Das GANZE Werk - Presseschau

epd medien Nr. 78, 3. Oktober 2007 (Ausschnitte)

„Die Leute sind nicht so verblödet“

Ein epd-Interview mit dem Ö1-Programmchef Alfred Treiber

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epd (Fritz Wolf): Vor 40 Jahren startete Ö1. Wenn Sie jetzt eine vorläufige Bilanz ziehen - was sehen Sie als die größte Errungenschaft?

Alfred Treiber: Die größte Errungenschaft war, da bin ich mir ziemlich sicher, wie sich die Einstellung der Mitarbeiter gewandelt hat. (...) Heute, und da kann ich für ziemlich alle Mitarbeiter sprechen, sind wir der Meinung, dass das Publikum das Recht hat, das (...) adäquate und gewünschte Programm zu bekommen. Wir haben uns sehr angestrengt, Medienforschung betrieben, an der Feinjustierung der Schemata gearbeitet, um immer näher an unser doch sehr spezielles Publikum heranzukommen.

Wie untersuchen Sie, was die Zuhörer von den Sendungen von Ö1 halten?

Wir haben eine ständige Medienforschung. Und alle drei Jahre testen wir im sogenannten Radiotagebuch den Erfolg von Sendungen, auch mit Schulnoten und mit Zuhördauer, über drei Wochen hindurch. Das Publikum wird gefragt: Was haben Sie gehört? Wie haben Sie es gehört? Unter welchen Umständen? Und wie würden Sie es benoten? Das ist für uns als Ergänzung zu den Reichweiten eine sehr gute Sache, nicht nur eine quantitative, sondern eine qualitative Untersuchung.

Ihr Publikum teilt sich in drei große Gruppen: Radiohörer, die vor allem Information suchen, dann die Musikhörer und schließlich diejenigen, die sich für das kulturelle Wortprogramm interessieren. Wie balancieren Sie das aus?

(...) Es sind einige wichtige Dinge zu beachten. Der Rhythmus muss stimmen. Ich brauche einen Rhythmus von Wort und Musik, ich brauche einen Rhythmus zwischen Spannung und Entspannung, zwischen anstrengendem und leicht konsumierbarem Programm. Und ich brauche die passende Mischung von Sendungen. (...)

Andere Kultursender bauen ihr Programmschema oft mit großflächigen Programmstrecken. In Ö1 findet man eher kleinteilige Formen. Welche Überlegung steckt dahinter?

Wir haben das für uns auch ausprobiert und sind wieder davon abgekommen. Lange Programmstrecken bieten zu wenig Abwechslung. Unsere Hörer sollen durchhören und dabei möglichst viel Abwechslung haben. Das gilt auch für die Musikfarben. Wir sehen uns eher als Zug mit vielen Waggons, die jeweils eine ganz bestimmte Funktion haben. Die Waggons hängen hintereinander, und man weiß, wo der Postwaggon ist und wo der Speisewagen. Das passt besser zu den Gewohnheiten der Hörer. Unsere Morgenstrecke zum Beispiel: Das ist wie das Amen im Gebet. Das Morgenjournal dauert 22 Minuten, das weiß inzwischen jeder. Dann kommen acht Minuten Kultur. Dann kommt meistens Barockmusik, dann das zweite Morgenjournal. Danach folgt „Pasticcio“ und dann das „Radiokolleg“, der ins Moderne umgewandelte Schulfunk. Auf die Erwachsenenbildung folgt eine lange Musikstrecke und dann das Mittagsjournal. Das ist sehr klar gegliedert. (...)

Die Kulturchefs werden auf der EBU-Tagung über die Frage diskutieren, wie es mit der Konzentration der Hörer steht, welche Sendungslängen angemessen sind. Was ist Ihr Standpunkt? [EBU = Dachverband European Broadcasting Union]

Ich möchte gerne denen Mut machen, die den Kassandratönen nicht nachgeben wollen. Die Leute sind nicht so verblödet, dass sie nicht mehr länger als acht Minuten zuhören können. Für ein intelligentes Publikum stimmt das nicht. Wenn das Produkt stimmt, ist das keine Frage der Länge. Ich kann in acht Minuten entsetzlichen Blödsinn machen und in einer Stunde auch. Aber ich kann in acht Minuten sicher kein Thema umfassend behandeln. Wir werden also Erfahrungen austauschen: Ist dieser Virus schon in Europa allgemein verbreitet? Ich glaube, er ist nicht so weit verbreitet, dass er nicht heilbar wäre. Jedenfalls nicht in den Kulturprogrammen.

ursprüngliche Quelle: http://213.144.21.246/medien/medien_index_52171.html (Gesamtumfang: 6 Seiten)