Das GANZE Werk - Presseschau

Zitat von Volker Herres, NDR Programmdirektor Fernsehen, zur Kritik von Jürgen Bertram und Kommentar des Autors Rainer Link:
Wir sind sehr aktiv bei „arte“, wir liefern dem Kinderkanal sehr engagiert zu, auch „phoenix“, das sind Programme, wo die Quote eine sehr viel geringere Rolle spielt, als beim nationalen Vollprogramm wie dem Ersten. Das Erste muss in der Spitze der großen Programme mitspielen können, auch quantitativ.
Anders formuliert lautet die Philosophie: Man soll die Menschen dort abholen, wo sie stehen, also Sendungen anbieten, die die Zuschauer intellektuell nicht überfordern, sie aber auch nicht unterfordern. So sähe das ideale Programm aus - jedenfalls in der Theorie.

Ein ausführlicher und interessanter Überblick zum Fernsehen in Deutschland:
Quote und Qualität - Unterschichten-Fernsehen, Alltags-, Massen- und Hochkultur - Niveauverlust, Kulturverfall, Verdummung und der hehre Anspruch, dass Fernsehen auch Bildungsfernsehen zu sein hat - Volksmusik als „Droge“

Deutschlandfunk, 24. Mai 2006, 18:40 Uhr, Sendung „Hintergrund Politik“

Wenn Quote wichtiger wird als Qualität

Programm-Politik im Fernsehen: Der Siegeszug des so genannten Unterschichten-TV

Private TV-Sender entsprechen laut Grimme-Institut nicht dem Profil von Qualitätsfernsehen. (Bild: dradio.de)
Von Rainer Link

Jedes Frühjahr werden die begehrten Grimme-Preise für besondere Leistungen im TV-Bereich verliehen. Nur ein einziger landete bei einem Privatsender. Eine Überraschung ist das nicht: Private Programmgestaltung verfolgt als oberstes Ziel, teure Werbezeiten in einem attraktiven Umfeld zu vermarkten. Allein danach richtet sich das Programmangebot. Manche nennen das Ergebnis Unterschichten-Fernsehen.

Jedes Frühjahr werden die begehrten Grimme-Preise für besondere Leistungen im TV-Bereich verliehen. 14 Preise für das Fernsehjahr 2005, 13 gingen an öffentlich-rechtliche Sender, ein einziger Grimme-Preis landete bei einem Privatsender.

Also, wenn im Augenblick nichts da ist, können wir auch nichts auszeichnen, nur um zu sagen, wir wollen die Privaten dabei haben,

kommentiert Uwe Kammann, Direktor des Grimme-Instituts, dieses eindeutige Ergebnis. Aber auch mit der Programmpolitik von ARD und ZDF im Fernseh-Bereich sind die unabhängigen Juroren nicht rundum zufrieden. Die öffentlich-rechtlichen Sender versteckten ihre Programmperlen und brächten stattdessen massengeschmäcklerische Boulevardthemen in die Hauptsendezeit am Abend, in die so genannte Primetime. Der eigentliche Programmauftrag des gebührenfinanzierten Fernsehens würde auf ein Nebengleis verschoben, befürchten Kritiker:

Es sind ja immerhin rund acht Milliarden Euro. Da lässt sich schon einiges auf die Beine stellen. Man darf nicht alleine das Hauptprogramm sehen bei ARD oder ZDF. Man muss eben die Spartenkanäle auch sehen, sie gehören dazu. Und wenn man in einen Buchladen geht, wird auch nicht jeder sagen, ich bemesse die Qualität des Buchladens nach den Grabbeltischen, die ganz vorne sind.

Dass die privaten TV-Sender den Qualitätskriterien des Grimme-Instituts in aller Regel nicht entsprechen können, ist nicht neu und auch nicht überraschend. Private Programmgestaltung verfolgt stets und als oberstes Ziel, teure Werbezeiten in einem attraktiven Umfeld zu vermarkten. Danach - und nur danach - richtet sich das Programmangebot. Manche nennen das Ergebnis Unterschichten-Fernsehen. Denn nahezu alle kultur-pessimistischen Befürchtungen gegenüber privaten Anbietern scheinen sich zu bestätigen. Beispiel - Talkshow:

„Schwule sind für mich krank“ - „Äh, ein Mann ist ein Mann und eine Frau ist eine Frau“, „Bist du denn generell gegen schwule Männer?“ - „Schwul ist für mich krank, generell.“

Zwar haben die pöbelnden Nachmittags-Talkshows ihr Publikum mit dem immer gleichen Vorurteilsmaterial übersättigt und sich von selbst erledigt, stattdessen führt jetzt an gleicher Stelle ein halbes Dutzend Fernseh-Schnellrichter vor, wie Justiz nicht funktionieren dürfte. Strafrechtspflege in den Taktzeiten der Werbeindustrie. Laut, schrill und - unglaubwürdig:

Die Angeklagten Lyda Wallenstein wird folgendes zur Last gelegt. In der Nacht vom 26. Auf den 27. September 2002 schlich sich die Angeklagte auf den Herzberger Friedhof in Kassel, grub den Leichnam ihres drei Tage zuvor bestatteten Freundes Viktor Freimann aus und öffnete den Sarg und begann mit der Durchführung satanischer Rituale.

Und wenn bei „RTL“ eine „Super Nanny“ Problemkinder und deren Familien vorführt, reicht der Aufreger sogar fürs Abendprogramm. Pädagogik der zweifelhaften Art im Fünf-Minuten-Takt:

Gleich bei der Super-Nanny: Dominik zeigt sich uneinsichtig. Und: Katja muss hinter Gitter. Wird Dominik im Gefängnis zur Vernunft kommen?

Von einem zunehmenden Niveauverlust lasse sich nicht sprechen, sagt Professor Knut Hickethier, der als Medienwissenschaftler seit vielen Jahren das deutsche Fernsehgeschehen verfolgt, denn die Privaten hätten von Anfang an auf einfache Kost gesetzt:

Sie kommen neu auf den Markt, sie versuchen Randzonen zu nutzen. Sie haben mit Softpornos gearbeitet, mit einem Konfrontationstalk, mit ganz vielen neuen Formen, haben immer wieder auch den Geschmack verletzt. Denken Sie nur an „Tutti-Frutti“ von RTL.

Der idealtypische Zuschauer der privaten Fernsehsender hat sich auf dieses Unterhaltungskonzept bislang eingelassen. Die Einschaltquoten stimmen, die Erlöse auch. Das Privatfernsehen hat sich in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten seine eigene Zielgruppe geschaffen; in allen Sendeformaten, vor allem aber in den Nachmittagssendungen. Warnungen vor Niveauverlust, Kulturverfall und Verdummung sind allgegenwärtig. Dennoch beobachtet Knut Hickethier die Entwicklung des privaten Fernsehens eher entspannt:

Das hat offensichtlich ein Publikum erreicht, das sehr viel Zeit am Tage hat, ich sag´s mal ganz schlicht: Arbeitslose. Und hier - das muss man auch sehen - hat das Fernsehen eine integrative Funktion. Es absorbiert Arbeitslosigkeit, es befriedet auch sozusagen diesen ganzen Bereich. Sie müssen sich einfach nur mal vorstellen: Die gleiche Arbeitslosenzahl ungefähr zum Ende der Weimarer Republik hat zu großen Straßendemonstrationen, zu großer Instabilität der Systeme geführt. Also, da hat das Fernsehen - kann man sagen - eine Befriedungsfunktion.

Wer kritisiert eigentlich noch den häufig die Grenze zum Unerträglichen überschreitenden Flachsinn? Von den unabhängigen Landesmedienanstalten - einst angetreten privat veranstaltetes Radio und Fernsehen zu kontrollieren - ist selten etwas zu hören. Gegen all zu viel trash - also frei übersetzt: Müll - verschafft sich mit ihren Warnungen ausgerechnet die Werbebranche zunehmend Gehör. Wer nämlich für Markenprodukte werben will, braucht ein halbwegs seriöses Programmumfeld, erklärt Marcel Loko, Geschäftsführer einer bundesweit tätigen Werbeagentur:

Der bekannteste trash ist ja 'Big Brother', das ist einfach abgesonderter Müll von Leuten, die so wenig zu tun haben, dass sie meinen, ein Jahr oder drei Monate im Fernsehen verbringen zu müssen. - Wenn ich für Mercedes Werbung mache, kann ich nicht in Big Brother rein, das würde dann am Ende meinem Marken-Image schaden.

Ein völlig niveaufreies Programm mag zwar viele Zuschauer binden, wenn aber zugleich die Werbe-Erlöse nicht stimmen, nützt die Einschaltquote den Programmverantwortlichen der Privatsender gar nichts.

Man sagt bei uns in der Branche: Zahnpasta, Waschmittel, billigere Schokolade und solche Produkte, die passen natürlich dann zu Sendungen, wo dann letztlich - um ein Harald Schmidt Zitat zu nutzen - Unterschichtenfernsehen stattfindet, also so rabiat muss man das leider sehen, auch wenn das politisch ein wenig unkorrekt klingt. Es gibt eben ein Unterschichtenfernsehen mit einem Unterschichtenprogramm, und da werbe ich letzten Endes für Produkte, wo dann es teilweise um zehn Cents oder 20 Cents Marge geht.

Eine Kritik an den Programmen des Privatfernsehens findet in den Feuilletons deutscher Qualitätszeitungen kaum statt. Zu trivial sind sie offenbar, zu simpel, zu kommerziell, als dass man sich damit auseinandersetzen möchte. - In der „Frankfurter Allgemeinen“, der „Frankfurter Rundschau“ oder der „Süddeutschen Zeitung“ ist über die Programme von ARD-Anstalten und des ZDF Lobendes eher selten zu lesen. Kritik - oft harsche Kritik - dominiert die Print-Kommentare zum Fernsehgeschehen. So spricht beispielsweise die Süddeutsche Zeitung von „Süßstoff - Offensive“ des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, der Spiegel von der „Klippschule total“. Und in einem mit „Die Quoten-Idioten“ überschriebenen Leitartikel der „Zeit“ rechnet auch Feuilletonchef Jens Jessen mit den Programmachern ab. Zitat:

Das Publikum abstimmen zu lassen, provoziert in den Anstalten die Mentalität von Dealern, die beliebig gefährlichen oder verdummenden Stoff anbieten, wenn er nur zuverlässig süchtig macht.

Die Fernsehchefs - so Jessen - stürzten sich in boulevardeske Seichtigkeit statt zu fragen:

Was müssen wir tun, was ist eine gute Sendung, was ist unsere Verantwortung, was ist unser Bildungsauftrag? Sondern einfach finden, wenn das viele Abnehmer findet, dann ist das auch in Ordnung. Und diesen Charakter haben plebiszitäre Diktaturen auch, der Herrscher denkt dann, wenn 90 Prozent des Volkes mir zujubelt, dann ist das, was ich mache, in Ordnung.

Gegen den Begriff „Quoten-Idioten“ wehrt sich Volker Herres, Fernsehchef des Norddeutschen Rundfunks. Er findet ihn unzutreffend und verletzend.

Dass wir kritisch begleitet werden - manchmal nach unserem Geschmack auch mit ungerechtfertigter Kritik - dass wir so begleitet werden, zeigt, dass es an uns immer noch doch erhebliche Erwartungen gibt. Das ist ja erst mal dialektisch gesehen etwas Erfreuliches. Ich find das schön, dass Feuilletonisten das Fernsehen eher kritisch begleiten, hat, glaub ich, auch etwas mit der deutschen Unterscheidung zwischen Hochkultur und Alltagskultur, Massenkultur zu tun. Zeitungsleute haben immer so ein bisschen auch auf das Fernsehen herab geschaut.

Qualität und Quote sind für den NDR Fernsehchef kein natürliches Gegensatzpaar. Während der Hauptsendezeiten des Ersten Programms sei eine hohe Einschaltquote geradezu notwendig. Denn:

Sie ist ein wichtiges Kriterium von zweien. Es ist ein Kriterium, das sehr unterschiedlich zu gewichten ist, wir machen ja auch Programme ganz gezielt für Minderheiten. Wir sind sehr aktiv bei „arte“, wir liefern dem Kinderkanal sehr engagiert zu, auch „phoenix“, das sind Programme, wo die Quote eine sehr viel geringere Rolle spielt, als beim nationalen Vollprogramm wie dem Ersten. Das Erste muss in der Spitze der großen Programme mitspielen können, auch quantitativ.

Anders formuliert lautet die Philosophie: Man soll die Menschen dort abholen, wo sie stehen, also Sendungen anbieten, die die Zuschauer intellektuell nicht überfordern, sie aber auch nicht unterfordern. So sähe das ideale Programm aus - jedenfalls in der Theorie. Dagegen Jens Jessen:

Wer sind die Leute, die man abholen will? Wir alle wissen, dass unsere Gesellschaft stark segmentiert ist, und es gibt die verschiedensten Bildungsniveaus ... Und ganz augenscheinlich dient diese Argumentation ja nur dazu, das unterste Segment der Bevölkerung anzusprechen. Das ist das eine Bedenkliche. Das andere ist, dass man offenbar von diesem Segment ganz außergewöhnliche Anspruchslosigkeit und Dummheit voraussetzt, was ich zunächst mal menschlich nicht schön finde - dem liegt so ein gewisser Zynismus zugrunde - was aber zum anderen auch so einen Effekt der negativen Verstärkung ...auslöst, indem man nämlich das Niveau der Sendung senkt, und dann bekommt man vielleicht immer noch nicht genug Zuschauer, dann senkt man es noch mal ab. Am Ende wissen die Zuschauer vielleicht gar nicht mehr, dass ihnen vielleicht Intelligenteres entgeht.

Jürgen Bertram arbeitete fast sein gesamtes Berufsleben für das öffentlich-rechtliche Fernsehen; lange Zeit war er Asien-Korrespondent für die ARD. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland war er über die Programme seines Arbeitgebers erstaunt und entsetzt:

...Als ich nach 15 Jahren Korrespondententätigkeit zurückkehrte, ging es... um Fragen, wie platzieren wir wieder einen Film über Königin Elisabeth, ..., wie bringen wir noch mehr Volksmusik ins Programm. ... Es gibt keine Programmschiene, die sich so revolutionär, und zwar in Richtung Boulevard entwickelt hat, wie gerade die dritten Programme. Ich meine, es führt in Richtung Boulevard und damit auch Verdummung der Zuschauer. Ich finde, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine Unschuld in dieser Hinsicht verloren hat, und dass es einen falschen Weg geht.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren radikal verändert. Dafür ist auch, aber nicht nur die Konkurrenz der Privaten verantwortlich. „Arte“, „3-sat“ und „Phönix“ sind drei Spartensender, die auf hohem Niveau kulturelle und politische Themenbereiche abdecken. Naturgemäß sind ihre Einschaltquoten gering, ihr Renommee aber hoch. Das hochwertige Angebot dieser Spartensender sorgt anscheinend dafür, dass sich das Erste, das Zweite und die Dritten Programme von so genannten „schwierigen Themen“ entschlacken dürfen und sie sich ganz dem Populären widmen können. Gern auch leicht, aber keinesfalls seicht - dieser Devise folge laut Volker Herres das Abendprogramm des Ersten Deutschen Fernsehens noch immer. Der Bildungs- und Informationsauftrag würde nach wie vor erfüllt - und zwar vorbildlich erfüllt unter den Bedingungen einer neuen Konkurrenzsituation:

Wenn Sie die aktuellen Zahlen nehmen, hat das Erste Deutsche Fernsehen über vierzig Prozent Informationsanteil, das ist das stärkste Genre im Ersten. Die Zuschauer des Ersten widmen den größten Teil der Zeit, die sie mit diesem Programm verbringen nach wie vor Informationssendungen.

Aber nicht so sehr die absolute Sendeminutenzahl der Informationsprogramme steht in der Kritik, sondern die Qualität der Information selbst. Viele Beobachter, die dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen Verflachung vorwerfen, zielen mit ihrer Kritik auf die Vermischung von Information und Unterhaltung, die zum so genannten „infotainment“ mutiere. Das Talkshow-Geplaudere eines Reinhold Beckmann oder eines Johannes B. Kerner mit nicht immer ernstzunehmenden Gästen lasse sich - entgegen dem Anspruch - wohl kaum als Informationssendung akzeptieren. Ernsthafte ARD-Informationssendungen dagegen, wie zum Beispiel die politischen Magazine „Monitor“, „Panorama“ oder „Fakt“, haben die Programmverantwortlichen vor kurzem um ein Drittel gekürzt, während die inflationäre Vermehrung von Volksmusikabenden in den Primetime-Programmen unübersehbar ist. - Mehr Musikantenstadel, weniger Monitor - manch besorgter Beobachter bezeichnet diesen Ansatz bereits als kulturelle Barbarei.

Unabhängig davon, ob diese Sendungen gern und viel gesehen werden oder nicht, es handelt sich um absolut reaktionäre Musik und auch Texte. Es führt, um mal Adorno zu zitieren, zu einer Regression des Hörens, das heißt, wer sich nur noch berieseln lässt, diese wirklich tumben Melodien und Texte, der verliert irgendwann die Fähigkeit, sich mit differenzierten Melodien zu beschäftigen. Das heißt, hier wird ganz klar der Bequemlichkeit, dem Idyll und wie ich meine auch der Verdummung zugeliefert. Ich würde jetzt nicht sagen, man darf so etwas nicht senden, aber da diese Sendungen wie eine Droge wirken, würde ich schon dafür plädieren, mit dieser Droge etwas sparsamer umzugehen.

Aber das Gebührenzahlende Fernsehpublikum verlangt eher nach mehr als nach weniger Volksmusik, wollen einschlägige Studien herausgefunden haben. Carolin Reiber, Karl Moik und Florian Silbereisen sind unangefochtene Unterhaltungsstars, Quotenbringer vor allem bei so genannten „bildungsfernen Schichten“ aber auch bei der älteren Generation. Musikalische Heimattümelei ist preiswert zu produzieren und findet zuverlässig ihr Publikum. Die Einschaltquoten des MDR, der als das Epizentrum der Volkmusik im ARD-Verbund gilt, sprechen da eine deutliche Sprache. Zweifellos wird mit der Dirndl- und Lederhosen-Musik ein Bedürfnis bedient. Dies aber verbietet Häme gegenüber dieser Zielgruppe, findet der Medienwissenschaftler Knut Hickethier:

Es gibt auch ein breites Publikum, das hat Anspruch, dass es auch von den öffentlich-rechtlichen Sendern bedient wird. Das sind eben andere Kommunikationsansprüche als das, sagen wir mal, mit einer Peter Stein Inszenierung, zehn Stunden, in irgendeinem Kulturprogramm zu befriedigen ist.

Einerseits ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen per Staatsvertrag verpflichtet, seriöse Informationssendungen zu produzieren, also folgt man der Verpflichtung - zeigen aber will man die Filme eigentlich lieber nicht, jedenfalls keinem breiten Publikum. Jürgen Bertram:

Das ist die Furcht, dass diese Sendungen nicht genügend Quote bringen, deshalb versteckt man sie in der Mitternachtsschiene. Das ist aber eine sehr zynische Annäherung an das Publikum, denn man unterstellt der Masse, dass sie zu einer guten Sendezeit nicht in der Lage ist, auch Qualität zu konsumieren. Wie ich finde, eine Verachtung des Publikums, zu dessen Aufklärung die Öffentlich-Rechtlichen expressis verbis beitragen sollen. Das heißt, die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind gerade zu verpflichtet, Qualität auch zur Hauptsendezeit zu produzieren.

Wir verstecken unsere Perlen nicht. Wir haben zum 80. Geburtstag von Siegfried Lenz "Der Mann im Strom" verfilmt. Das lief um 20 Uhr 15. Besser kann man ja etwas nicht platzieren gegen Fußball UEFA-Cup im ZDF und hatte die höhere Einschaltquote. Solange wir so etwas machen, machen wir alles richtig,

ist sich NDR-Fernseh-Chef Herres sicher. - Der hehre Anspruch aus den Gründerjahren, dass Fernsehen auch Bildungsfernsehen zu sein hat, wird heute auf den wirklich attraktiven, weil weit reichenden Sendeplätzen nicht mehr wahrgenommen. Wer dies beklagt, muss nicht konservativ oder gar rückwärtsgewandt sein, sagt ZEIT-Feuilletonchef Jens Jessen. Dieser Anspruch sei vielmehr zeitlos und übergeordnet:

Das Niveau zu heben, Menschen zu bilden, ganz allgemein, sozusagen etwas zu tun, die Schichtenspezifik von Bildung zu unterlaufen. Und jedermann die Möglichkeit zu geben, etwas Vernünftiges zu hören oder zu sehen. Es gibt schon einzelne - nicht alle, aber einzelne - Intendanten, die das auch so sehen, aber auch mit einer Art Wehmut und Resignation sich diesem Appell an den ursprünglichen Auftrag ihrer Sender anhören, also das Gefühl von Ohnmacht und Schwäche wird einem da sehr stark vermittelt.

Das Grundverständnis wandelte sich in den zurückliegenden Jahren von einem Fernsehen, das sich zunächst aus einem Bildungs- und Kulturauftrag ableitete hin zu einem Fernsehen, das sich als aktiver Teilnehmer des Marktgeschehens versteht, das in einer Konkurrenzsituation, bei der verschiedene Anbieter um Marktanteile kämpfen, bestehen will. Während dieses Prozesses ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen zweifellos schneller und moderner geworden. Es hat dabei aber auch alte Tugenden verloren. Die Devise „kürzer, schneller, häufiger“ führt zu einem Verschleiß, der geradewegs den Merkmalen einer auf alsbaldigen Verbrauch gepolten modernen Konsumgesellschaft entspricht.

Stimmt die These also doch, dass früher - vor dem Aufkommen der privaten Konkurrenz und der digitalen Technik - das Fernsehen besser, niveauvoller, bildender, ja sogar unterhaltsamer war? Medienwissenschaftler Knut Hickethier schüttelt den Kopf:

Ja, Gott, das ist die Kulturkritik seit Plato. Früher war immer alles besser, und so ist es auch heute. Das kann ich nicht teilen.

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Süddeutsche Zeitung, 22. März 2006