Das GANZE Werk - Presseschau

Mehr Sport auf Kosten der Kultur? oder
Mehr Kultur auf Kosten des Sports?
Nein: Mehr Kultur statt Quotenanbetung

Stuttgarter Zeitung, 2. Mai 2005

Interview mit SWR-Intendant Peter Voß, dem Erfinder der These: Ein eigener Klangkörper sei für den Rundfunk eine mäzenatische Leistung

Lieber Fußball als Stockhausen?

Der SWR-Intendant Peter Voß über die Kultur im Sender

Wie viel Kultur darf, wie viel Kultur muss im Programm sein, damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Auftrag gerecht wird? Götz Thieme und Tim Schleider haben mit dem Intendanten des Südwestrundfunks, Peter Voß, gesprochen.

Herr Voß, warum braucht der Südwestrundfunk fest angestellte Musiker, Orchester, einen Chor?

Das ist eine gute Frage. Er braucht sie in dem Maße, in dem er es für sein Programm für wichtig hält, selbst produzierte Musik anzubieten: gewiss auch auf Feldern, wo andere dies wenig tun, etwa in der avantgardistischen und experimentellen E-Musik. Aber er braucht sie, streng genommen, auch nur in dem Maß, in dem sein Programmauftrag dies erfordert. Wie groß dieses Maß ist, darüber kann man streiten.

In Baden-Baden, im Festspielhaus, gastieren regelmäßig die besten Orchester der Welt, die Philharmoniker aus Wien, Berlin, New York. Warum schneiden Sie nicht einfach deren Konzerte mit und verzichten auf eigene Ensembles?

Das ist theoretisch möglich. Problematisch wird es erst, wenn alle so handeln, denn dann würde die Kulturlandschaft insgesamt und mittelfristig auch das Musikleben ärmer, das wir abbilden sollen und wollen. Theoretisch kann ein Sender das also machen, aber wir werden es nicht tun, auch weil wir nicht nur von äußeren Entwicklungen abhängig sein wollen. Man kann das durchaus mit anderen Bereichen vergleichen: Wie viel etwa müssen wir selbst produzieren im Fernsehen, zum Beispiel in der Information? Da stellt sich die Frage der Unabhängigkeit oder der Abhängigkeit von Marktentwicklungen.

Wer beurteilt dieses Eigenengagement?

Kein Gesetz und kein Auftrag legt fest, was und wie viel wir selbst zu produzieren haben von dem, was wir senden, oder gar darüber hinaus. Bei den Klangkörpern können wir längst nicht jedes Konzert und jede Tournee ins Programm nehmen. Täten wir das, müssten wir andere Musikproduzenten vernachlässigen, aber wir wollen ein Gesamtbild des Musiklebens vermitteln. Andererseits wissen wir, dass wir eine große Tradition zu verteidigen haben. Wir sind auch dazu berechtigt, nur gibt es dafür keinen Auftrag von draußen. Wir entscheiden das selbst. Deshalb stellt sich die Frage, ob wir diesen Bereich - nur weil wir eine große Tradition haben, aber nicht mehr die gleichen Notwendigkeit wie nach dem Krieg, als es keine "Konserven" gab -, von strukturellen Veränderungen und Sparmaßnahmen ausnehmen können. Das haben wir nämlich bisher getan.

(...)

Im letzten Jahr haben die ARD-Intendanten "Leitlinien für die Programmgestaltung" verabschiedet. Dort heißt es: "Die ARD bildet Kultur nicht nur ab, sondern produziert genuine Fernsehkultur als Teil des Kulturlebens der Bundesrepublik." Man hat aber den Eindruck, dass Theater- oder Opernaufführungen und Konzerte ins Dritte oder zu Arte abgeschoben werden. Ist das der Abschied vom Vollprogramm?

Immer langsam. Erstens kann man nicht sagen, irgendwas wird abgeschoben, denn alle Programme sind allgemein zugänglich. Der Mensch kann sich doch frei entscheiden und wird in der Lage sein festzustellen, ob etwas bei Arte, 3Sat, Phoenix, im Ersten oder im Dritten läuft. Zweitens sind die Orchester traditionsgemäß primär dem Hörfunk zugeordnet, der viele Konzerte ausstrahlt. Im Fernsehen sind das sehr aufwendige, teure Produktionen, die nicht unbedingt ein großes Publikum anziehen.

Aber zahlt man dafür nicht die Gebühren?

Ja, Sie oder ich zahlen sie gewiss auch dafür. Aber ein großer Teil der Gebührenzahler zahlt sie viel lieber für andere Dinge. Gehen wir doch mal gemeinsam hier ins Fußballstadion und erzählen 50 000 Fans, dass sie Gebühren zahlen dürfen, aber dafür keinen großen Fußball mehr bekommen, sondern ein Karlheinz-Stockhausen-Konzert. Und dann schauen wir mal, ob wir beide da heil wieder rauskommen.

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Lesen Sie zum Vergleich:

Offenbar gibt es - bei Finanzierung der Harald-Schmidt-Gage erprobt - innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems durchaus andere Einspar-Potentiale. Nur: auf die Idee, Gelder aus dem völlig überproportionierten Sport-Etat zur Kultur umzuschichten, ist bis jetzt noch niemand gekommen.

Ihre in diesen Tagen immer wieder vernehmbare gebetsmühlenhafte Beteuerung, die deutsche Rundfunkgebühr sei ja überhaupt keine Beihilfe, mutet ein wenig an, wie das Pfeifen im Walde. Erfolgversprechender wäre es, wenn die Vertreter des öffentlich-rechtlichen Systems die aktuelle Debatte nutzen würden, um endlich einmal die qualitativen Unterschiede zu privaten Medienunternehmen trennscharf herauszuarbeiten. Doch mit dem offensichtlichen Kampf um Marktanteile, der damit einhergehenden Banalisierung und Niveauverflachung der öffentlich-rechtlichen Hauptprogramme und dem mit Unsummen aus Gebührengeldern finanzierten Wettbewerb um Sportrechte haben sich die Vertreter des öffentlich-rechtlichen Systems in Deutschland ganz offensichtlich selbst in Erklärungsnöte gebracht.

Experten-Stellungnahme von Thomas Frickel, Arbeitskreis Dokumentation, für die Enquete-Kommission Kultur in Deutschland zur Anbhörung am 18. April 2005

Lesen Sie zur Auseinandersetzung mit dem SWR-Sparkonzept auch:

Lieber Fußball als Stockhausen?
Interview mit SWR-Intendant Peter Voß, dem Erfinder der These:
Ein eigener Klangkörper sei für den Rundfunk eine mäzenatische Leistung Stuttgarter Zeitung, 2. Mai 2005

Von Gerhart Baum
Auftrag, nicht Wohltat - Öffentlicher Rundfunk und Neue Musik
Grundsätzliches zum Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
Das Bundesverfassungsgericht ist der Meinung, dass die „besondere Eigenart“ des öffentlichen Rundfunks erst durch die Erbringung solcher Programmteile „ihre Rechtfertigung“ findet, die unter kommerziellen Bedingungen notwendig defizitär bleiben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. März 2005

SWR-Intendant Peter Voß: „Strukturelle Veränderungen sind unausweichlich“
SWR-Rundfunkrat genehmigt Haushalt 2005
Voß: Der Sender müsse sein kulturelles und mäzenatisches Engagement an den heutigen und zukünftigen Gegebenheiten ausrichten.
Südwestrundfunk (SWR), 3. Dezember 2004

Interview mit SWR-Intendant Peter Voß
Voß: „Enormer Spardruck bestimmt Zukunft des SWR“
Frage: Wenn Sie ausgerechnet bei der Kultur, bei den Orchestern sparen, schadet das nicht der Legitimation der Öffentlich-Rechtlichen?
Peter Voß: Eigene Rundfunkorchester und Konzertveranstaltungen sind in diesem Zusammenhang vor allem eine freiwillige Leistung für die Kulturlandschaft.
Südwestrundfunk (SWR), 3. Dezember 2004