Das GANZE Werk - Presseschau

Hörzu, Online, 26. August 2005

Ein Insider packt aus: Martin Buchhorn, Regisseur, Produzent und Ex-Fernsehfilmchef, enthüllt, wie die Schleichwerbung bei der ARD intern toleriert wurde

„Macht’s, tragt nur nicht zu dick auf!“

Wir haben das weder Schleichwerbung noch Product Placement genannt, sondern „Kooperation mit Dritten“, denen wir als Tarnung die „nichtkommerziellen Rechte“ an den Filmen verkauften

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Zusammenstellung: Schleichwerbepraktiken Zusammenstellung: Vorwürfe an die ARD

Seit Juni läßt der Skandal um bezahlte Schleichwerbung der ARD keine Ruhe. Produzenten wurden öffentlich an den Pranger gestellt und entlassen, Filme in Windeseile umgeschnitten. Jetzt sagt der einstige Fernsehfilmchef des Saarländischen Rundfunks Martin Buchhorn, daß auch die davon wußten, die die Mißstände in den eigenen Häusern bisher verurteilten.

HÖRZU: Herr Buchhorn, Schleichwerbung ist in Deutschland verboten. Sie haben sie – wie offenbar viele andere auch – trotzdem betrieben. Sie sind ein Krimineller.

Martin Buchhorn: Wenn Sie das so sehen, dann sitzen überall in den öffentlichrechtlichen Sendern, in denen derartige „Etataufbesserungen“ übliche Praxis waren, Kriminelle, von der Redaktion und Produktion über die Direktoren, die Intendanten bis hin zu den Gremien. Die einen haben es getan, und die anderen haben es gewußt und gedeckt. Der Mitwisser wird am Ende zwar zur tragischen Figur. Das ändert juristisch nichts an seiner Mitschuld.

Schleichwerbung moralisch gerechtfertigt, um ein Spitzenprodukt herzustellen

HÖRZU: Warum ist Ihrer Meinung nach Schleichwerbung in Ordnung?

Buchhorn: Für mich ist Schleichwerbung erst einmal nur dann in Ordnung, wenn sie einzig und allein dem Film zugute kommt. Darüber hinaus halte ich Schleichwerbung dann für moralisch gerechtfertigt, wenn ich bei schwindenden Etats und steigenden Kosten nicht mehr weiß, wie ich – bei der mittlerweile großen Konkurrenz – ein Spitzenprodukt herstellen kann. Als wir nur ARD, ZDF und die Dritten hatten, waren wir die Kings. Da mußten uns alle sehen. Dann kamen die Privaten, die mit der Zeit auch in Sachen Film und Unterhaltung von ihrer Qualität her zu einer ernsthaften Konkurrenz wurden. Wir waren plötzlich noch mehr als zuvor zu technisch und optisch besserer Qualität verpflichtet. Mit den Mitteln, die wir damals hatten, ließ sich das bis dahin angebotene Niveau nicht mehr steigern.

HÖRZU: Sie wurden also vom Sender quasi zum Betteln bei Industrie und Wirtschaft genötigt.

Buchhorn: Das kann man sagen, ja. Jedoch haben alle dem gleichen Ziel gedient: fehlendes Geld für Filme aufzutreiben. Uns sind die Vorschriften über die strikte „Trennung von Werbung und Programm“ sehr bewußt. Dennoch: Die Darstellung von „Dingen des täglichen Lebens“ im Fernsehen ist erlaubt, sonst könnte es keine aktuelle Berichterstattung, keine Dokumentarfilme und ähnliches geben. Die Öffentlich-Rechtlichen dürfen aber im Zusammenhang mit Schleichwerbung keine direkten Kontakte zu Wirtschaft und Industrie haben. Daher beschließt man über Agenturen oder Verbände Kooperationen. Diese Agenturen verdienen sehr gut. Die Frage war also: Verzichten wir aus Kostengründen auf einen tollen Stoff, oder finden wir zusätzliche Geldquellen? Wir haben auf diese Weise außerdem geholfen, die Rundfunkgebühren im Rahmen zu halten. Wir haben die Qualität der Filme gesteigert. Und wir haben unsere Zuschauer gehalten. Währenddessen haben die öffentlich-rechtlichen Anstalten seit den 80er Jahren immer häufiger in nicht immer sinnvolle Neubauten und Umstrukturierungsmaßnahmen investiert. Dabei ging dem Programm viel Geld verloren. Und das mußte – wenigstens teilweise – irgendwo anders herkommen. Und da die Fernsehleute in der Regel auch Kinofilme mitproduzieren, sind ihnen die anderen Finanzquellen bekannt gewesen.

Schleichwerbung ist fast überall zu finden, nicht nur im Film- und Unterhaltungsbereich

HÖRZU: Welches Ausmaß hat die Schleichwerbung tatsächlich?

Buchhorn: Inzwischen ist sie fast überall zu finden, nicht nur im Film- und Unterhaltungsbereich. Nur ein paar augenfällige Beispiele: Die Zigarettenindustrie zahlt allein dafür schon Geld, daß in Filmen geraucht wird. Die Zigarrenindustrie zahlt dafür, wenn ein Protagonist Zigarren statt Zigaretten raucht. Die Gasindustrie dafür, daß beispielsweise unser „Tatort“-Kommissar Palu nicht auf einem Elektroherd, sondern auf einem Gasherd gekocht hat. Redaktion, Produzent, Ausstattung, Requisite, Regie, Produktionsleitung haben alle ihre vielfältigen Kontakte über Agenturen und ähnliche Anbieter.

HÖRZU: Können Sie weitere Beispiele nennen?

Buchhorn: Plötzlich steht dann eben eine bestimmte Flasche Bier oder Wein in der Szene. Oder ein Schauspieler nimmt mal eben ein Aspirin, ohne daß es groß auffallen darf. Und kein Kommissar fährt mit einem Auto im Film, das nichts mit geldwerten Vorteilen zu tun hätte. Die Liste der Beispiele ist sehr lang. Und solange es dem Film optisch nicht schadet, Dramaturgie und Inszenierung nicht leiden, ist das meiner Meinung nach auch völlig okay. Aber es müssen alle am gleichen Strang ziehen, sonst wird es plump, und der Zuschauer, den wir nie unterschätzen sollten, ist verärgert.

HÖRZU: Erkennen Sie Schleichwerbung, wenn Sie sonntags einen „Tatort“ sehen?

Buchhorn: Natürlich. Ich sehe überall, wo gezielte Schleichwerbung steckt, weiß, welche Gespräche da mit den Agenturen geführt worden sein müssen und wieviel Geld dafür ungefähr geflossen sein kann. Das ist aber ein weites Feld.

Zählt man die einzelnen Deals zusammen, kommt man zum Teil auf über 100.000 Euro pro Film

HÖRZU: Bei welchen Summen fangen Kooperationen mit der Wirtschaft für gewöhnlich an?

Buchhorn: Im unteren fünfstelligen Bereich. Zählt man die einzelnen Deals zusammen, kommt man zum Teil auf über 100.000 Euro pro Film. Bei Mehrteilern oder Serien summiert sich das. Durch diese Mittel kann ein Regisseur viel opulenter und konkurrenzfähiger arbeiten, letztendlich gewinnt auch die künstlerische Arbeit – der Film an sich.

HÖRZU: Erklären Sie das genauer.

Buchhorn: Der Drehbuchautor schreibt beispielsweise eine Verfolgungsjagd mit Polizeiautos und Hubschrauber und einem anschließenden Unfall ins Skript, inklusive Explosion. Da ist mir sofort klar, daß das etwa 50.000 Euro kosten wird. Man kann es natürlich billiger machen, und das habe ich auch immer erst versucht, solange es dramaturgisch – sprich künstlerisch – vertretbar war. Aber da das Publikum immer mehr an Spezialeffekte aus Hollywood-Filmen und Computerspielen gewöhnt ist, würde die Sparversion unglaublich mickrig aussehen. Eine Geschichte kann noch so gut sein, sie würde unter solchen Mangelerscheinungen entscheidend leiden. Man muß bildlich „aufmotzen“. Das kostet Geld. Und dann macht man sich auf die Suche danach. Ich habe mich im Interesse der Sache da nie gesträubt. Daß das kriminell sein soll, ist für einen vernünftigen Angeklagten nicht einsehbar. Wenn das alles sauber abläuft, kann am Ende nur der Zuschauer gewinnen, weil er einen besseren, schöneren oder spannenderen Film erlebt.

Der Regisseur wirkt in der Regel mit. Und zwar kooperativ. Er sitzt am kürzeren Hebel, will er im Geschäft bleiben.

HÖRZU: Kann sich der Regisseur nicht gegen Schleichwerbung wehren? Immerhin sind die Plazierungen von Produkten im Film doch ein Eingriff in die künstlerische Freiheit.

Buchhorn: Der Regisseur wirkt in der Regel mit. Und zwar kooperativ. Wenn für einen Wein Geld in die Produktionskasse geflossen ist, der Regisseur in der Szene seine Figuren aber Bier trinken sieht, dann wird man zwar kurzfristig versuchen, die gleiche Summe bei der Bierindustrie zu bekommen. Klappt das nicht, muß der Regisseur das machen, was im Drehbuch steht, beispielsweise die Charaktere so ändern, daß sie glaubhaft Wein trinken. Er sitzt am kürzeren Hebel, will er im Geschäft bleiben. Außerdem werden die Regisseure in der Regel durch Provisionen an den Produktplazierungen beteiligt, in Form von Geld und anderen Leistungen, je nachdem. Kameraleute und die Verantwortlichen anderer wichtiger Departments bekommen diese Provisionen auch angeboten, sonst geht’s in die Hose. Wollen zu viele von dem Kuchen abhaben, lohnt sich allerdings die Kooperation nicht mehr, weil zu wenig für den Film übrigbleibt. Dann muß man die Finger davon lassen.

HÖRZU: Über die Jahre hat sich also ein wahres Schleichwerbesystem etablieren können, so daß man fragen muß, wer alles davon wußte.

Buchhorn: Wer behauptet, erst heute sei man darauf gestoßen, der redet Unfug, der muß die letzten 20 Jahre geschlafen haben. Schleichwerbung und Produktplazierungen waren immer wieder Thema in den einzelnen Häusern, in ihren Gremien, in ARD-Koordinationssitzungen und Programmkonferenzen. Allein deswegen, weil der „Tatort“ aus Österreich, wo Schleichwerbung erlaubt ist, ja auch in Deutschland gesendet und gesehen wird. Schleichwerbung war sozusagen Dauertagesordnungspunkt in der ARD. Und unterm Strich stand immer: Macht’s, aber tragt nicht zu dick auf! Es muß nach außen im Griff bleiben. Gleiches gilt für die Programmbeiräte.

Verwaltungsrat und Aufsichtsrat waren über den Intendanten eingebunden. Das war immer meine Rückendeckung.

HÖRZU: Wer hat an solchen Sitzungen teilgenommen?

Buchhorn: Alle haben turnusgemäße Sitzungen: die Fernsehfilmchefs aller ARD-Anstalten, die Unterhaltungschefs, die Fernsehdirektoren, die Intendanten. Und alle berichten in ihrer Hierarchie nach „oben“. Genauso gibt es regelmäßige Sitzungen mit Österreich und der Schweiz. Was meine Filme anging, war jeder Fall mit dem Direktor, dem Intendanten, dem Justitiar und der Geschäftsführung der Produktionstochtergesellschaft abgestimmt. Jede Mark war kontrolliert. Natürlich habe ich auch manchmal den Satz gehört: „Wenn’s hart kommt, ich weiß von nichts!“ Wir haben beim Saarländischen Rundfunk eine Sprachregelung dafür gefunden, die dann auch weitgehend in der ARD übernommen wurde. Wir haben das weder Schleichwerbung noch Product Placement genannt, sondern „Kooperation mit Dritten“, denen wir als Tarnung lediglich die sogenannten „nichtkommerziellen Rechte“ an den jeweiligen Filmen verkauften. Die Aufsichtsgremien Verwaltungsrat und Aufsichtsrat, die kurioserweise mehrheitlich personalidentisch besetzt sind, waren über den Intendanten eingebunden. Das war immer meine Rückendeckung. Auch ein ARD-Programmdirektor Struve weiß das alles. Und wenn auf solchen Ebenen darüber Kenntnis herrscht, ist die Gefahr allerdings relativ gering, daß Geld in private Taschen verschwindet. Denn da hört für mich der Spaß auf.

HÖRZU: Wenn es sogar die Intendanten wußten, warum reagieren die jetzt so empört?

Buchhorn: Heiner Lauterbach und der Regisseur Hartmut Griesmayr beispielsweise haben es ja schon vor ein paar Tagen in Zeitungen angedeutet: Es ist alles eine riesige Heuchelei. Seit Jahren hatten alle mehr oder weniger kalte Füße deswegen und gehofft, daß das Thema nicht den Weg in eine breite Öffentlichkeit findet. Selbst die Programmbeiräte, die Kontrollstationen der ARD-Anstalten also, haben die mit Kooperationen teilfinanzierten Filme durchgewinkt.

ARD und ZDF müssen darauf drängen, daß die Fußangeln aus den Gesetzen verschwinden, die solch zwielichtiges Vorgehen quasi erzwingen

HÖRZU: Welche Konsequenzen sind letztendlich zu ziehen?

Buchhorn: Wir brauchen endlich neue Rundfunkgesetze, wie es sie schon lange in anderen Ländern gibt. Denn wenn ich den Begriff Schleichwerbung ernst nehme, dann darf ich auch keine Sportberichterstattung mehr machen. Zum Beispiel sind bei Fußballspielen die einzelnen Werbebanden, die durch einen Rotationsmechanismus mehrere Firmen nacheinander präsentieren können, mit der Bildregie koordiniert. Die Bildregisseure wissen ganz genau, welche Kamera wann in welche Richtung blickt. Das wird mit der Bandenschaltung synchronisiert. Da wird nichts mehr dem Zufall überlassen. Es spricht nur keiner darüber. So kommen wir in dieser Grauzone jedenfalls nicht mehr weiter. Also: Gebt uns neue Gesetze. Produktionstochterfirmen wie u. a. die Bavaria wurden ja nur gegründet, weil die Öffentlich-Rechtlichen durch das Rundfunkgesetz dazu verdammt sind, keine Gewinne machen zu dürfen. Also wird die privatwirtschaftlich organisierte Bavaria GmbH von ARD-Anstalten mit Filmproduktionen beauftragt und macht Gewinne. Zum Jahresende werden diese Gewinne als Spende an die Mütter wieder abgeführt. ARD und ZDF müssen darauf drängen, daß die Fußangeln aus den Gesetzen verschwinden, die solch zwielichtiges Vorgehen quasi erzwingen.

HÖRZU: Was spricht gegen die Gesetzesänderungen?

Buchhorn: Aus meiner Sicht nichts. Parallel dazu muß ein Kontrollsystem entstehen, das gewährleistet, daß diese Gelder tatsächlich in die Produktion und damit in das Programm fließen.

HÖRZU: Den Privatsendern und dem Publikum wäre das sicher nicht genug...

Buchhorn: Ja, ja, die Rundfunkgebühren. ARD und ZDF müßten sich nach genauer Kalkulation dieser zusätzlichen Einnahmen bereit erklären, die Gebühren im Gegenzug entsprechend neu zu berechnen. Wenn das Gesetz so bleibt, wird es auch die Schleichwerbung weiterhin geben. Wer einmal schleicht, findet immer neue Schleichwege.

Der Begriff der Staatsferne des Rundfunks ist ein großer Bluff

HÖRZU: Und die mächtigen Intendanten kommen nicht auf solche Ideen?

Buchhorn: Sicherlich, aber wie wollen sie mit etwas argumentieren, das sie offiziell gar nicht wissen dürfen? Ihr derzeitiges Winden und Wenden spricht doch Bände. Außerdem sitzt denen die Politik im Nacken. Der Begriff der Staatsferne des Rundfunks ist ein großer Bluff. Egal, welche Parteien wo regieren: Alle greifen sie mehr oder weniger subtil ein, und letztendlich haben sie alle Angst, ihren Einfluß auf das Programm zu verlieren. Nur eine Liberalisierung der Rundfunkgesetze würde den politischen Druck nehmen und eine „Staatsferne“ erst ermöglichen.

HÖRZU: Wird der aktuelle Skandal eventuell etwas bewirken?

Buchhorn: In dieser Richtung zunächst noch nichts. Er wird bewirken, daß Intendanten Papiere verfassen, daß man vorsichtiger wird, daß man sich letztendlich neue Wege der Finanzierung von Schleichwerbung sucht. Eine Lösung ist das alles nicht. Helfen kann künftig nur eine kostendeckende stabile und flexible Haushaltssituation der öffentlich-rechtlichen Anstalten, denn nur so werden derartige Grauzonen überflüssig. Und einmal ehrlich: Über die Privaten brauchen wir uns – Gott sei Dank – nun wirklich keine finanziellen Sorgen zu machen.

Interview: Martin Häusler

Veröffentlichung aller Hörzu-Materialien mit freundlicher Genehmigung der Verlagsgeschäftsführung Programmzeitschriften der Axel Springer AG
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