Das GANZE Werk - Presseschau (Dokumentation)

Süddeutsche Zeitung, 22. März 2006

Öffentlich-rechtliches Fernsehen in der Kritik

Aber Gebühren verlangen!

Von Hans-Jürgen Jakobs

„Was bleibt denn da? Ja, was bleibt denn da? Trala-Trala-Trallala“: Volksmusik, Schleichwerbung und Sabine Christiansen. Gerade ist ein Buch über das öffentlich-rechtliche Fernsehen erschienen. Eine bittere Bilanz.

Alles fröhlich, alles bunt - ein Gute-Laune-Fernsehen über Gebühr. (Hier übrigens ein Zucker-Herz in den Händen von Florian Silbereisen, dem Moderator der Sendung ‚Feste der Volksmusik‘.)
Foto: dpa

Als der WDR und der NDR vor einigen Wochen den 50. Geburtstag feierten, fiel der Blick immer wieder zurück in die Zeit nach 1945, als es noch den alten Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) gab und die britische Militärregierung dort den BBC-Journalisten Hugh Carleton Greene als Generaldirektor eingesetzt hatte. Er forderte von den Journalisten Zivilcourage, Aufklärung und Respektlosigkeit den Regierenden gegenüber. Glaubt nie, was die sagen!, verkündete Greene, der sich vehement - letztlich aber erfolglos - gegen den Einzug aktiver Politiker in die Aufsichtsgremien wehrte.

Jürgen Bertram hat die Erinnerung an den kämpferischen Briten an den Anfang seiner öffentlich-rechtlichen Bilanz gestellt, die er plakativ, auch wütend, mit „Mattscheibe: Das Ende der Fernsehkultur“ überschrieben hat. Der Autor fragt sich im Vorwort selbst, ob er das denn dürfe, auf vielen Seiten jene ARD zu kritisieren, der er so viel zu verdanken habe: fast anderthalb Jahrzehnte Korrespondenten-Leben in Asien oder fünf Jahre Leitung der Abteilung Zeitgeschehen im NDR (1995-2000). Schon damals, nach der Rückkehr aus Asien, habe ihn „die inhaltliche Erosion des Programms wie ein Schock getroffen“, schreibt der bekannte Reporter. Das öffentliche Interesse an einem Dossier über die Fehlentwicklungen wiege seiner Meinung nach schwerer als persönliche Skrupel, findet Bertram, der seit dem Jahr 2000 pensioniert ist.

Viele langjährige ARD-Journalisten hat es nach dem Ausstieg zur publizistischen Rückschau getrieben: Report-Macher Hans Moser zum Beispiel oder Heinz Burghardt, einst Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks. Die Selbstentblößung war immer auch Entblößung eines brüchigen Systems, die Analyse zugleich Anamnese. Das Krankheitsbild zeigt Symptome von Quoten-Wahn und Politiker-Hybris. Viele Kollegen hätten ihn zu diesem Buch ermuntert, sagt Bertram. Er arbeitet zunächst die siebziger Jahre auf. Damals war Bertram vom Spiegel zum NDR gestoßen. Dort stört er sich schnell an der „Magie der Mattscheibe“, wie er das nennt, am Drang aller, ja auf den Bildschirm zu kommen. Auch kritisiert er, dass sich Parteipolitiker nach Beiträgen prompt melden sowie Linke und Rechte Freundeskreise einrichten. Besonders beschäftigen ihn noch heute die Verhältnisse im Magazin Panorama, das er in der Hand von schicken Revoluzzern, Maoisten und ideologischen Rechthabern sah. In diesem System hätten die „Scheißliberalen“ keine Chance gehabt.

Amüsant sind Bertrams eigene Geschichten, zum Beispiel, als beim China-Besuch des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß die Kamera des Korrespondenten vom roten NDR aussetzt und der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks nur „Boykott“ murmelt. Als Bertram später in Peking ein Interview mit Strauß machen wollte und sagte, das sei für den BR, witzelte der Politiker: „Für den Bayerischen Rundfunk? Das ist gut. Der gehört mir ja.“ Vor China-Reisen hätten Referenten der Politiker auf Platzierung in der 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau gepocht, so Bertram: „Den größten Druck übt in dieser Hinsicht Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher aus.“

Ökonomischer Lobbyismus und politischer Druck - das sieht der Autor überall in seiner kritischen TV-Bilanz. Sie hätten dafür gesorgt, „dass die durch innere Erosion längst brüchig gewordene Festung öffentlich-rechtlicher Rundfunk spätestens Anfang der achtziger Jahr ‚sturmreif‘ ist.“ Dann kommen die Privaten. Dann passt sich die ARD an. Dann verfilmt sie Konsalik.

Den Verfall beschreibt Bertram auf mehreren Feldern, zum Beispiel auf jenem des Sports, wo der NDR-Journalist schon 1974 von den Fußballgewaltigen keine Unterstützung bekommt für ein kritisches Porträt der Weltmeisterspieler von 1954. Auf Hilfe von Kollegen aus den Fachredaktionen hätte er nicht bauen können, so Bertram, sie seien als Talkmaster für Adidas im Einsatz gewesen. Als er dann zum 50. Jahrestag des WM-Siegs ein kritisches Buch über die Helden von Bern schreibt, wird er vom SWR aus einer Talkshow wieder ausgeladen - mit der Begründung, es sollte doch eine harmonische Runde werden. Es ist eine Welt, in der der WDR dem Klub Schalke04 zum hundertsten Geburtstag eine zehnstündige Sendung spendiert und kritische Sportmagazine wie Sport drei extra (NDR), Sportspiegel (ZDF) oder Sport unter der Lupe (SWR) längst gestrichen sind. Er habe bei den Übertragungen von den Olympischen Spielen aus Athen den Ton abgedreht, sagt der früheren NDR-Sportchef Manfred Blödorn.

Autor Bertram sammelt solche Zeugen des Niedergangs. Zeugen wie Martin Wiebel, früher WDR-Dramaturg und heute Dozent an der Ludwigsburger Filmakademie. Er spricht von der „Rutsche des Marktes“, wenn er all die stromlinienförmigen Filme im Abendprogramm bewerten soll. Die ARD brachte es am 16. Juli 2005 fertig, zum 20. Todestag von Heinrich Böll die Romanverfilmung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ morgens um 1.10 Uhr zu senden. Bertrams Buch handelt auch von der verlorenen Ehre der ARD, die in Hessen die einschlägig bekannte Lilo Wanders in „Lilos Leselust“ Buchtipps geben lässt, wichtige Planstellen abschafft, viel Volksmusik bietet, Schleichwerbung für Firmen machte, Afrika-Themen für wenig attraktiv hält, in Royalty-Berichten dauernd Krönchen präsentiert und stolz ist auf den Sonntagstalk von Sabine Christiansen, der in Wirklichkeit der „Abschied vom Journalismus“ sei, wie Wilhelm von Sternburg findet, einst Chefredakteur des Hessischen Rundfunks.

Im SWR wiederum fiel der einstige Auslandschef Immo Vogel auf, der während des Irak-Kriegs auf Distanz zu George W. Bush ging. „Plötzlich wurde mir von der Leitung des Hauses erklärt, dass ich mit meiner Art der Kommentierung in der ARD nicht mehr durchsetzbar sei und ab sofort durch einen anderen Moderator abgelöst werde“, offenbart Vogel. Die Hamburger Filmemacherin Heike Mundzeck erzählt, ein Porträt der Politikerin Regine Hildebrandt habe nach ihrem Tod monatelang dagelegen, weil es in die falsche Jahreszeit fiel. „Im Frühling sprießen die Blumen, da wollen die Leute was Fröhliches sehen“, habe der Redaktionsleiter gesagt.

Alles fröhlich, alles bunt - ein Gute-Laune-Fernsehen über Gebühr. Für den langjährigen Asien-Korrespondenten Bertram waren die Recherchen für sein Buch erkennbar eine Reise auf einen unbekannten Kontinent. Diese Medienwelt versteht er nicht, und seine ARD ist es auch nicht mehr. Und so zitiert er - zornig, resignativ - ein Spottgedicht von Alice Ekert-Rotholz in der Weltbühne von 1931 über den Rundfunk: „Was bleibt denn da, ja was bleibt denn da: Das Tral, das Trala, das Trallala.“

JÜRGEN BERTRAM: Mattscheibe. Das Ende der Fernsehkultur. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2006. 240 Seiten, 8,95 Euro.