliothekar-Kongress in Essen ist ein Thema wie die opulente Leistungsschau türkischen Kinos in Nürnberg, das Phänomen »neuer« Unterschichten oder die Gentechnik. Das mag im einzelnen in dieser Ausführlichkeit vielleicht nicht jede(n) Hörer(in) interessieren. Wer sich darauf einlässt, wird die breite Informationen zu aktuellen Themen freilich schätzen lernen. In dieser Hinsicht verstehen sich auch die Kulturnachrichten zur halben Stunde als Gewinn, wie auch die Fortsetzung der Mini-Hörspiele, die als »Wurfsendungen« durch das Programm flattern.

Stark gewöhnungsbedürftig ist allerdings die Konturierung der Musik im Zuge der Reform. Das beginnt bei der Auswahl des künstlerischen Repertoires. Bach und Eminem, einfühlsam-melancholische Klänge von den Kapverden oder die CCR-Rock-Legende John Fogerty werden bisweilen arg bemüht in Zusammenhänge gestellt, die sich den Hörern nicht immer erschließen. Verstärkt wird die Wortlastigkeit durch die Präsenz der jeweiligen Musik-Redakteure am Mikrofon. Ihre einführenden Texte – statt prägnanter Interviews mit den Moderatoren – verleihen der Anmutung der Radio-Feuilletons eine unnötige Schwere gesprochener, die eindeutig zu Lasten der Hörerlebnisse geht. Das Ziel, dem bewussten Einsatz von Musik den Vorzug gegenüber gängigen Klangteppichen beizumessen, wird so bislang leider nur sehr bedingt erreicht.

Das sollte den Elan der Reformer am Berliner Hans-Rosenthal-Platz nicht bremsen, sondern zu notwendigen Nachjustierungen ermuntern. Dass bei einem Kraftakt dieser Art nicht alles auf Anhieb rund läuft, gehört zum Geschäftsrisiko derer, die Neues wagen. Dazu zählt auch, dass der Relaunch des DeutschlandRadio hausintern durchaus skeptisch begleitet wurde, was mit Blick auf die strukturellen Veränderungen verständlich ist. Die positive Zwischenbilanz sollte freilich zu weiteren Taten ermuntern – der Kurs hin zum Radio-Feuilleton mit meinungsfreudigem Journalismus ist zukunftsträchtig und dürfte auch die Konkurrenz innerhalb der ARD zu Korrekturen anregen. Schließlich geht es bundesweit um rund fünf Millionen kulturinteressierte Hörerinnen und Hörer, deren Bedürfnisse nach anspruchsvoller Unterhaltung und Information gestillt werden wollen.

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