Das GANZE Werk - Presseschau

Hamburger Abendblatt, 6. Januar 2006

Buchkritik: „Matt-Scheibe“

Innenansichten eines Journalisten

Lesung am 19. Januar auf Einladung der AG Dokumentarfilm in der Freien Akademie der Künste

Von Heike Mundzeck

Hamburg - Der Journalist als Störenfried, nicht, weil er in Papagalli-Manier die Liebschaften von Filmstars und Königskindern verfolgt, sondern weil er Politikern und Wirtschaftsbossen unbequeme Fragen stellt und ihr Verhalten kritisch hinterfragt. So sieht Jürgen Bertram (Jahrgang 1940) beharrlich die Aufgaben von Reportern und Redakteuren, findet im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen aber Korruption und Schleichwerbung statt Unabhängigkeit; Banalität und Boulevardisierung statt konkreter Information; feudalistisch anmutende Hierarchien statt demokratischer Strukturen. Und weil er den Niedergang des Mediums, dem er selbst so lange angehörte, nicht mit resignierter Bitterkeit betrachten will, hat er als Ausdruck seiner Loyalität, wie er erklärt, einen Report geschrieben, der von den Anfängen des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems nach 1945 bis heute reicht und mit großer Genauigkeit und in vielen selbsterlebten sowie gut recherchierten Details die Geschichte des Fernsehens in Deutschland nachzeichnet.

Dabei geht es um die Höhepunkte des gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Systems und die zunehmende Verflachung: die Informationssendungen und politischen Magazine, die bis heute das gesellschaftliche Bewußtsein mitgestalten. Es geht aber auch um Aufstieg und Niedergang des Fernsehspiels, der Unterhaltung, der Auslandsberichte. Neben den zuschauerrelevanten Inhalten spielt auch die Veränderung des Betriebsklimas in den Redaktionen, spielen Machtstrukturen und Mobbing-Verhalten eine Rolle, erfährt der Leser, wie Freundeskreise aus Journalisten und Politikern das Programm mitbestimmen.

Mit diesem Buch verteidigt Jürgen Bertram nicht nur die Idee des staatsfernen, unabhängigen und der Wahrheit verpflichteten Rundfunks der Gründerjahre, sondern ebenso seine eigene Identität und Integrität als Journalist. Damit bezieht er auch für viele Kollegen Stellung, wie aus seinen Gesprächsaufzeichnungen hervorgeht. Jakob von Uexküll, der Gründer des Alternativen Nobelpreises, hat einmal für seine Arbeit formuliert: Wir müssen uns täglich entscheiden, ob wir Teil des Problems oder Teil seiner Lösung sein wollen. Jürgen Bertram hat sich entschieden.

Lesung Am Donnerstag, 19. Januar, liest Jürgen Bertram auf Einladung der AG Dokumentarfilm in der Freien Akademie der Künste, Klosterwall 23, Hamburg. Beginn: 19 Uhr. Eintritt: 4 Euro.

Aufruf der Initiative „Qualität statt Quote“

Lesen das Interview mit Jürgen Bertram
über sein neues Buch „Mattscheibe - Das Ende der Fernsehkultur“:
„Zuschauer werden entwöhnt“
Innenperspektive: Kritik an den Mechanismen der ARD. Jürgen Bertram fordert von Fernsehschaffenden Seriosität, Verläßlichkeit und Kritikfähigkeit.
Hamburger Abendblatt, 17. Januar 2006