Werbe-Kapriolen beim NDR - Die Gerd-Show

Der Tipp kam von einem NDR-Kultur- und NDR 2-Hörer aus Hannover
Aufzeichnung und Korrespondenz: Theodor Clostermann
Hier: Grundsätzliche Nachfragen des Beschwerdeführers

 5. August 2005Dokumentation: „Die Gerd-Show“ auf NDR 2
 11. August 2005Beschwerde zu NDR 2: „Die Gerd-Show“
 24. August 2005Schreiben der Rundfunkratsvorsitzenden
 4. Oktober 2005Schreiben des Intendanten
 10. Oktober 2005Nachfragen des Beschwerdeführers

Brief des Beschwerdeführers auf das Schreiben des Intendanten:
Es bleiben grundsätzliche Nachfragen

Zum Unterschied zwischen zulässigen „programmbegleitenden Hinweisen“ und nicht zulässigen „programmbestimmenden Hinweisen“

Die Hörer von NDR Kultur werden zum Beispiel „laufend mit Kaufanreizen zu programmbestimmenden Materialien überhäuft“

Nachfragen im Original (Pdf - Drucken, Speichern)

 

 

Theodor Clostermann
(...)
Reinbek, 10. Oktober 2005

Sehr geehrter Herr Professor Plog,

vielen Dank für die ausführliche und differenzierte Antwort, deren Lektüre für mich sehr aufschlussreich war. Mehrere Punkte Ihrer Ausführungen kann ich nachvollziehen, an anderen Stellen bleiben aber grundsätzliche Nachfragen. Diese möchte ich Ihnen persönlich stellen, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie persönlich antworten würden. Deshalb verzichte ich auch darauf, wie es mir die Rundfunkratsvorsitzende, Frau Dagmar Gräfin Kerssenbrock, als Möglichkeit gezeigt hat, mich in dieser Situation an sie zu wenden. Das halte ich für einen unnötigen Umweg.

1. Ihre Feststellung, dass Hinweise eines öffentlich-rechtlichen Senders auf programmbegleitende Materialien immer dann zulässig seien, wenn es sich um einen „Service für die Hörer“ handelt und wenn „keinerlei Gegenleistungen“ erfolgt, halte ich für zu offen. Auch bei der Auswahl seiner Kooperationspartner, den „Dritten“, ist der Sender nach der Präambel der „ARD-Richtlinien für die Werbung“ zur „Einhaltung der Neutralität gegenüber dem Wettbewerb im freien Markt“ verpflichtet, um auch so „die Unabhängigkeit der Programmgestaltung“ zu sichern. So war der kürzlich vom Berliner Kammergericht - unter der Geschäftsnummer 5 W 85/05 97 O 126/05 Landgericht Berlin - verhandelte Fall „Service für Hörer“, aber auch - so das Kammergericht - ein „Verstoß gegen die Lauterkeitsregeln des Wettbewerbs“. So habe ich den Eindruck - Sie können mich gern korrigieren -, dass auf NDR 2 beim Kino CinemaxX und bei Comedy „Die Gerd-Show“ einseitig als Kooperationspartner bevorzugt werden. Im Übrigen finde ich in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar, dass die ARD für sich selbst in Ziffer 1.1 Absatz 2 der „ARD-Richtlinien für die Werbung“ beschlossen hat, dass Eigenwerbung und programmbegleitende Materialien keine Werbung sind, obwohl diese Formulierung von Absatz 2 aus § 16 Absatz 4 des RStV übernommen worden ist, dort aber nur für die untergeordnete Situation der Berechnung der zulässigen Werbezeiten gilt und dort sonst nicht andere Werbeverbote aufhebt. Unmittelbar nach dem RStV sind also die Möglichkeiten des „Services für Hörer“ - so meine ich - weiter eingeschränkt.

2. Bei NDR Kultur beobachte ich in letzter Zeit eine weitergehende Praxis, die für Sie vielleicht auch „Service für Hörer“ ist: statt programmbegleitender Hinweise gibt es programmbestimmende Hinweise. Diese sind meines Erachtens weder nach dem RStV noch nach den „ARD-Richtlinien für die Werbung“ zulässig. Dazu möchte ich Ihnen zwei Beispiele nennen:

a. In den immer kurzfristig erscheinenden vier Musiklisten von NDR Kultur stand für den 13. Setember 2005 keine Aufnahme mit Martin Stadtfeld (Klavier), Bruno Weil (Dirigent) und dem NDR Sinfonieorchester auf dem Programm. In der „Hörprobe“ um 7.15 und um 15.15 Uhr wurde diese Aufnahme vorgestellt, die bei Sony Classics am darauf folgenden Montag - das wurde den Hörern von NDR Kultur „service“-mäßig deutlich mitgeteilt - erscheinen sollte. Für diese „Hörprobe“ und damit für die neue bei Sony Classics erscheinende CD wurden dann drei gerade erst kurzfristig veröffentlichte Musiksätze aus dem Programm gestrichen (L. Boccherini, 1. Satz der Sinfonie A-dur, op. 12.6, W. A. Mozart, 3. Satz der Sinfonie Nr. 29 A-dur, KV 201 und Johann Christian Bach, Ouvertüre zu „Amadis des Gaules“). Dass das Programm nachträglich von der „Hörprobe“ bestimmt wurde, ist offensichtlich. Ob der Redakteur der „Hörprobe“ ganz kurzfristig einen Bericht von Christoph Vratz zu der neuen CD von Sony Classics bekam, ist zur Beurteilung unerheblich, in der ursprünglichen Planung ist wenigstens kein alternativer Zusammenhang zwischen einer möglichen „Hörprobe“ und entsprechenden Musiksätzen festzustellen.

b. Ob Zufall oder nicht, es geht wieder um eine neue CD von Sony Classics. Obwohl eine gut planende und von PC und Internet unterstützte Redaktion lange im Voraus wissen kann, dass der Cellist Yo-Yo Ma am 7. Oktober seinen 50. Geburtstag feiern würde, war nach den kurzfristig veröffentlichten Plänen für diesen Tag in den vier Sendungen tagsüber kein Musiksatz mit Yo-Yo Ma eingeplant. Um 18.41 Uhr - nach dem Plan soll von W. A. Mozart der 1. Satz des Violinkonzerts A-dur, KV 219 mit Julia Fischer (Violine), Oswald Sallaberger (Dirigent) und der NDR Radiophilharmonie gesendet werden - verkündet der Moderator plötzlich:

Geburtstagskind des heutigen Tages ist der chinesisch-amerikanische Cellist Yo-Yo Ma. Der mehrfach Grammypreis gekrönte Musiker hat im Laufe seiner Karriere so an die 50 Alben rausgebracht und heute wird er selber 50 Jahre alt. Ein sehr vielseitiger Musiker, der gerne mit Bobby McFerrin Musik macht oder Tango aufnimmt, beispielsweise aber auch auf musikalische Entdeckungsreise geht und auf Spuren der Seidenstraße wandelt. Zuletzt hat er mit einem Team aus Musikern und Ethnologen den traditionellen Klängen nachgespürt, Klängen aus der Türkei und aus China. Zum 50. Geburtstag des Weltklassemusikers gratuliert die Plattenfirma Sony Classical mit einer neuen Doppel-CD. „The Essential Yo-Yo Ma“ heißt diese Platte. Darauf zu finden seine besten Einspielungen. Und auch wir auf NDR Kultur gratulieren und wünschen uns noch viele spannende Projekte von Yo-Yo Ma. Hier hören wir ihn im Finale des Cello-Konzertes h-moll von Antonin Dvorak.

Zu hören ist die Nummer 15 der Doppel-CD (nach der Sony-Übersicht im Internet http://www.sonymusic.com.au/cd/releaseDetails.do?catalogueNo=S2K93927). Die Gelegenheit wird ausgenutzt, wegen der vorliegenden CD auf die CD hinzuweisen, und dafür wird das Programm geändert. Der Einsatz der Sony-CD und die Nennung von Sony Classics sind also nicht programmbegleitend, sondern programmbestimmend. Und dabei werden die Hörer noch irregeführt: „Release Date: 16.09.05“ heißt es auf der Sony-Homepage, ein aktueller Zusammenhang zum Geburtstag besteht für diese Neuerscheinung - die letzte war erst vor 5 Monaten am 8. April 2005 - nicht, und die CD muss der Redaktion von NDR Kultur schon Tage vorher bekannt gewesen sein.

Zusammenfassend - es gibt oft solche Beispiele im Programm von NDR Kultur - möchte ich dazu anmerken: Der Hörer bekommt den Eindruck, dass er laufend mit Kaufanreizen zu programmbestimmenden Materialien überhäuft wird, und ist wegen „werblicher Elemente“ irritiert.

3. Ich finde es interessant, dass Sie den Inhalt des Sketches „Das neue Linksbündnis“ von Elmar Brandt mit den Kriterien „Bestandteil des Gesamtkunstwerks“ und „damit zulässige(n) Meinungsäußerungen im Rahmen der damit eröffneten Kunstfreiheit“ in Schutz nehmen. Das bestätigt mich in der Auffassung, dass die Satire-CD „Neues von der norddeutschen Tiefstebene“ von Rudolf Kelber und die Veröffentlichung der einzelnen Texte unter seinem Copyright auf der Website des „GANZEN Werks“ genauso als „zulässige Meinungsäußerungen im Rahmen der damit eröffneten Kunstfreiheit“ einzustufen war.

4. Eine andere Frage ist es jedoch, ob ein öffentlich-rechtlicher Sender alles senden darf, was anerkannte Künstler - auch wenn die Zusammenarbeit schon über mehrere Jahre besteht - produzieren. Immerhin muss der Sender sich im Rahmen des Programmauftrags nach § 11 RStV bewegen und darf er Werbung nur in bestimmten Grenzen zulassen. Meine Frage: Welchen Maßstab hat der NDR, wenn er keine Zweifel an der künstlerischen Qualität eines Kunstwerks, wohl aber Bedenken an dem Ausmaß der „zulässigen Meinungsäußerungen im Rahmen der (...) Kunstfreiheit“ oder der „werblichen Elemente“ hat? Wurden diese Kriterien beim Sketch „Das neue Linksbündnis“ von Elmar Brandt vor seiner Ausstrahlung überprüft? Zu welchem Ergebnis führte mit diesen Kriterien die nachträglich von Ihnen veranlasste Überprüfung?

Mit freundlichen Grüßen
gez. Theodor Clostermann

• Lesen Sie den Grundsatzartikel:
Die unzulässige Praxis der ARD mit den „Hinweisen auf eigene Programme und auf Begleitmaterialien“ - Die ARD-Werberichtlinien hebeln den Rundfunkstaatsvertrag aus
• Lesen Sie die Beschwerde der Bürgerinitiative „Das GANZE Werk (Nord)“:
Beschwerde wegen der Werbung bei NDR Kultur, 2. Februar 2009

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