Das GANZE Werk - Presseschau

Frankfurter Rundschau, 2. Juni 2005

Die EU hat eine Steilvorlage aus Deutschland erhalten

"Richtig geile Luxusreisen!"

In der ARD-Serie "Marienhof" wurde offenbar jahrelang gesetzeswidrig und trotz warnender Hinweise Schleichwerbung platziert

Von Oliver Gehrs

Schleichwerbung
Seit Sommer 2002 ging epd-Redakteur Volker Lilienthal dem Verdacht auf Schleichwerbung im ARD-Programm nach. 2003 musste er seine Nachforschungen zurückstellen, weil eine involvierte Firma erfolgreich gegen ihn geklagt hatte. Dieses Urteil wurde im Januar 2005 vom OLG München aufgehoben und so die Aufdeckung ermöglicht. Der Skandal beim "Marienhof" ist ein neuerlicher Höhepunkt einer Debatte, bei der bereits das umfängliche Productplacement im Rahmen von "Wetten, daß...?" kritisiert wurde. Für ARD und ZDF könnte es nun eng werden: Sie stehen wegen ihrer umfänglichen Erlösquellen jenseits der Gebührenfinanzierung unter Beobachtung der EU-Kommission. Olg
Früher, als die ARD-Endlos-Serie Marienhof startete, tauchte öfters im Hintergrund eine Litfaßsäule auf - mit den Worten: "Leget die Lüge ab und redet die Wahrheit." Irgendwann war die Mahnung verschwunden.

Statt des Bibelworts kamen andere Botschaften, versteckte. Mal wurde die Sparkasse gelobt, mal ein Billigreiseanbieter mit dem Werbespruch "Nix wie weg" (L'tur), dann wieder klebte das Logo eines Heizungsunternehmens im Hintergrund. Ein Schauspieler trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Florida Boy", ein anderer hatte gleich einen Red-Bull-Automaten im Zimmer, um seinen Durst zu löschen. Und so mancher der durchschnittlich fast drei Millionen Zuschauer, schrieb im Internetforum der Serie ganz zaghaft das Wort "Schleichwerbung" in seine Mail.

Drehbücher umgeschrieben

Nun darf man es auch ganz laut sagen. Der Grund: Der Evangelische Pressedienst (epd) berichtete gestern, dass im Marienhof jahrelang systematisch und rechtswidrig Schleichwerbung betrieben worden sei. Der Rundfunkstaatsvertrag sei verletzt, selbst Drehbücher seien für Kunden umgeschrieben worden.

Das Resultat der Veröffentlichung waren hektische Telefonate innerhalb der ARD und kurzfristig anberaumte Krisensitzungen, schließlich prüft die EU gerade, inwieweit die mannigfachen kommerziellen Tätigkeiten von ARD und ZDF und das offenbar grenzenlose Dazuverdienen neben dem Einstreichen von Milliarden an Gebührengeld überhaupt im Einklang mit EU-Recht stehen. In Brüssel sieht man bereits die legalen Werbegeschäfte kritisch.

Nun hat die EU eine Steilvorlage aus Deutschland erhalten, denn die Vorwürfe des nicht eben zur Skandalisierung neigenden epd wiegen schwer: Zehn Jahre lang seien verborgene Werbebotschaften im Programm versteckt.

Gleich zwei im Besitz des Ex-Schauspielers Andreas Schnoor befindliche Firmen (H.+S., Kultur und Werbung) hätten für die den Marienhof produzierende ARD-Firma Bavaria Kunden akquiriert. So sei im Marienhof zum Beispiel für Vodafone, den Kinoverleiher UIP und ein Reisebüro geworben worden, das genauso aussah wie eine Filiale des Last-minute-Spezialisten L'tur. Auch dessen Claim "Nichts wie weg" sei ins Drehbuch übernommen worden, zudem durfte ein Schauspieler von "richtig geilen Luxusreisen für total wenig Geld" schwärmen. "Mit Vollpension, Flug und allem drum und dran."

Tatsächlich habe L'tur für die Schleichwerbung bezahlt, berichtet epd. Und noch schlimmer: Nicht nur im Marienhof, auch in der von der ARD-Tochter Saxonia hergestellten Ärzteserie In aller Freundschaft sei von 2002 bis 2003 in mindestens neun Fällen bezahlte Pharmawerbung in die Handlung eingewoben worden. Pro Folge habe die Vermittlungsgagentur 30 000 Euro verlangt, damit Krankheiten wie das "Fatigue Syndrom" oder "Morbus Fabry" samt entsprechenden Medikamenten im Bewusstsein der Zuschauer landen.

Während Bavaria-Geschäftsführer Thilo Kleine entsprechende Vorfälle bezüglich des Marienhof einräumte, reagierte die ARD vorsichtshalber alarmiert. Reinhard Grätz, Vorsitzender des WDR-Rundfunkrats und Mitglied des Bavaria-Aufsichtsrats, kündigte eine Sonderprüfung an. Seltsam aber, dass es eine Sonderprüfung bis heute nicht gegeben hat, denn der verantwortliche epd-Redakteur Volker Lilientahl war bereits seit Jahren an dem Thema dran - zumindest bei der Bavaria muss man von seinen Recherchen gewusst haben.

Denn schon im Mai 2003 war Lilienthal undercover bei der Firma H.+S., die die Schleichwerbung akquirierte, vorstellig geworden und hatte sich dort an Productplacement für Turnschuhe interessiert gezeigt. Nach einem eindeutigen Angebot hatte Lilienthal den damaligen Produzenten des Marienhof auf den offensichtlichen Gesetzesbruch angesprochen.

Das Ergebnis war aber offensichtlich nicht der Abbruch der Beziehungen zwischen der Bavaria und der dubiosen Firma, sondern ein Klage von H.+S. gegen Lilienthal, dem das Landgericht München die weitere Recherche verbot - er durfte nicht einmal mehr Informationen verwenden, die er längst hatte. Auch ein versteckt aufgenommenes Video, auf dem eine H.+S.-Mitarbeiterin erklärt, wie Drehbuchschreiber instruiert werden müssen, damit die Botschaften zum Zuschauer gelangen, musste in der Schublade verschwinden.

Auch in der Folgezeit, in der der Rechtsstreit schwelte, sah die mehrheitlich der ARD gehörende Bavaria keinen Grund, die Beziehungen zu den Firmen H.+S. und Kultur und Werbung abzubrechen - trotz der Hinweise Lilienthals. Und obwohl etwa die Firma Kultur und Werbung auf ihrer Homepage ganz unverblümt für "Kommunikationsinstrumente" wie "Product Placement" und "Themenplacement" wirbt.

Dass Lilientahl die peinliche Affäre doch noch enthüllen konnte, ist einer Entsscheidung des Oberlandesgerichts München zu verdanken, die das Urteil des Landgerichts aufhob und das Lilienthals Anwalt als "Musterurteil zum investigativen Journalismus" lobt.

"Schleichwerbung ist Gift und Galle", hatte der ARD-Programmdirektor Günter Struve vor kurzem getönt, "wenn man sie findet, muss man sie bekämpfen". Zumindest bei der ARD-Tochter Bavaria hat sich allen Anschein nach niemand um die Bekämpfung kümmern wollen.

Lesen Sie zu den Enthüllungen von epd medien:

• "Marienhof"-Skandal
ARD sieht sich als "Opfer"
Politiker fordern stärkere Kontrollen bei ARD und ZDF
Focus Online, 4. Juni 2005

• Grietje Bettin von Bündnis90/Die Grünen: "Super-Gau für die ARD"
Heftige Kritik an der ARD wegen Schleichwerbung in der Serie "Marienhof"
Medienpolitiker fordern Transparenz im Beziehungsgeflecht der öffentlich-rechtlichen Sender
Berliner Zeitung, 3. Juni 2005

• Die EU hat eine Steilvorlage aus Deutschland erhalten
"Richtig geile Luxusreisen!"
In der ARD-Serie "Marienhof" wurde offenbar jahrelang gesetzeswidrig und trotz warnender Hinweise Schleichwerbung platziert
Frankfurter Rundschau, 2. Juni 2005

• Schleichwerbung und Themenwerbung
Jetzt hat die ARD ihr Watergate
Einen solchen Fall von inhaltlicher Korruption dürfte es in der deutschen Medienlandschaft noch nicht gegeben haben
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Juni 2005, von Michael Hanfeld

• Enthüllung von epd medien nach jahrelanger Recherche
Bavaria Film verdiente über Jahre an Schleichwerbung
„Marienhof“ und andere Serien betroffen, ARD „höchst alarmiert“
„Product Placements“ und „Verbal Placements“
epd medien, 1. Juni 2005, von Volker Lilienthal