Das GANZE Werk - Presseschau

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.05.2005

Verfassungsbeschwerde - Neue Fronten zwischen Ländern,
ARD-Sendern und ZDF brechen auf

ARD will auf höhere Gebühren klagen

Gruber (ARD): "Das jüngste Verfahren der Gebührenfestsetzung weist Defizite auf, die wir so nicht hinnehmen können."
 
Schächter (ZDF): "Ich ziehe eine politische Lösung mit dem Blick nach vorn, der Brüssel einbezieht, einem langwierigen juristischen Verfahren vor."
 
Michael Hanfeld (FAZ): "Stärken wird das Verfahren die Position des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sicherlich nicht"

Von Michael Hanfeld

Grund zur Klage:
Thomas Gruber
31. Mai 2005 Die ARD macht mit ihrer Drohung ernst: Am 14. Juni werden die Intendanten bei ihrem Treffen in Bremen offiziell beschließen, gegen die jüngste Gebührenerhöhung in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde einzulegen. Das ZDF hingegen verzichtet ausdrücklich auf eine Klage und setzt auf eine politische Lösung, wie der Intendant Markus Schächter erklärte.

Sein Kollege, der ARD-Vorsitzende Thomas Gruber, sagte unterdessen im Gespräch mit dieser Zeitung, daß der Senderverbund eine politische Lösung zwar auch für wünschenswert halte, aber nicht an eine solche glaube. "Einen förmlichen Beschluß gibt es noch nicht", sagte Gruber. "Aber so wie ich die Dinge einschätze, werden wir zu einer Entscheidung kommen, die da lautet, daß wir in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde einreichen müssen, weil aus unserer Sicht das jüngste Verfahren der Gebührenfestsetzung Defizite aufweist, die wir so nicht ohne weiteres hinnehmen können."

Kommen und Gehen

Von diesen widerstreitenden Positionen erfuhr der bayerische Ministerpräsient Edmund Stoiber am Dienstag als erster. In München war es ein einziges Kommen und Gehen der Medienpolitik: Zunächst bekam Stoiber gegen zwölf Besuch von ARD-Chef Gruber, eine Stunde später wurde der ZDF-Intendant Schächter vorstellig, für 17.30 Uhr waren die beiden Kontrahenten dann selbst miteinander verabredet, um, wie es die Tagesordnung vorsah, über vier Punkte zu reden: die Sportagentur Sport A, die WM-Gala, die Bundestagswahl 2005 und - last but not least - "Karlsruhe".

Hatten die Intendanten am Montag abend noch gemeinsam mit Stoiber auf einen symbolischen roten Knopf gedrückt, um in Bayern das digitale terrestrische Fernsehen zu starten, war es dienstags mit den Gemeinsamkeiten schnell vorbei. In einem noch am Tag selbst abgeschickten Telefax erläuterte der ZDF-Intendant Schächter seinem Kollegen Gruber, warum er "derzeit von einem Gang nach Karlsruhe absehen möchte". Zwar bestehe aus juristischer Sicht Konsens darüber, daß die jüngste Gebührenerhöhung dem Verfahren nach "eine Verletzung von Grundsätzen darstellt", die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt habe.

Gebühr per Verordnung

Entscheidend aber sei, "daß der Weg nach Karlsruhe als ultima ratio nur dann beschritten werden sollte, wenn das mit ihm verfolgte Ziel nicht auf andere, schonendere Weise erreicht werden kann". Ein solches Verfahren glaubt Schächter zu kennen: Er schlägt vor, daß die Rundfunkgebühr nicht mehr per Staatsvertrag, den sämtliche Länder ratifizieren, festgelegt wird, sondern per Verordnung. Ein solches Verfahren wiederum könnten die Länder in einem Staatsvertrag vereinbaren und dann der Gebührenkommission Kef genauere Vorgaben für die Festlegung der Gebühr machen.

Die Entscheidung der Kef hätten die Länder sodann verbindlich zu befolgen. Auf diese Weise, meint Schächter, werde das Kef-Verfahren verändert, gestärkt, staatsfern und auch den Anforderungen des euorpäischen Beihilferechts gemäß gestaltet. "Ein Streit vor Gericht", erklärte Schächter, "ist nicht zwingend, solange Spielraum für Alternativen besteht. Ich ziehe eine politische Lösung mit dem Blick nach vorn, der Brüssel einbezieht, einem langwierigen juristischen Verfahren vor." In der "dringenden Sorge", so Schächter weiter, "daß über einen Verfassungsstreit das öffentlich-rechtliche System insgesamt Schaden nehmen könnte, appelliere ich an die Länder, mit Blick auf das gemeinsame Ziel tätig zu werden."

Enttäuscht über die "Rache"

Die Länder allerdings sind nicht amüsiert - über die ARD. Haben sie gemeinsam mit den Sendern doch gerade erst Stellung bezogen zur Anfrage der EU-Kommission nach Auftrag und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Nötig geworden war dies nach Beschwerden des Privatsenderverbands VPRT und des Abo-Senders Premiere gegen das Geschäftsgebaren der Öffentlich-Rechtlichen. In diesem Verfahren haben die Länder das Hohelied auf ARD und ZDF gesungen, in der stillschweigenden Hoffnung, daß diese sich nicht mit einer Klage in Karlsruhe für die niedriger als von den Sendern gewünscht ausgefallene Gebührenerhöhung "rächen" würden.

Die Länder hatten festgelegt, daß die Rundfunkgebühren zum 1. April um 88 Cent pro Monat auf 17,03 Euro steigen, die Gebührenkommission Kef hatte vorgeschlagen, die Gebühr um 1,07 Euro pro Monat zu erhöhen, ursprünglich gefordert hatten ARD und ZDF eine Erhöhung um 2,01 Euro. Die Länder jedoch hatten mit Verweis auf die soziale Verträglichkeit der Gebühr die Erhöhung gedeckelt. Und damit, so der Standpunkt der ARD, die "Staatsferne" der Gebührenfestlegung gesprengt.

"Eine Fehlkalkulation"

Wenn es zutreffe, daß die ARD nach Karlsruhe wolle, sagte der Leiter der Mainzer Staatskanzlei, Martin Stadelmaier, hielte er dies "für unklug und für eine Fehlkalkulation der Lage, in der sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten befinden. Der Staatsvertrag ist verfassungskonform, ich bin zuversichtlich, daß er in Karlsruhe Bestand hat." Positiv, so Stadelmaier weiter, sehe er hingegen die Haltung des ZDF.

"Uns kann diese Riesendummheit der ARD nur recht sein", sagte der Präsident des Privatsenderverbands VPRT, Jürgen Doetz. Die sechzehn Ministerpräsidenten, die eben noch in Brüssel für die Öffentlich-Rechtlichen eingetreten seien, müßten sich nun verschaukelt vorkommen. Zudem sei unsicher, ob Karlsruhe im Sinne der ARD entscheide: "Das kann sich noch als Eigentor erweisen." Schließlich gelte es, Auftrag und Umfang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks heute, im digitalen Zeitalter des Jahres 2005 zu bestimmen - und nicht zu den Bedingungen der achtziger und neunziger Jahre.

Unziemlicher Einfluß der Politik

Seitens der ARD heißt es, es gehe nicht darum, verlorene Gebührenmillionen hereinzuholen - dagegen spreche allein die zu erwartende Dauer des Verfahrens. Es sei vielmehr angezeigt, den unziemlichen Einfluß der Politik auf die Höhe der Gebühr juristisch zu klären. Mit dieser Haltung haben sich vor allem die Intendanten der großen Sender NDR und SWR, Jobst Plog und Peter Voß, durchgesetzt.

Der ARD-Vorsitzende und BR-Intendant Gruber gilt persönlich nicht als Befürworter der Verfassungsklage, doch hat die Stimme der Großen, zu denen sich der mächtige WDR gesellte, allein deshalb Überzeugungskraft bei den kleineren Sendern, weil diese auf vielfältige Weise abhängig sind, sei es durch den ARD-internen Finanzausgleich oder durch ein Mehr, das die großen Sender für das gemeinsame erste Programm leisten.

Ein Ärgernis für die Zuschauer

Für die Gebührenzahler, Zuschauer, Zuhörer und - vom 1. Januar 2007 an - Internetnutzer wird die Klage in Karlsruhe jenseits des juristischen Grundsatzstreits ein Ärgernis sein, krankt das jetzige Finanzierungssystem, das ARD und ZDF mit sieben Milliarden Euro aus Gebühren und rund 8,5 Milliarden Euro pro Jahr insgesamt reicher macht als alle anderen öffentlichen Sender der Welt, doch daran, daß es einen Fall vollkommen ausschließt: daß die Gebühr nicht erhöht oder sogar gesenkt wird.

Es ist eine Art sanktionierter Selbstbedienung: Die Sender melden ihren sogenannten "Finanzbedarf" an, die Gebührenkommission Kef begutachtet die Anmeldung und fällt eine Entscheidung, welcher die Länder - als Träger der Anstalten - zustimmen sollen. Somit sind die Möglichkeiten des Souveräns, in dessen Auftrag ARD und ZDF senden, begrenzt bis nahe Null.

Davon abgesehen ist die Frage, wie der Zerfall des eben noch solide erscheinenden Bündnisses zwischen den Ländern und den Sendern im Streit mit der EU in Brüssel gewertet wird. Stärken wird es die Position des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sicherlich nicht. Und für das Bundesverfassungsgericht dürfte bei der Annahme der Verfassungsbeschwerde auch zu berücksichtigen sein, daß das ZDF die Dinge ganz anders beurteilt als die ARD, die meint, sie müsse mit ihrer Klage schnell handeln, um die notwendige unmittelbare Betroffenheit in ihren Rechten darzulegen. Die Länder, heißt es in ARD-Kreisen auch mit Blick auf den begonnenen Bundestagswahlkampf, hätten gar keine Zeit und Gelegenheit, mit den Sendern über eine "Heilung" des Gebührenverfahrens zu verhandeln.

Jetzt also bekommt die ARD den Grundsatzstreit, den manche wollten, die, wenn die Entscheidung fällt, in ihren Ämtern längst nicht mehr sind. Auch so kann man Nachlaß verwalten.

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