Das GANZE Werk - Presseschau

neue musikzeitung, Nr. 05/05

Anhörung „Zur Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien für die Kultur“ in Berlin

Öffentlich-rechtliche Medien unter Druck

Öffentliche Meinung und öffentliche Kultur brauchen öffentliche und weit reichende Programme, eben auch zu „guten“ Sendezeiten in den Hauptprogrammen

Von Martin Hufner

Die 41. Sitzung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ verhandelte am 18. April das Thema die „Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien für die Kultur“ in öffentlicher Sitzung. Dafür entwickelte die Kommission einen beträchtlichen Fragenkatalog von insgesamt 28 Fragen, die zugleich an die Vertreter von ARD und ZDF, das Deutschlandradio Kultur und drei weitere Medienexperten ging. Um das Ergebnis von hinten aufzuzäumen: In ihrem Abschlusskommentar fasste die Vorsitzende der Kommission, Gitta Connemann (CDU), das Ergebnis so zusammen. „Die gute Nachricht: Die öffentlich-rechtlichen Medien verabschieden sich keinesfalls von ihrem Kultur- und Bildungsauftrag. Und die schlechte Nachricht: Wie dieser Auftrag auszusehen hat, scheint jeder anders zu definieren.“ Zwei drastische Beispiele dafür: Die Fernsehreihe „Unsere Besten“ subsumierte der Programmdirektor des ZDF, Thomas Bellut, zweifellos als Kultursendung; die ARD setzt übrigens tatsächlich „das Quiz mit Jörg Pilawa“ dagegen!

Tiefe Unsicherheit auch auf Seiten der Radiomacher. Einerseits betonte der Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks, Johannes Grotzky (stellvertretend für die ARD), dass die Messung von Einschaltquoten im Rundfunk zugegebenermaßen sehr ungenau sei, insbesondere bei den so genannten Kulturwellen und dass es ihm, statt um Einschaltquote, um die so genannte Reichweite eines Programmes gehe. Andererseits wusste er auf die Nachfrage der Enquete-Kommission nach der unseligen Veränderung bei NDR Kultur nur ein Blick in die Einschaltquoten entgegenzusetzen und NDR Kultur mit KlassikRadio zu vergleichen. Ebenso betonte Grotzky, dass man heute auch kein Kulturprogramm mehr mit der Vorstellung von Krawatte und Kerze machen könne und verwies in der Stellungnahme schriftlich auch auf den unseligen Vortrag des Hörfunkdirektors des Hessischen Rundfunks, Heinz Sommer, aus dem Jahr 2003 hin, dass der traditionelle Kulturbegriff überholt sei. Sommer sagte, zur Erinnerung: „Der Radiohörer hört Radio – nicht Kultur… in allererster Linie Radio und nicht Inhalte“. Also: Krawatte und Kerze seien eben nicht zeitgemäß und somit „altes Radio“; im gleichen Atemzug fiel es ihm nicht schwer, die Frage nach der Zerstückelung von „klassischer“ Musik in Vor- und Nachmittagsprogramm beispielsweise von NDR Kultur zu beantworten, dass eben dies doch durchaus Praxis im 18. Jahrhundert gewesen sei. Der von der Kommission geladene Experte Thomas Frickel von der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm nannte solche Praxis in seiner schriftlichen Stellungnahme: „In Wahrheit ist das aber keine Kultur, sondern eine moderne Form der Kulturbarbarei.“

Ja, was denn nun? Connemanns Einwand zur Definition des Kulturbegriffs in den öffentlich-rechtlichen Medien gilt zu Recht. Wenn jeder sich seinen Kulturbegriff jeweils nach Lust und Laune bestimmen kann, dann wird die Aufsicht über die öffentlich-rechtlichen Medien nach Kriterien von Kultur- und Bildungsauftrag zum Roulette.

Kritik an den Entwicklungen des Hörfunks äußerte daher auch der ehemalige Wellenchef von NDR3, Wolfgang Knauer. In seinem schriftlichen Statement betonte er, dass es zweifelhaft sei, dass die im Hörfunk eingeleiteten „Reformen“ höhere Einschaltquoten zur Konsequenz hätten. Und zur Entwicklung in Richtung Formatradio schrieb er: „Ob sich die strenge Formatierung auf die Dauer für die Kulturprogramme eignet, muss bezweifelt werden, da sie musikalisch zu stark einengt, tiefer gehende Darstellungen verhindert und feuilletonistischen Esprit nahezu unmöglich macht. Hinzu kommt, dass die Übernahme eines für Popwellen entwickelten dramaturgischen Prinzips auch zur stilistischen Nachahmung der dort üblichen Darbietungsart verleitet und den Hang zu Trivialisierung fördert.“

Zu einer anderen Sichtweise wollte schließlich Wolfgang Stock, Medienanalyst an der Justus-Liebig-Universität Gießen anregen. In seiner Stellungnahme schrieb er: „Für Fernseh-Konsumenten ist Wirklichkeit immer mehr das, was sie im Fernsehen sehen – und das, was sie dort nicht sehen, kann nicht wichtig sein. Die Medienwirkungsforschung ist sich einig: Medien schaffen nicht nur Interesse, sondern prägen Meinungen. Daraus folgt: Wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen Kultur nicht angemessen im Hauptprogramm und in den Nachrichten plaziert, verliert Kultur in der öffentlichen Wahrnehmung (und auch in der Politik) an Bedeutung.“ Man müsse sich also im Umkehrschluss nicht wundern, wenn die Quoten der Kulturprogramme rückgängig seien oder stagnierten. Der Kulturbegriff der ARD lautet fast in Umkehrung des Hinweises von Stock: „Nur wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer erkennen können, dass Kultur für sie relevant ist und etwas mit ihrem Leben zu tun hat, wollen sie sie auch im Fernsehen sehen.“ So gesehen muss man sich nicht wundern, wenn Kulturberichtserstattung im Wesentlichen auf eine Eventkultur abziele. Wenn man also die nicht kultige Kultur aus den Nachrichten und dem Hauptprogramm entferne, entfernt sie sich in ihrer faktischen Breite. In Österreich habe man diesen Trend mit Erfolg aufhalten können. Das Interesse an kulturellen Sendungen steige dort feststellbar in entsprechendem Maße. Und auf etwas anderes wies Stock hin. Die Praxis der öffentlich-rechtlichen Medien spiegele damit gar nicht die Reichhaltigkeit der kulturellen Initiativen in Deutschland wieder.

Ein weiterer Schwerpunkt der Sitzung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ war die Zukunft der Rundfunkklangkörper. Während die Kommissionsmitglieder der ARD vorwarfen, leichtfertig diese Kulturträger in ihrem Bestand zur Disposition zu stellen, verwahrten sich Grotzky und Fuchs gegen den Vorwurf, daran seien schließlich auch die von der Politik zwangsweise erniedrigte Erhöhung der Rundfunkgebühren mitschuldig. Man bemühe sich, den Bestand der Orchester zu garantieren, aber wenn die Signale der Politik in eine andere Richtung gehen, sei letztlich diese verantwortlich, nicht der Rundfunk. Dem Vorwurf, dass man dabei die Orchester für diesen Vorwurf instrumentalisiere, entgegneten die ARD-Verantwortlichen, dass nicht allein an den Orchestern gespart werde, sondern durchaus in allen Bereichen des Rundfunks.

Der öffentliche Druck auf die mediale Öffentlichkeit steigt. Neben all den Problemen der Bewertung von Bildungs- und Kulturauftrag steht ja auch die Frage nach der Gestaltungsmacht des Öffentlichen, wie sie in den öffentlich-rechtlichen Medien stattfindet. Sie sind eben nicht Vollzugsorgane einer anonymen Masse, sondern – zumindest theoretisch – Organe der bürgerschaftlichen Öffentlichkeit, eben auch der kulturellen. Dies lässt sich nicht einfach durch den Verweis auf Auslagerungen in die so genannten Spartenprogramme (wie etwa Bayern Alpha, die so genannten „Dritten Programme“, ZDF.info, ZDF.doku, den ZDF.theaterkanal, oder Phoenix) abwehren. Öffentliche Meinung und öffentliche Kultur brauchen öffentliche und weit reichende Programme, eben auch zu „guten“ Sendezeiten in den Hauptprogrammen. Positiv anzumerken ist das größtenteils hohe und überfraktionelle Niveau der Fragen der Kommissionsmitglieder. Die Veranstaltung konnte so zeigen, dass die anwesenden Politiker sich doch noch als Volksvertreter artikulieren können. Das ist vielleicht die letzte gute Nachricht.

Lesen Sie dazu:

Bericht von Martin Hufner in der neuen musikzeitung, Nr. 05/05
Öffentlich-rechtliche Medien unter Druck
Öffentliche Meinung und öffentliche Kultur brauchen öffentliche und weit reichende Programme, eben auch zu „guten“ Sendezeiten in den Hauptprogrammen

Ausschnitt aus der Aufzeichnung von PHOENIX, 19. April 2005
Wolfgang Knauer vor der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“
Wenn Klangkörper und Programme wieder enger miteinander arbeiten würden...

Stellungnahme von Wolfgang Knauer (ehem. Wellenchef von NDR Kultur)
Schonungslose Kritik an NDR Kultur im Dienste von Musik und Kultur

Stellungnahme von Stellungnahme von Thomas Frickel, AG DOK
HR-Intendant Reitze: „Ich schiele nicht nach der Quote,
ich schaue mit der Lupe drauf“

Lesen Sie die einzelnen Stellungnahmen der Experten
Bezugsquelle: Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland", Sekretariat

Lesen Sie den vollständigen Fragenkatalog an die Experten vom 14. Februar 2005:

A.1. Vollständige Fragen
HTML-Format
A.2. Vollständige Fragen
Druckversion (Pdf, 191 kb)
B. Auswahlfragen zu
NDR Kultur