Das GANZE Werk - Presseschau

DIE WELT, 10. Mai 2005

ARD und ZDF bald werbefrei?

Interview: Christian Seel

Ministerpräsident Kurt Beck über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Grundversorgung und den neuen Druck der EU

Die Welt: Im NDR-Shop kann man für 599 Euro den "Sportschau"-Kicker kaufen. Entspricht das Ihrer Vorstellung von öffentlich-rechtlichem Programmauftrag?

Kurt Beck: Nein. Es muß eine deutlich klarere Trennung von Programmauftrag und solchen kommerziellen Betätigungen geben. Rein kommerzielle Tätigkeiten ohne Programmbezug sind übrigens ausdrücklich nach dem Staatsvertrag untersagt.

Das scheinen manche Sender zu vergessen.

Es ist Sache der Rechtsaufsicht, dagegen vorzugehen. Andererseits ist in den letzten Monaten vieles passiert, dennoch gibt noch immer Grenzverletzungen. Da bin ich illusionsfrei.

Die Ministerpräsidenten haben sich jetzt vor den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gestellt, um ihn vor dem Zugriff aus Brüssel zu schützen. Kann es sein, daß es gar keinen Reformwillen in der deutschen Rundfunkpolitik gibt?

Die Interpretation ist völlig falsch. Reformwillen darf nur nicht bedeuten, daß wir unser duales System zerstören. Es muß eine faire Balance zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern geben. Die Unterscheidung kann nicht so gemacht werden, wie sie sich in der EU-Stellungnahme liest. Beispielsweise können die Öffentlich-rechtlichen nicht in ihren Verbreitungswegen eingeschränkt werden. Sonst ist das duale System gekappt. In den haushaltrechtlichen Fragen, Kontrollmechanismen, in einer besseren Erklärungen und Bestimmungen des Programmauftrages werden sich ARD und ZDF bewegen müssen.

Wie soll das "Bewegen" aussehen?

Ersten muß offengelegt werden, ob es Verflechtungen mit kommerziellen Bereichen gibt - das reicht von werblichen Verflechtungen bis zu Studiokapazitäten. Hier wird klarer definiert, was statthaft ist und was nicht. Zum Zweiten wird diese Trennung in der Rechnungslegung der Anstalten deutlicher ablesbar sein müssen, zum Dritten werden die Rechnungshöfe bei alle Sendern auch bei privaten Tochterfirmen prüfen können, sofern sie daran mit Einfluß beteiligt sind. Bei manchen Sendern wie etwa dem SWR gibt es das schon. Wir werden überdies die Gremienrechte und die der Gebührenkommission KEF stärken.

Wie stärken Sie diese Rechte?

Über einen Staatsvertrag. Wir arbeiten bereits daran. Die Kompetenz der Gremien wird sich dann auch auf solche Firmen erstrecken, an denen Sender nur über eine Minderheitsbeteiligung verfügen, einem Studiokomplex oder einem anderen Medienunternehmen. Bislang erfahren Gremien dort nicht unbedingt, was mit der Beteiligung geschieht.

Studio Hamburg, Bavaria, Sport1, Degeto bekommen also künftig Besuch von den Landesrechnungshöfen?

Die Prüfungsrechte hängen von der Höhe der Beteiligungen ab, das wird im Detail noch festzulegen sein. Bei zwei Prozent natürlich nicht.

Was bedeuten "Grundversorgung" und "Programmauftrag" für Sie?

Ich habe den Begriff Grundversorgung nie gebraucht. Er ist undefinierbar und deshalb falsch. Die Öffentlich-rechtlichen haben eher einen Funktionsauftrag - aber auch der Begriff ist mit Zweifeln behaftet. Sie sorgen für eine entsprechende Balance, daß Freiräume bleiben, um privaten Rundfunk betreiben zu können, damit aus dem Ganzen ein gutes Angebot im Free-TV-Bereich herauskommt. Machen wir uns nichts vor: Natürlich gibt es einen qualitativ deutlichen Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Informationsangeboten. Das will ich gar nicht beklagen. Aber wenn der öffentlich-rechtliche Ast nur noch Resteverwertung machen dürfte, dann wäre dies ein Manko für die Informationsfreiheit.

Wie sollen sich private Nachrichtenkanäle denn auch gegen ein gebührenalimentiertes System entwickeln können?

Herr Thoma hat mal ehrlich gesagt: Im Seichten kann man nicht ertrinken. Reine Nachrichtenkanäle zu refinanzieren, ist auf jeden Fall viel mühsamer, als wenn man sich auf einen starken Unterhaltungsanteil stützt, wie es die Privaten tun. Ich sage das nicht anklagend. Aber es ist eben gerade die Aufgabe von ARD und ZDF, dieses auszubalancieren. Deshalb bekommen sie eine Gebühr.

Warum drücken sich die Ministerpräsidenten immer darum, den Auftrag von ARD und ZDF klar festzulegen?

Das zu versuchen, wäre naiv. Ich habe in meiner Zeit als Bürgermeister gelernt, daß man in der Grünanlage den Weg zwar wunderschön im rechten Winkel anlegen kann, aber die Leute laufen trotzdem quer über den Rasen. Diese Lehre hat mit der Rundfunklandschaft eine Menge zu tun. Wir kennen die technische Entwicklung nicht und nicht die Geschwindigkeit. Kein Mensch kann sagen, wie die Sehgewohnheiten in zehn, 15 Jahren sein werden. Deshalb bekenne ich mich dazu, daß Rundfunkpolitik nicht abscheiden darf. Sie darf weder Privaten noch Öffentlich-rechtliche zu stark reglementieren.

Es geht immerhin um sechs Milliarden Euro Gebühren jährlich. Da möchten Zuschauer schon gern genauer wissen, wofür sie zahlen. aber die Politik gibt ihnen keine Antwort.

Die Antwort gibt es, und sie steht auch jetzt in dem Schreiben an Brüssel. Wir geben Ermächtigungen, keine Verpflichtungen. Das ist ein Unterschied. Wir sagen: Ihr habt einen Spielraum, macht was draus. Der gesteckte Rahmen steht in den Selbstverpflichtungen der Sender, die wir nun noch etwas nachtarieren unter den europäischen Voraussetzungen. Dazu kommen Wettbewerbsregeln, die finanziellen Ausstattungen, Jugendschutz. Das sind die Grenzpfähle, innerhalb derer sich die Sender bewegen können.

Warum macht man ARD und ZDF nicht werbefrei, das würde viel Ärger in Brüssel ersparen?

Ich halte es für wahrscheinlich, daß wir dazu kommen. Im Moment ist das allerdings nicht umsetzbar, weil es zu unvertretbaren Gebührensteigerungen führen würde oder zu harten Einschnitten ins Programm. Da ist es schon schwer, diese paar Cent politisch durchzuhalten. Auf der Zeitschiene aber glaube ich, daß wir uns dieser Trennung von gebührenfinanziertem und werbefinanziertem Rundfunk annähern. Ausdrücklich ausnehmen würde ich das Sponsoring in bestimmten Bereichen wie dem Sport. Ich bin leidenschaftlich dafür, daß die Öffentlich-rechtlichen hier ein Korrektiv bilden können. Im Moment überziehen sie ein bißchen was Sportrechte angeht, aber sie müssen mitbieten können in diesem Markt, wo es höchste Interessen gibt, möglichst viel Sport im Bezahlfernsehen zu haben. Wo bleiben dann die Zuschauer. Auch deshalb müssen wir gleiche Gewichte auf beiden Wagschalen des dualen Systems haben.