Das GANZE Werk - Presseschau

Das GANZE Werk, Erklärung zu dem vom RBB gewollten Zitierverbot aus RBB-Sendungen, 23. Juli 2006

Lesen Sie das Interview dokumentarisch im Anschluss an den folgenden Artikel

Das GANZE Werk verpflichtet sich nicht gegenüber dem RBB, auf das Zitieren aus Beiträgen von rbb-kulturradio zu verzichten

Der RBB ist „immer noch für Überraschungen gut“

Der Sender wollte die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit (Artikel 5 Grundgesetz) erheblich einschränken - mit einem Diktat
von nur zwei Tagen

Vorbemerkung: Der RBB will zum vierten Mal in zwölf Monaten eine öffentliche Diskussion durch einen juristischen Eingriff verhindern. Die anderen drei Fälle - fristlose Kündigung von Musikredakteur Demmler, Verbot von Erklärungen zweier Verlagsverbände und Androhung juristischer Schritte gegen Gerhard Baum - werden wir demnächst in einem weiteren Artikel zusammenstellen. Das Zitat der Schlagzeile stammt von Musikchef Dr. Christian Detig (Quelle: Urteilsbegründung Arbeitsgericht Berlin, 11. Januar 2006).

DGW-Erklärung + Dokumentation/Interview - zum Speichern und Drucken (Pdf)
nur DGW-Erklärung (Pdf) nur Dokumentation/Interview (Pdf)
DGW-Erklärung + Dokumentation/Interview - mit Links (Word-Dokument)

Das GANZE Werk, Erklärung zu dem vom RBB gewollten Zitierverbot aus RBB-Sendungen
1.: Eine seltsame Antwort des RBB auf die Podiumsdiskussion
2.: „Schaden“ durch das Zitieren? Es geht um Verbesserungen des Programms.
3.: Die Tragweite der vom RBB dem GANZEN Werk vorgelegten „Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung“
4.: Urheberrechtsgesetz: der RBB hat keine „ausschließlichen Rechte“ an seinen Produkten
5.: Wie wichtig sind dem RBB die Grundrechte?
6.: Das GANZE Werk sollte seinen Verzicht in nur zwei Tagen erklären
7.: Das sog. Detig-Papier beweist: Das ganze Werk des Moderators war innerhalb des „Kontinuums“ seine „Strecke“ von drei Stunden
8.: Die vielfältigen Einzelaufgaben in dem „Kontinuum“ führen immer wieder zu Überforderungen des Moderators
9.: Dokumentation des umstrittenen Interviews am 29. Juni 2006

Am 22. Juni 2006 führte der Gründungsausschuss der „Initiative Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg)“ eine Podiumsdiskussion unter der Fragestellung durch: „rbb kulturradio - Wird der Kulturauftrag noch erfüllt? - Ein Streitgespräch“. Wer nicht erschien, war der RBB, der Sender entzog sich der öffentlichen Kritik.

1. Eine seltsame Antwort des RBB auf die Podiumsdiskussion

Kaum ist die Initiative gegründet und veröffentlicht sie hier auf der Homepage ihren allerersten kritischen Bericht zu einem peinlichen Interview, meldet sich der Sender über sein Justitiariat in ungewöhnlich scharfer Form zurück. Das GANZE Werk habe

eine verschriftete Fassung eines Interviews eingestellt (...), ohne dass hierfür eine Genehmigung des rbb vorliegt. Die Bearbeitung des Interviews und Verbreitung über das Internet stellt eine Verletzung unserer ausschließlichen Rechte an der Produktion als Sendeunternehmen dar. Wir müssen Sie daher auffordern, das genannte Interview unverzüglich bis spätestens morgen, 20. Juli 2006, aus Ihrem Internetangebot zu entfernen.

Damit nicht genug. In einer zur Unterschrift vorbereiteten, also diktierten „Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung“, durch die ein Vertrag mit dem RBB geschlossen werden soll, soll ich mich als Sprecher der Initiative Das GANZE Werk für die Zukunft verpflichten:

• es bei Meidung einer für jeden Fall der Zuwiderhandlung durch den rbb festzusetzenden und an diesen zu zahlenden Vertragsstrafe (...) zu unterlassen, Interviews oder ähnliche Beiträge aus dem Programm von kulturradio des rbb in schriftlicher oder anderer Fassung in das Internetangebot von www.dasqanzewerk.de einzustellen und es auf diesem Wege öffentlich zugänglich zu machen oder in anderer Form solche Beiträge zu bearbeiten, zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten;
• dem Rundfunk Berlin-Brandenburg den durch diese Handlung entstandenen oder künftig entstehenden Schaden zu ersetzen.

Es steht noch nicht einmal in dem Text, dass Berichte wenigstens dann veröffentlicht werden dürften, wenn eine Genehmigung dazu eingeholt und vom RBB gegeben wird. Aber welcher Kritisierte und die öffentliche Diskussion Fürchtende würde dies schon freiwillig tun?

2.: „Schaden“ durch das Zitieren? Es geht um Verbesserungen des Programms.

Welcher „Schaden“ entsteht durch eine Veröffentlichung auf unserer Homepage? Wird der RBB in seinem Ansehen geschädigt? Schädigt sich der Sender nicht schon vorher, indem er Beiträge mit kultureller Verflachung „produziert“? Er richtet doch selbst den Schaden an, bevor die Beiträge anschließend im Äther verrauschen. Wie muss sich ein Sender wegen seiner eigenen Beiträge schämen, wenn er deren Veröffentlichung verbieten will? Was ist das für ein Sender, der vor der Wiedergabe seiner eigenen Beiträge Angst hat?

Wir wollen inkompetente und unzumutbare Beiträge dokumentieren, um sie glaubwürdig kritisieren zu können. Diese Beiträge - bisher zu NDR Kultur - sind eine tragende Säule unserer Arbeit, sie werden von vielen Lesern der Homepage www.dasganzewerk.de sehr geschätzt. Und eine gründliche Kenntnis der Sendungen ist ein notwendiges und wirkungsvolles Mittel, um Verbesserungen anzumahnen und einzufordern. Warum sollte das einer Initiative engagierter Bürger verboten werden?

3.: Die Tragweite der vom RBB dem GANZEN Werk vorgelegten „Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung“

Reduziert man das vom RBB gewollte Zitierverbot unter Weglassung von „Oder“-Alternativen auf seinen weitestgehenden Kern, erhält man folgende Kurzfassung:

es (...) zu unterlassen, Interviews oder ähnliche Beiträge aus dem Programm von kulturradio des rbb (...) zu bearbeiten (...),

selbst ohne sie zu verbreiten.

Oder auf eine griffige Formel gebracht:

Alles, was der RBB produziert, gehört ausschließlich ihm und darf deshalb von niemandem irgendwie wiedergegeben werden.

Ein Lehrer, der im Juni/Juli 2005 schon den Detig-Moderationstext mit dem Goebbels-Zitat gehabt hätte, hätte nach dem vorgelegten Zitierverbot noch nicht einmal Schüler eine Erörterung über den Moderationstext schreiben lassen dürfen.

Wenn der Wetterbericht auf rbb-kulturradio besagt, am kommenden Tag werde es 35 Grad heiß, dann dürfen Sie in einem Brief an Freunde oder Bekannte nicht schreiben, dass es nach dem Wetterbericht heiß werde, also den Radiobericht bearbeiten? Sie sehen, wie absurd das vorgelegte Zitierverbot des RBB gegen Das GANZE Werk ist, wenn es für jeden oder wenn es für vorhergesagte Tatsachen gelten würde.

Eine Selbstverpflichtung zu RBB-Bedingungen kommt einer Selbstzerstümmelung der Initiative gleich. Wir wehren uns einerseits gegen die Kultur-Zerstückelung auf rbb-kulturradio und sollen andererseits selbst auch noch gerupft werden? Nein. Das vorgelegte Zitierverbot unterschreiben wir nicht.

„Welcher (Un-)Geist herrscht hier?“ (Frage in den Briefen von Martin Demmler mit dem Detig-Moderationstext an drei ARD-Intendanten, Quelle: Urteilsbegründung Arbeitsgericht Berlin, 11. Januar 2006)

4.: Urheberrechtsgesetz: der RBB hat keine „ausschließlichen Rechte“ an seinen Produkten

Das vorgelegte Zitierverbot widerspricht dem Urheberrechtsgesetz. Danach geht es zum einen überhaupt nicht um „Bearbeitungen“, das ist eine vom RBB frei erfundene Fessel. Zum anderen gibt es, soweit es die Arbeit des GANZEN Werks betrifft, in diesem Gesetz zwei Paragraphen und in der Folge höchstrichterliche Urteile, die die Wiedergabe von Beiträgen erlauben, auch wenn es der Urheber - in diesem Fall der RBB als Produzent - nicht will.

Im § 49 geht es darum, welche „Zeitungsartikel und Rundfunkkommentare“ frei benutzt, zum Beispiel veröffentlicht werden dürfen. Bevor einzelne Bedingungen genannt werden, beginnt Absatz 1 mit der Feststellung:

Zulässig ist die Vervielfältigung und Verbreitung einzelner Rundfunkkommentare und einzelner Artikel aus Zeitungen (...)

Im § 51 geht es um „Zitate“. Für die Berichterstattung des GANZEN Werks ist dabei folgende Formulierung relevant:

Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe, wenn in einem durch den Zweck gebotenen Umfang (...)
2. Stellen eines Werkes nach der Veröffentlichung in einem selbständigen Sprachwerk angeführt werden (...)

Sinn der Regelung ist es, dass durch das erlaubte Zitieren der Urheberschutz für das ursprüngliche, das fremde Werk nicht ausgehebelt wird: wenn zum Beispiel kein „selbständiges Sprachwerk“ wie ein Artikel geschaffen wird oder wenn zwischen wenigen Worten unverhältnismäßig viel vom fremden Werk steht.

Der Ermessensspielraum für Gerichte ist groß, zum Beispiel wie lang ein Zitat in einem eigenen, einem neuen Werk sein darf oder ab wann eine Veröffentlichung nicht mehr nur eine Reproduktion, sondern ein schützenswertes neues Werk ist. Wenig Ermessensspielraum ist allerdings dann gegeben, wenn eine Seite vorher zum vertraglichen Verzicht auf eigene Rechte gedrängt wird, wie es der RBB vom GANZEN Werk verlangt.

5.: Wie wichtig sind dem RBB die Grundrechte?

Die Zitier- oder Zitatfreiheit ist eine wesentliche Garantie für die Verwirklichung der „Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit“ nach Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes:

Jeder hat das Recht seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. (...) Eine Zensur findet nicht statt.

Der RBB will verhindern, dass einmal öffentlich gesendete Beiträge nachträglich durch eine Veröffentlichung auf den Seiten des GANZEN Werks allgemein zugänglich werden: „(...) zu unterlassen, (...) Beiträge aus dem Programm von kulturradio des rbb (...) zu bearbeiten“.

Die diktierte „Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung“ stellt den Versuch einer weitgehenden Zensur, eines weitgehenden Eingriffs in Grundrechte dar.

6.: Das GANZE Werk sollte seinen Verzicht in nur zwei Tagen erklären

Erschwerend kommt hinzu: Als sich der RBB rührte, stand das Interview schon seit 18 Tagen auf der Homepage. Doch plötzlich „notiert“ er sich für die Zustimmung zur Erklärung einer Initiative von ehrenamtlich arbeitenden Bürgern mitten in der Urlaubszeit eine Frist von nur zwei Tagen nach Erhalt des Briefes, ohne in irgendeiner Weise auf die Rechte des Zitierenden einzugehen:

Weiterhin steht uns (...) aufgrund der durch die Rechtsverletzung begründeten Wiederholungsgefahr auch ein Anspruch auf Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung zu. Wir fordern Sie daher auf, die beigefügte Erklärung rechtsverbindlich unterzeichnet an uns zurückzusenden. Hierfür haben wir uns eine Frist bis zum 21. Juli 2006 notiert (...).

Sollten wir die gesetzten Fristen nicht einhalten, sehe der RBB sich gezwungen, seine Rechte

gerichtlich - ggf. im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens - geltend zu machen.

Überrumplung von vermeintlich Ahnungs- oder Hilflosen, um zu einer schnellen Unterschrift zu gelangen, die den Verzicht auf Dauer besiegelt. Der Akteur: eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt. Das vorgesehene Opfer: Gebührenzahler, die zur Erfüllung des Kulturauftrags ein besseres Programm verlangen. Kein Gespräch, keine Verhandlung, sondern Diktat von zwei Tagen. Ein Skandal.

7.: Das sog. Detig-Papier beweist: Das ganze Werk des Moderators war innerhalb des „Kontinuums“ seine „Strecke“ von drei Stunden

Auf das Werk des Interviewten Dr. Martin Elste geht die RBB-Justitiariat übrigens gar nicht ein. Von ihm liegt uns das schriftliche Einverständnis zur Veröffentlichung vor:

Natürlich habe ich nichts gegen eine Niederschrift des Interviews.

Nach dem Brief der RBB-Justitiarin vom 18. Juli 2006 spielt die Länge des Zitats (des Interviews) keine Rolle. In einem Telefongespräch am 19. Juli 2006 hat das Justitiariat dann den Vorwurf nachgeholt, wir hätten das Interview, und damit das zu schützende Werk des Senders, „vollständig“ wiedergegeben.

Das ist nach unserer Auffasung für das gesendete Interview unerheblich und überschreitet nicht den „durch den Zweck gebotenen Umfang“ (siehe § 51 Urheberrechtsgesetz, Zitat oben) unseres Zitats.

Um das nachhaltig zu beweisen, greifen wir auf eine andere Quelle, eine bisher nicht veröffentlichte interne Anweisung des RBB zurück, die wir gerade rechtzeitig in den letzten Tagen bekamen. Durch die Gründung der Initiative Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg) sind viele Kommunikationsprozesse in Gang gekommen. So erhielten wir weitläufig - und nicht von jetzigen oder ehemaligen Mitarbeitern des RBB, das merken wir hier ausdrücklich an (interne Einzelbefragungen sind zwecklos) - das sogenannte Detig-Papier in seiner ursprünglichen Version. Sein Titel: „Kulturradio. Tagesbegleitung mit klassischer Musik - Entwurf für ein Handbuch zur Musikauswahl“.

Dort stehen die Regeln, nach denen die „Musikmacher“ die Einzel-Musiksätze zusammenzustellen haben. Das sind unter anderem die folgenden Prinzipien, die die Musikliebhaber beim Hören von rbb-kulturradio so in Rage bringen:
- „Thematische Zusammenhänge (Stichwort: ‚content‘) sind nicht erlaubt.“
- „In jeder Stunde soll es ein Werk mit überdurchschnittlichem Bekanntheitsgrad geben: ein ‚Ohrwurm‘“ (S. 3)
- „In den Außenstrecken sind akustisch problematische Instrumente nicht erlaubt: Cembalo solo, Orgel, Harfe, Gitarre, Gambe (ausgenommen sind die Orgelkonzerte von Händel)“ und
- „Werke über 8 Minuten müssen einen besonderen Akzeptanzwert haben“, müssen dazu jeweils einzeln genehmigt werden (S. 4).

Innerhalb dieser Regeln, die nach der Diskussion Anfang des Jahres im Programmausschuss und im Rundfunkrat über das Programm ein wenig modifiziert wurden, steht der für unser Interview-Zitat entscheidende Satz (Ausschnitt von Seite 3 in Originalansicht):

Das Werk des RBB ist also sein „Kontinuum“, das Werk eines Moderators ist dann logischerweise die „Strecke“ aus dem „Kontinuum“, die er zu bewältigen hat: in unserem Fall die Zeit von 15.05 Uhr bis 18.00 Uhr. Wenn wir das Interview und die Moderation zur angrenzenden Musik dokumentiert haben, war das nur ein Teil des Ganzen, hat Das GANZE Werk also darauf verzichtet, „das ganze Werk“ zu bringen.

8.: Die vielfältigen Einzelaufgaben in dem „Kontinuum“ führen immer wieder zu Überforderungen des Moderators

Das ist jetzt auch nicht spitzfindig gemeint, es trifft genau das Problem. Auf ihrer „Strecke“ werden die Moderatoren mit vielfältigen Einzelaufgaben konfrontiert, für die sie nicht unbedingt qualifiziert sind. Deshalb hatten wir dem Interview folgende Erklärung vorangestellt (die wir unten in der Dokumentation nicht wiederholen):

Unsere Kritik gilt den Programmverantwortlichen und nicht den einzelnen Moderatoren.
Unsere Seiten der Reihe „rbb kulturradio - Moderation“ gelten der 12-stündigen Sendestrecke von 6 bis 18 Uhr, die dem Schema der „Tagesbegleitung“ unterliegt.
Die Moderatoren sind zwar Aushängeschilder des Senders, sie sind aber zugleich Abhängige des Sendeprinzips der „Tagesbegleitung“. Sie sind weder für die Auswahl der Musiksätze und der aktuellen Themen noch für die Produktionsbedingungen im Studio verantwortlich. Wenn die Moderatoren zum Beispiel Interviews führen oder den „Hörerstreit“ moderieren, werden sie von der Sendeleitung für Aufgaben ins Rennen geschickt, für die sie möglicherweise nicht qualifiziert, ja sogar überfordert sind. Gleichzeitig verbietet die Sendeleitung Doppelbesetzungen im Studio: es ist durchaus möglich, dass Redakteure und Journalisten, die sich tagsüber im RBB-Haus aufhalten, für ein fachlich solides Gespräch ins Studio kommen. Aus diesen Gründen werden wir keine Namen von Moderatoren nennen.

Das traf auch auf das veröffentlichte Interview zu. Wir haben es für die Veröffentlichung ausgewählt, weil in ihm die Musik im Mittelpunkt steht und weil der Moderator sich als unfähig erwiesen hat, auf das einzugehen, was der Interviewte, Dr. Martin Elste, mehrfach offenkundig berichten wollte: die Zusammenfassung von „2000 Jahren Musikgeschichte auf zwölf Schellackplatten“ durch den Musikwissenschaftler Curt Sachs.

Es ist sinnvoll, es entspricht dem „durch den Zweck gebotenen Umfang“ (§ 51 Urheberrechtsgesetz), große Teile des Interviews zu dokumentieren, weil es nicht nur um wenige Begriffe oder um eine markante umstrittene These geht - dann würde schon ein kurzes Zitat genügen -, sondern weil Herr Dr. Elste im Gespräch wiederholt einen Anlauf zum Bericht über die Schellackplatten machte, was der Moderator jedes Mal ignorierte. Deswegen heißt es in dem Aufmacher auch:

Warum macht der Moderator in seinem Interview ständig einen Bogen um die Themen Musikwissenschaft und „2000 Jahre Musikgeschichte auf zwölf Schellackplatten“?

Ein weiteres Beispiel wäre die am 24. Mai 2006 im „Hörerstreit“ von einem anderen Moderator angezettelte Diskussion, ob ausländische Schüler von „Armenschulen“ in Berlin-Neukölln täglich zu „Reichenschulen“ nach Berlin-Zehlendorf „mit Bussen transportiert“ werden sollten, um Konflikte an Schulen zu verringern. Der eingeladene Referent wurde in eine völlig falsche Rolle gedrängt, denn ihm ging es um behutsame und freiwillige schulnachbarschaftliche Ausgleichsmaßnahmen. Viele anrufende Hörer empfanden die Ausgangsfrage mit den „Armen- und Reichenchulen“ in weit voneinander liegenden und völlig verschiedenen Stadtteilen als Provokation. Der Moderator entschuldigte sich damit, er hätte mit der „zugespitzten“ Ausgangsthese die Diskussion „anheizen“ wollen. - À propos: War das auch schon eine eigentlich verbotene Bearbeitung einer Sendung von rbb-kulturradio?

Es folgt die Dokumentation des umstrittenen Interviews. Nicht relevante Passagen haben wir gekürzt oder umschrieben, relevante Passagen situativ erläutert.

D O K U M E N T A T I O N

rbb kulturradio, 29. Juni 2006, „Kulturradio am Nachmittag“, 16.45 Uhr (Mitschrift)
Kultur aktuell
Curt Sachs: Berlin, Paris, New York. Wege der Musikwissenschaft.
Eine Ausstellung im Musikinstrumenten-Museum Berlin
Gespräch mit dem Kurator Martin Elste (mit situativen Erläuterungen des GANZEN Werks)

Studiogast: „Das Gesammelte systematisieren, klassifizieren und dann Präferenzen setzen“

Moderator: „Keine Ahnung“
Warum macht der Moderator in seinem Interview ständig einen Bogen um die Themen Musikwissenschaft und „2000 Jahre Musikgeschichte auf zwölf Schellackplatten“?

Fachfremd? Und die 4-Minuten-Schere im Nacken...

Moderator [nach der Absage eines Satzes von Georg Philipp Telemann]: Und sobald Sie interessiert, warum diese Musik zum Beispiel gerade so und nicht anders komponiert wurde und gespielt wird, dann sind Sie eigentlich bereits empfänglich für Musikwissenschaft.
Im Berliner Musikinstrumentenmuseum, wo sich auch das Staatliche Institut für Musikforschung Preussischer Kulturbesitz befindet, da will eine Ausstellung ab heute zeigen, wie diese Musikwissenschaft nach außen wirken kann. Der 125. Geburtstag des Berliner Gelehrten und langjährigen Direktors auch des Museums Curt Sachs wird dafür zum Beispiel genommen. Der Kurator der Ausstellung, Martin Elste, ist im Studio. Wie hat denn dieser Curt Sachs die Musikwissenschaft aus dem akademischen Zirkel nach draußen getragen?

Martin Elste: Er hat 1930 hier in Berlin eine Schallplattenserie konzipiert, bei der Parlophon produzieren lassen, also in der Schlesischen Straße, wo es um 2000 Jahre Musikgeschichte ging. 2000 Jahre Musikgeschichte auf, was glauben Sie, wieviel Schallplatten?

Keine Ahnung.

Auf vierundzwanzig Seiten, also auf zwölf Schellackplatten mit fünfundzwanzig Zentimetern Durchmesser, also insgesamt 70 Minuten Musik...

[Der Moderator unterbricht den Studiogast, um trotz der Begeisterung des Studiogastes für die alten Platten auf seine nächste Frage zu kommen.] Was war sein Antrieb, seine Motivation, so etwas zu machen?

Der Antrieb war, dass Curt Sachs ursprünglich eigentlich einer war, der sehr viel gesammelt hat, aber er hat offensichtlich sehr schnell festgestellt, dass das Sammeln allein natürlich nicht Wissenschaft ist, sondern dass die Wissenschaft darin besteht, das Überflüssige wegzulassen und das Gesammelte zu systematisieren, zu klassifizieren und dann eben Präferenzen zu setzen. Und da ist es eine unglaubliche Tat, was wir uns gar nicht vorstellen können, die Musikgeschichte auf vierundzwanzig Beispiele zu reduzieren.

[Der Moderator geht auf den Wunsch des Studiogastes, doch noch über die große Leistung der Schellackplatten zu sprechen, nicht ein, sondern fährt mit seiner nächsten Frage fort.] Hmh. Aber trotzdem ist da wahrscheinlich sehr viel Material vorhanden. Ein sehr umtriebiger Mann, dieser Curt Sachs. Was davon ist im Museum zu sehen, möglicherweise auch zu hören?

Na, Herr Sachs hat sehr viel Bücher geschrieben, die sind natürlich alle zu sehen, aber deswegen geht man nicht ins Museum. [Der Studiogast führt weiter aus, dass die Ausstellung mit Instrumenten, Musikbeispielen und einer „Audio-Guide-Führung“ an Computer-Terminals „ganzheitlich erfahrbar“ ist und dass viele Dokumente über das Wirken von Curt Sachs und über die Musikwissenschaft zugänglich sind.]

[Der Moderator greift das von ihm selbst zu Beginn eingeführte Thema „Musikwissenschaft“ nicht auf, sondern kommt jetzt zu Besonderheiten der Biographie von Curt Sachs.] Das hätte Curt Sachs wahrscheinlich gefallen. Die Biographie von ihm ist ja auch eine der vielen Emigranten-Biographien des 20. Jahrhunderts. Die haben an seinen Lebensstationen, also nach Berlin, Paris und New York, auch seine wissenschaftliche Arbeit beeinflusst - oder gebremst möglicherweise?

Verändert. Also in Paris hat er dieses Konzept, was hier 1930 - mit den 2000 Jahren Musik auf der Schallplatte - begonnen hat, noch weiter ausgeführt, in der „Anthologie Sonore“, und dann, nach vier Jahren Aufenthalt in Paris, konnte er nach New York (...). Dort hat er dann seine großen übergreifenden Bücher publiziert. [Es folgen einige Details.] Ihm kam es immer darauf an, das Übergreifende der Weltmusik - von allen musikalischen Phänomenen, die es auf dieser Welt gibt - das Übergreifende, das Gemeinsame, zusammenzufassen und darzustellen.

[Der Studiogast ist inhaltlich wieder an dem Punkt angelangt, über den er mehr berichten will. Es folgt aber eine andere, wahrscheinlich vorbereitete Frage.] Wird jetzt eigentlich mit dieser Ausstellung auch ein Defizit aufgeholt, also dass man Curt Sachs wieder stärker ins Bewusstsein rückt? Ich weiß gar nicht, gibt es in Berlin eine Curt-Sachs-Straße zum Beispiel?

Gibt es nicht, nein. Der Anlass ist sein 125. Geburtstag und die Vorstellung: „Ach man sollte eigentlich mal den Mitmenschen zeigen, was Musikwissenschaft überhaupt ist.“ (...)

[Weil die Zeitvorgabe der 4 Minuten sich dem Ende nähert, eilt der Moderator zum Schluss und zur Bekanntgabe der Veranstaltungsinformationen.] Und das kann man sich jetzt anschauen, von heute bis zum 1. Oktober ist die Sonderausstellung „Curt Sachs: Berlin, Paris, New York. Wege der Musikwissenschaft.“ im Berliner Musikinstrumentenmuseum zu sehen. Geöffnet ist in der Tiergartenstraße 1 mit Eingang um die Ecke in der Ben-Gurion-Straße Dienstag bis Freitag 9 bis 17, donnerstags immer langer Abend bis 22 Uhr und am Wochenende von 10 bis 17 Uhr.

[Es folgt unmittelbar: ein Satz aus einem Hornkonzert von Richard Strauß.]

Mitschrift ohne Versprecher und überflüssige Füllwörter. Das GANZE Werk hat den Text vollständig transkribiert. Die Einfügungen des GANZEN Werks sind in eckige Klammern gesetzt. Als Entgegenkommen gegenüber dem RBB, kein längeres zusammenhängendes Zitat zu veröffentlichen, haben wir nicht relevante Stellen gekürzt oder umschrieben und relevante Stellen situativ erläutert.
Dauer des Gesprächs: 4 Minuten und 2 Sekunden.

Merke: Auch wenn die Sendung formatiert ist, sind die Hörer nicht nach einem einheitlichen Schema formatiert. Die Hörer haben Ansprüche an ein Kulturradio und registrieren die Unzulänglichkeiten. Durchhören oder Sensationslust darf nicht das Prinzip eines Kultursenders sein.

Theodor Clostermann, abgeschlossen am 23. Juli 2006, kleine Veränderungen am 28. Juli 2006

PS.: Ich frage mich, wer für diese beabsichtigte weitgehende Zensur das RBB-Justitiariat in Marsch gesetzt hat, die RBB-Intendantin Reim, die Hörfunkdirektorin Stehr, der Chef von rbb-kulturradio Dr. Matejka oder der Musikchef von rbb-kulturradio Dr. Detig. Je tiefer in der Hierarchie der Initiator, desto größer die Zahl der mitverantwortlichen Hierarchen. Verantwortlich ist für mich die Intendantin.