Das GANZE Werk - Presseschau

Frankfurter Rundschau, 4. Oktober 2007

Zitate:
(Ö1, das ist ein) Radio, das sich nicht so einfach nebenbei hören lässt - und deshalb erfolgreich ist. (Ö1-Chef) Alfred Treiber stellt fest: „Die Leute sind zunehmend ganz wild darauf, etwas zu lernen.“
Ö1 sendet aber auch lange Formate. „Die Leute sind nicht so verblödet, dass sie nicht mehr länger als acht Minuten zuhören können“, so Treiber: „Für ein intelligentes Publikum stimmt das so nicht.“

Gutes Programm machen und darüber sprechen

Es klingt ganz einfach, aber es ist eine Rarität: Vor vierzig Jahren ging Ö1 auf Sendung, das erfolgreichste Kulturradio Europas

Von Fritz Wolf

Der Programmchef hieß Übelhör und seine Postadresse lautete Taubstummengasse. Das war Anfang der sechziger Jahre. Solche Scherze erlaubt die Realität sich gern in Österreich. Man könnte auch sagen: Ein solches Radio brauchte nicht nur eine neue Adresse, sondern eine ganze Reform. Ihr ansehnlichstes Kind wurde das Kulturradio Ö1.

Vorausgegangen war das Rundfunkvolksbegehren von 1966, das den ORF aus dem Klammergriff der Parteien befreite. Mit Gerhard Bacher kamen ein konservativer, aber experimentierfreudiger Intendant und junge, ehrgeizige Redakteure ins Funkhaus. Ö1 und das Popradio Ö3 wurden als „Strukturprogramme“ konzipiert, zielgruppenorientiert und im Angebot klar sortiert. Das war damals neu, und der ORF war unter den ersten - mit der BBC - die ihre Programme in diesem Sinn reformierten. Ö1 sollte der Sender der kulturellen Vielfalt werden.

Von wegen kleine Minderheit

Und weil jeder Anfang erstmal schön ist, machten die Autoren und Redakteure Programm zunächst nach eigenen Interessen. Traf es den Geschmack des Publikums, umso besser. Inzwischen gibt die Programmforschung das Maß vor. Vor vierzig Jahren dachte man auch noch, Kulturradio sei nur für eine kleine Minderheit. Heute geht Ö1-Chef Alfred Treiber davon aus, dass 15 Prozent der Bevölkerung potenziell an einem Kulturprogramm interessiert sind. Die peilt er an. Angekommen ist Ö1 im 40. Jahr bei einer Tagesreichweite von 8,8 Prozent: 650.000 Hörer. So viel hat „France Culture“ in ganz Frankreich. Damit ist Ö1 das erfolgreichste Kulturprogramm in Europa.

Hier sollen die Hörer alles finden, was sie brauchen. Am erfolgreichsten sind die Informationsjournale morgens, mittags, abends. Um sie herum gruppiert ist Vielfalt in strengem Schema. Ökologie und Natur am Morgen, Bildung am Vormittag, politisches Feature, Hörspiele am Abend, Literatur gern in Lesungen, eine lange Wissenschaftssendung. Radio, das sich nicht so einfach nebenbei hören lässt - und deshalb erfolgreich ist. Alfred Treiber stellt fest: „Die Leute sind zunehmend ganz wild darauf, etwas zu lernen.“

Kurze Formen sind in Ö1 besonders beliebt. „Betrifft Geschichte“ etwa. Jeden Wochentag fünf Minuten Historie, ein Thema pro Woche. Listig ist das vor dem Abendjournal programmiert, da sind die Hörer aufnahmebereit. Ö1 sendet aber auch lange Formate. „Die Leute sind nicht so verblödet, dass sie nicht mehr länger als acht Minuten zuhören können“, so Treiber: „Für ein intelligentes Publikum stimmt das so nicht.“

Klassische Musik spielt eine zentrale Rolle. Im Sommer wird der Sender einfach zum Festspielsender umdefiniert. Dazu kommen für junge Hörer Weltmusik, Jazz, eigene Veranstaltungen.

Ein Grund für den Erfolg ist freilich prosaisch: Ö1 bemüht sich auch um so etwas Banales wie Kundenbindung. „Das Produkt muss stimmen, das ist die Grundlage, aber es muss auch noch verkauft werden“, sagt Treiber. Die Idee zu einem Radioclub hat er beim Schweizer DRS2 abgekupfert. Heute hat der Ö1-Club 50.000 Mitglieder, die für kleine Beiträge ein sehr informatives Programmheft bekommen und vergünstigte Eintrittspreise für Konzerte. Diese Hörer sind das Rückgrat des Senders. (...)

Lesen Sie auch aus der Frankfurter Rundschau:
Kultur zum Frühstück
Der so überraschende wie verdiente Erfolg der Hörfunkwelle hr2 Kultur
Deutliche Erfolge des Einschaltprogramms, Frankfurter Rundschau, 18. März 2008