Das GANZE Werk - Presseschau

Der Autor Axel Brüggemann beschreibt in dem ersten Teil, dass die Klassik in Deutschland wieder auf größeres Interesse stößt. In dem zweiten Teil, der hauptsächlich die Praxis des Marktführers Universal darstellt, tauchen die Namen vieler Stars auf, die von NDR Kultur bevorzugt gesendet werden.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10. September 2006

Von Axel Brüggemann, vorgestellt von Dagmar von Kries und Theodor Clostermann

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In dem „Ist die Krise der Klassik vorbei?“ überschriebenen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 10. September 2006 stellt Axel Brüggemann fest, dass kürzlich errichtete oder geplante Festspielhäuser in Deutschland beweisen, dass das Klassik-Publikum zurückkehre.

Deutschlands Opern- und Konzerthäuser feiern eine Klassik-Renaissance. Neue Philharmonien in Düsseldorf und Essen, der Erfolg des Festspielhauses in Baden-Baden und die geplante Eibphilharmonie in Hamburg beweisen: das Klassik-Publikum kehrt zurück.

Der Markt in Bezug auf den Verkauf von CD's habe sich zwar grundlegend verändert; trotz spektakulärer Fusionen von weltweit agierenden Firmen, damit verbundenen Entlassungen und Verkleinerungen des Repertoires zeichne sich das Ende der Krise ab.

Während die Live-Klassik Erfolge feiert, hat sich der Verkauf von CDs in den vergangenen zehn Jahren halbiert, ist von zwanzig Millionen Alben auf zehn Millionen gesunken. (...) Die Umbrüche waren gigantisch: Fusionen, Übernahmekriege und Auflösungen haben den Markt grundlegend verändert. (...) Multikonzerne wie EMI, BMG, Warner und Universal verdienen ihr Geld im Rock-, Pop- oder Filmgeschäft. Gegen die Einnahmen einer Madonna-Platte oder die Gewinne eines James-Bond-Films sind die stabilen, aber verhältnismäßig kleinen Gewinne des Klassikmarktes marginal - trotz großer Gewinnmargen. Das Klassik-Segment wurde im Schatten finanzstärkerer Interessen fast beiläufig zerschlagen. (...) Aber, so absurd es klingen mag: jetzt zeichnet sich das Ende der jahrelang beschworenen Klassik-Krise in diesen neuen Strukturen ab.

Axel Brüggemann arbeitet für den Klassik-Markt zwei Besonderheiten heraus: Erstens hat Deutschland in dem von ihm beschriebenen Trend eine Vorreiterrolle, zweitens nutzen große Künstler diese Situation aus, um gegebenenfalls auch mithilfe von kleinen Labels ordentliche Werbung, gute Abendgagen und beste Aufnahmen zu erreichen.

Das Grundproblem ist das Spannungsfeld zwischen dem globalen und dem internationalen Markt. Während in Deutschland eine neue Begeisterung für Live-Klassik zu spüren ist und Plattenfirmen versuchen, den Schwung der Opern- und Konzerthäuser für ernsthafte Projekte zu nutzen, beharrt die internationale Labelpolitik noch immer auf Crossovers, die sich besonders auf dem britischen und dem US-Markt rechnen.

Die Musiker haben begriffen, daß die Krise neue Regeln fordert. Kent Nagano oder René Jacobs dirigieren nicht für die Majors, sondern für den exquisiten Verlag Harmonia Mundi. Vom Plattenmarkt, der ihnen einst Millionen gebracht hat, werden nur noch zwei Dinge erwartet: ordendiche PR, die sich auf die Abendgagen auswirkt, und exzellente Aufnahmebedingungen.

Die neue Praxis des Marktführers Universal (Deutsche Grammophon und Decca)

Am Beispiel des Global Players Universal, der sich „immer zur Klassik-Sparte bekannt“ hat, wird gezeigt, dass es durchaus gelingt, Exklusivkünstler wie Christian Thielemann, Claudio Abbado, Pierre Boulez, Mikhail Pletnev, Maurizio Pollini, Krystian Zimerman, Alfred Brendel u. a. zu betreuen und gleichzeitig mit seiner „Allmacht des Marktführers“ Künstlerentdeckungen anderer Labels wie Simon Rattle und Rolando Villazón zu verpflichten.

Als einziger Global Player hat sich Universal immer zur Klassik-Sparte bekannt und seine Marken, die Deutsche Grammophon und Decca, kontinuierlich gepflegt. So ist das Unternehmen zu einem fast gefährlichen Monopolisten in Sachen klassischer Musik gewachsen; Universal hat seine Marktmacht in dieser Woche erneut unter Beweis gestellt, als Universals Mutterfirma Vivendi den Musikverlag BMG Music Publishing übernahm. Dem gehören nicht nur die Rechte an Popsongs, sondern auch an Klassik-Titeln des Ricordi-Verlages, der unter anderem an Verdi und Puccini verdient. Universal betreut mehr Exklusivkünsder als alle anderen Labels zusammen (...). Ein fast unüberschaubares Superstar-Geflecht, in dem die einst von Sony aufgebaute Hilary Hahn plötzlich im Schatten von Anne Sophie Mutter geigt und die von Warner geförderte Hélène Grimaud unter dem gelben Label hinter Lang Lang spielt. Mit seiner Marktmacht kann Universal es sich sogar leisten, in fremden Gefilden zu wildern. (...) Als Universal vor einiger Zeit ankündigte, Rolando Villazón an die Seite von Anna Netrebko zu verpflichten, den Tenor also, der eigentlich eine Entdeckung des EMI-Labels Virgin ist, zeigte sich die Allmacht des Marktführers.

Universals „Yellow Lounge“ im Berliner Club 103 Foto: Matthias Lüdecke

Jüngere Vertreter des Klassik-Geschäftes wie z. B. der Jazz-Experte Christian Kellersmann der Klassik-Abteilung von Universal Deutschland - denn auch dort findet ein Generationswechsel statt - haben begriffen, dass die junge Generation für Musik begeistert werden muss. Seine Idee von einer Klassik-Disko, der „Yellow Lounge“ habe sich trotz heftiger anfänglicher Kritik zu einer festen Größe durchgesetzt.

Der Generationenwechsel im Klassik-Geschäft hat begonnen. Als Christian Kellersmann vor fünf Jahren als Jazz-Experte die Klassik-Abteilung von Universal Deutschland übernahm, wurde er belächelt. (...) Kellersmanns Idee einer Klassik-Disko, der „Yellow Lounge“, wurde hart kritisiert - und hat sich inzwischen als feste Größe im Berliner Party-Leben etabliert. „Die Klassik kann sich nicht gemütlich einrichten“, sagt Kellersmann, „wir müssen auch die junge Generation für Musik begeistern - und dafür brauchen wir neue Formen der Kommunikatton.“

Nach Kellersmanns Einschätzung sei es für diese Hinwendung zu den Jüngeren erforderlich, neue Stars zu präsentieren.

Neue Stars sollen die Verjüngung vorantreiben. (...) Die sogenannten „Back-Kataloge“ mit Maria Callas, Fritz Wunderlich und Herbert von Karajan subventionieren die Arbeit der lebenden Künstler, von denen man sich wiederum Renditen in der Zukunft erhofft. (...) Der Deutsche-Grammophon-Chef Michael Lang beschwor schon vor Jahren die Devise: „Es muß in Zukunft darum gehen, nationale Stars zu generieren und sie langsam auf den internationalen Markt zu bringen.“ Sony BMG Deutschland hat endlich den Pianisten Martin Stadtfeld und die Geigerin Baiba Skride in die Klassik-Charts gebracht und setzt jetzt auf die Sängerin Anja Härteres und den Tenor Simon Keenlyside. Der Deutschen Grammophon ist ähnliches mit dem Oboisten Albrecht Mayer gelungen, und die EMI wird Mayers Pultnachbarn bei den Berliner Philharmonikern, Christoph Hartmann, unter Vertrag nehmen. So werden auf dem lokalen Markt internationale Impulse gesetzt.

Letztlich ist auch eine Sängerin wie Anna Netrebko Produkt des deutschen Marketings von Universal. „Wir brauchen diese Stars, wenn wir die Klassik insgesamt ins Gespräch bringen wollen“, sagt Kellersmann.