Das GANZE Werk - Presseschau

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. August 2005

Bitte anschnallen

Ein Goebbels-Zitat im Radio sorgt im RBB für Aufruhr

Von Christian Deutschmann

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Bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate liegen beim Rundfunk Berlin-Brandenburg die Nerven blank. Nachdem zum Jahreswechsel die Kündigung des in Berlin und Umgebung überaus populären Fernsehmoderators Jan Lerch für Furore sorgte, hat nun die Entlassung eines Musikredakteurs beim RBB-Kulturradio zumindest innerbetrieblichen Wirbel ausgelöst.

Die Senderleitung entschloß sich zu diesem Schritt, nachdem jener Redakteur mehreren ARD-Intendanten die Abschrift eines Moderationstextes zukommen ließ, mit dem der Musikchef des Kulturradios, Christian Detig, Ende Mai seine Hörer zu früher Morgenstunde überrascht hatte. Es handelte sich um ein längeres Zitat von Joseph Goebbels. Der einstige Reichspropagandaminister hatte 1936 zur Eröffnung der Rundfunkausstellung wegweisende Worte für einen Rundfunk im Nazireich gefunden und dabei für „Entspannung und Unterhaltung“ plädiert, denen gegenüber „die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht“ fielen. „Das“, so hatte Detig hinzugefügt, „könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant auch unterschreiben, ich übrigens auch.“ Die Einschränkung, die Detig folgen ließ - „Ich laß' es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte anschnallen - Joseph Goebbels“ - fiel als Mittel der Distanzierung denkbar knapp aus.

Daß auf dieser Welle, die sich seit umfangreichen Programmreformen Ende 2003 heftige Kritik gefallen lassen muß, ausgerechnet Goebbels, wenn auch nur im Konjunktiv, als Vordenker heutiger Radiokultur herhalten mußte, brachte viele Redakteure in Harnisch. Und so machte Detigs wohl als flapsiger Gag verstandenes Goebbels-Zitat alsbald in den Redaktionen die Runde, ohne daß es in der Abteilung darüber zur offenen Aussprache kam. Die bewirkte erst das Vorgehen jenes Mannes aus der Musikredaktion, der das Zitat den Intendanten zur Kenntnis brachte. Seine Abschrift verschickte er allerdings ungeschickterweise mit einem fingiertem Absender. Was juristische Folgen geradezu herausfordert. Von einer „aufgewühlten“ Atmosphäre und der Solidarisierung fast aller Kollegen wurde nach der auf die Kündigung folgenden Vollversammlung der Kulturradio-Mitarbeiter am vergangenen Freitag berichtet. Den Musikchef Detig haben wir vergebens um eine Stellungnahme gebeten. Statt seiner meldete sich der Sendersprecher Ulrich Anschütz und sagte, daß das Goebbels-Zitat „möglicherweise nicht besonders glücklich“ gewesen sei. Zu der Kündigung könne man nicht Stellung nehmen, da es um eine Einzelpersonalie gehe.

Also verläuft die Geschichte wie so oft im RBB: Wie im Fall Jan Lerch gibt es mehr Fragen als Antworten. Wieder ist von fehlender Kommunikation zwischen Redaktionen und Senderleitung und überhaupt von „schlechter Stimmung“ im Berliner Haus die Rede. Dazu paßt die gute Laune, die das „Tagesbegleitprogramm“ des Kulturradios unermüdlich verbreitet, wie die Faust aufs Auge. Und auch auf die anscheinend allein seligmachenden Hörerzahlen kann man sich immer weniger berufen. Die sind nämlich gerade wieder einmal gesunken: von 1,4 Prozent auf magere ein beziehungsweise (am Wochenende) 0,9 Prozent.