Das GANZE Werk - Presseschau

Deutschlandfunk, 3. April 2012 · 18:40 bis 19.00 Uhr, Sendung „Hintergrund“

Zitate (Ausschnitte vom letzten Teil):
„Fernsehen war immer auch die Stimme des Meisters, die Stimme der Autorität, und da hat das Privatfernsehen einen vollkommen neuen Ton angeschlagen, einen Ton, der natürlich sofort auch Gegenstand der Kritik wurde, aber es war ein frecher Ton, es war eine vollkommen neue Buntheit, wenn man so will auch Unverantwortlichkeit, und das hat viele Menschen zunächst schockiert, dann fasziniert und ist letztlich zu einem Element des Pluralismus geworden.“
Doch dieser Pluralismus benötigte einen bundeseinheitlichen Rahmen. Auch wenn Rundfunk Ländersache ist, musste sowohl das öffentlich-rechtliche System geschützt als auch den Privatsendern ein einheitlicher Rechtsrahmen zur Verfügung gestellt werden.
Zentrale Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender sei die Grundversorgung, meinten die Karlsruher Richter. Die kommerziellen Sender wollten und könnten diese weder herstellen noch garantieren. Sie finanzierten sich eben ausschließlich aus Werbung.
Der Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens, vor 25 Jahren von den Ministerpräsidenten der Bundesländer unterzeichnet, trug diesem Urteil Rechnung. Er ordnete die Rundfunklandschaft des Dualen Systems.

Vor 25 Jahren wurde der Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens unterzeichnet

Öffentlich-rechtlich vs. privat

Ausführlicher Überblick über 80 Jahre Rundfunkgeschichte

Von Brigitte Baetz

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Mit der Verabschiedung des

„Staatsvertrags zur Neuordnung des Rundfunkwesens“

am 3. April 1987 sollte die Koexistenz von öffentlich-rechtlichem und privatem Fernsehen in geregelte Bahnen gelenkt werden. Der Unterzeichnung ging allerdings ein jahrelanger Konflikt voraus - mit vielen politischen und bürokratischen Hürden.

„Man kann einen solchen Kompromiss nur zustande bringen, wenn die eine Seite der anderen entgegenkommt, und ich bin sehr froh darüber, dass jetzt beides in einem ausgewogenen Verhältnis ist: die Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und eine wirklich faire Chance für die Privaten.“

Es war eine schwere politische Geburt gewesen, auch wenn man es aus den versöhnlichen Worten des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau nicht unbedingt heraushören konnte. 16 Verhandlungsrunden benötigten die bundesdeutschen Länderchefs für den „Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens“, der am 3. April 1987 unterzeichnet wurde. Er schrieb nach jahrelangem Tauziehen die sogenannte „Duale Rundfunkordnung“ fest, also das geregelte Nebeneinander zwischen den öffentlich-rechtlichen Sendern und kommerziellen Anbietern.

Die Neuordnung des deutschen Rundfunksystems, die Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht 1983 als „eine Sache, größer als Gorleben“, bezeichnet hatte, war von Anfang an mehr als ein politischer Verwaltungsakt: Sie glich streckenweise einem Kulturkampf, der von Entscheidungen der höchsten deutschen Gerichte flankiert und mitgesteuert wurde. Während die eine Seite dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einseitige Berichterstattung vorwarf und privaten Unternehmern Zugang zu einem neuen Wirtschaftszweig ermöglichen wollte, fürchtete die andere Seite kulturelle Verflachung und den Einfluss von Wirtschaftsinteressen auf die öffentliche Meinungsbildung.

Rundfunk war schon immer ein Politikum gewesen. Den Vätern des Grundgesetzes, aber auch den Medienoffizieren der alliierten Besatzungstruppen war nach 1945 noch in den Ohren geklungen, wie Reichspropagandaminister Joseph Goebbels das Radio missbraucht hatte. Dies sollte mithilfe einer staatsfernen Rundfunkordnung in Westdeutschland nicht noch einmal passieren.

Mit dem Siegeszug des Fernsehens in die bundesdeutschen Wohnzimmer Mitte der 50er-Jahre wuchsen jedoch die Begehrlichkeiten der politischen Parteien. Wer den Rundfunk beherrscht, so die Vorstellung dahinter, der beherrscht auch die öffentliche Meinung. Vor allem der Union waren große Teile des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein Dorn im Auge. Schon Konrad Adenauer beklagte eine Einseitigkeit in der Berichterstattung:

„Das ist eine Hinterlassenschaft der englischen Besatzung. Damals glaubte sie, sie würde demokratisch handeln und der Demokratie helfen, wenn sie die öffentliche Meinung möglichst in die Hände der SPD gäbe. Und an dieser harten Nuss knabbern wir jetzt noch.“

Der Versuch des ersten deutschen Kanzlers, 1961 mit der Deutschland-Fernsehen GmbH unter Mithilfe von Verlegern und Privatinvestoren ein Gegengewicht zur ARD zu schaffen, wurde allerdings vom Bundesverfassungsgericht durchkreuzt. Rundfunk müsse weiterhin eine Sache der Länder, gleichwohl staatsfern, bleiben. Damit wurde der föderalen Kontrolle für ein Zweites Deutsches Fernsehen der Weg geebnet, das analog zur ARD öffentlich-rechtlich organisiert wurde.

Die besondere Stellung des Rundfunks ergab sich auch aus den begrenzten Sendekapazitäten. Meinungsvielfalt durch ein großes Senderangebot analog zum Zeitungskiosk war somit nicht durchführbar. Erst mit den rasanten Fortschritten in der Satellitentechnik und der Möglichkeit zum Kabelempfang begann eine internationale Entwicklung, die auch Auswirkungen auf die deutsche Rundfunkpolitik hatte.

Zumal die Kritik der Union an den ARD-Anstalten während der Jahre der sozialliberalen Koalition noch weiter zunahm. Flankiert wurde diese Kritik von der Annahme der Demoskopin Elisabeth-Noelle-Neumann, die Regierungsfreundlichkeit der Massenmedien habe der SPD den Wahlsieg 1976 gesichert.

„Musik Panorama. Am Abend kam es zu einer regelrechten Schlacht um das schwer befestigte Gelände in Brokdorf. Dieses nächtliche Bürgerkriegsspektakel aber darf nicht die Aufmerksamkeit von der eindrucksvollen Massendemonstration am Nachmittag ablenken. Obwohl die Polizei die Zufahrtsstraßen noch im Vorfeld kilometerweit abgeriegelt hatte, erreichten etwa 25.000 Demonstranten aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Holland und Dänemark in stundenlangen Fußmärschen den Bauplatz.“

Die ersten schweren Auseinandersetzungen um das Kernkraftwerk Brokdorf führten in der innenpolitisch aufgeheizten Situation während der zweiten Hälfte der 70er-Jahre zu verschärfter Kritik vor allem der unionsgeführten Regierungen von Schleswig-Holstein und Niedersachsen am - wie es hieß - „Gesinnungsjournalismus“ des NDR. Am 9. Juni 1978 erklärte der Sender in eigener Sache:

„Wie in seiner Regierungserklärung im Juli 1977 angekündigt, hat Ministerpräsident Stoltenberg heute morgen die Kündigung des Staatsvertrages über den NDR bekannt gegeben und Grundzüge einer Neuordnung der Rundfunkanstalt erläutert.“

„Die schwere Finanzkrise des NDR erfordert zwingend neue staatsvertragliche Regelungen, um die Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Anstalt zu gewährleisten. Die in einzelnen Bereichen mangelnde Programmausgewogenheit macht eine Erweiterung und Verdeutlichung der im Staatsvertrag festgelegten grundsätzlichen Aussagen über das Programm notwendig.“

Der NDR war eine Anstalt der drei Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg. Der zweitgrößte Sender der ARD hatte damals 78 Millionen DM Schulden, zudem fühlten sich Schleswig-Holstein und Niedersachsen in der Berichterstattung zu wenig gewürdigt.

Mehr Vielfalt an Meinung, mehr Vielfalt bei den Anbietern war das Ziel - das kurzfristig zu scheitern schien, als das Bundesverwaltungsgericht 1980 entschied, dass der NDR trotz der Kündigung des Staatsvertrages durch Schleswig-Holstein weiter Bestand habe.

Die drei betroffenen Regierungschefs Stoltenberg, Klose und Albrecht einigten sich daraufhin auf einen neuen Staatsvertrag. Er führte getrennte Landesprogramme ein - und trug der hartnäckigen Verhandlungsführung Ernst Albrechts Rechnung:

„Für uns sind besonders wichtig: der Wegfall der Monopolklausel, das heißt die Möglichkeit, ein zusätzliches Fernseh- und Hörfunkangebot unseren Bürgern zu bieten, ganz gleich, ob das nun in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Form geschehen wird, darüber entscheiden dann die Landtage.“

Ernst Albrecht hatte die Weiterführung des NDR-Staatsvertrages so lange zur Disposition gestellt, bis Hamburgs Bürgermeister Hans-Ulrich Klose seine Bedenken und die Linie seiner Partei, der SPD, aufgab. Mit dem Wegfall der Monopolklausel war der Weg frei für kommerzielle Rundfunkprogramme im Gebiet des NDR. Zumal sich inzwischen die technische Möglichkeit ergab, mittels Übertragung via Satellit und Breitbandkabel zusätzliche Fernsehprogramme flächendeckend zu verbreiten. Während Kanzler Helmut Schmidt sich noch vehement gegen kommerzielle Programme ausgesprochen hatte, weil er eine Absenkung des Niveaus befürchtete, versprach Helmut Kohl nicht nur die geistig-moralische, sondern auch die rundfunkpolitische Wende.

„Guten Abend, liebe Zuschauer. Ich begrüße sie zur AFP-Blick-Nachrichtensendung um halb sieben.“

Über sogenannte Kabelpilotprojekte ließen einzelne Bundesländer die Möglichkeiten und die Akzeptanz kommerziellen Fernsehens austesten. Parallel begann die Verkabelung der Republik, vorangetrieben von Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling.

„In Berlin wurde heute das letzte der vier Kabelpilotprojekte gestartet.“

„Man hat natürlich gesehen, dass überall in der übrigen Welt Kabel und Satelliten eingeführt wurden.“

Christian Schwarz-Schilling, Postminister unter Kanzler Helmut Kohl.

„Die Ministerpräsidenten haben Jahre gebraucht, bis sie überhaupt so ein Pilotprojekt zustande gebracht haben, weil die sich nicht einigen konnten, an welchen Stellen, das waren ja auch medienpolitische Standortentscheidungen. Das Wichtigste wurde dann wohl Ludwigshafen/Mannheim, weil dann dort auch Private zugelassen worden sind und von dort aus dann zum ersten Mal Privatprogramme legitim in Deutschland produziert, in ein Kabelpilotprojekt eingespeist wurde.“

Am 1. Januar 1984 ging in einem Kellerstudio in Ludwigshafen/Mannheim die Programmgesellschaft Kabel und Satellitenrundfunk, kurz PKS, auf Sendung. Dahinter verbarg sich ein Konsortium deutscher Zeitungsverleger - und der Münchener Filmhändler Leo Kirch, der parallel zu seinen Geschäften mit dem ZDF auch dem neuen rheinland-pfälzischen Privatsender sein Filmarchiv zur Verfügung stellte. Der erste Mann und wichtigste Manager der PKS Jürgen Doetz war zuvor Regierungssprecher des Landes Rheinland-Pfalz gewesen.

„Guten Morgen, meine Damen und Herren, Ihnen allen wünscht die PKS ein glückliches und erfolgreiches neues Jahr. Für die Weiterentwicklung des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland ist dies heute ein ganz besonderer Tag.“

Es begann die Ära des privaten Rundfunks in Deutschland. Ein Jahr später wurde der Sender PKS in Sat.1 umbenannt. Bernhard Vogel, der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, war höchst zufrieden:

„Ein hervorragender Schritt für den deutschen Zuschauer, ein hervorragender Schritt für die deutsche Wirtschaft und für die deutsche Technik, gerade weil die Ministerpräsidenten zu Ende des Jahres 1984 sich nicht geeinigt haben, ist es gut, dass von Ludwigshafen aus die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass wir die Zukunft nicht verschlafen, sondern dass wir in den Wettbewerb, auch in den internationalen Wettbewerb eintreten und dann ein Stück mehr Meinungsfreiheit in Deutschland gesichert ist.“

Nach und nach gaben die Ministerpräsidenten der SPD ihre ablehnende Haltung gegen das kommerzielle Fernsehen auf. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die ein prosperierender Privatfunk versprach, dämpften die Ängste vor einer möglichen Verflachung des Programms und eines Einflusses von Wirtschaftskreisen auf die öffentliche Meinung. Rundfunkpolitik sollte in den folgenden Jahren vor allem Standortpolitik werden. Die Errichtung von Sendestudios wurde deshalb mit Ländermitteln gefördert.

Auch der Regierungschef von Niedersachsen, Ernst Albrecht, war 1985 zum Start von SAT.1 geladen:

„Ich freu mich richtig, denn 1979 hab ich wohl als Erster begonnen den Weg freizuschaufeln für privaten Rundfunk, für Fernsehen und Hörfunk und jetzt ist es soweit. Ich bin überzeugt, dass unsere Zuschauer sich freuen werden, dass sie nun auch ein zusätzliches Programm empfangen können. Ich hoffe, dass es in seiner Qualität jedem Wettbewerb standhält, hab eigentlich keinen Zweifel daran.“

In seinen Anfangszeiten war das kommerzielle Fernsehen allerdings erst einmal im Wortsinn Garagenfernsehen - mit wenig Infrastruktur und technischem Know-how. Jürgen Doetz, lange Jahre Geschäftsführer von SAT.1, erinnert sich:

„Da galt es erst einmal, uns überhaupt zu etablieren. Wir hatten drei Wochen die Lizenz, als wir an den Sendestart gingen, meine Moderatorin war 14 Tage vor Sendestart noch arbeitslose Junglehrerin des Landes Rheinland-Pfalz, ich hatte eine Truppe von vielleicht 20 Leuten, von denen vielleicht vom Fernsehen die Hälfte überhaupt eine Ahnung hatte, da hatten wir einen ganz anderen Blickwinkel, als man das heute so vermutet.“

Entsprechend bieder startete das Programm auch, von nicht wenigen Kritikern bespöttelt.

„Etwas besinnlicher, deshalb aber nicht weniger unterhaltsam geht es zu in unserem Frauenmagazin. Und was den Damen recht ist, ist den Herren natürlich billig. M heißt die Sendung, die sich mit allem beschäftigt, was Männern Spaß macht. Den Begriff Talkshow kennen Sie, meine Damen und Herren. Wie frech und kompromisslos eine Talkshow sein kann, das lernen Sie bei uns kennen und zwar jeden Freitag. Ebenfalls Freitags servieren wir Ihnen das Extrablatt von SAT.1, und da gibt es Tipps, Trends und Leute, Leute, Leute.“

Ebenfalls leicht unbeholfen startete RTL plus, der zweite große Anbieter, zunächst noch aus Luxemburg mit seiner ersten Nachrichtensendung 7 vor 7 mit Geert Müller-Gerbes.

„Jedenfalls freuen wir uns, dass Sie eingeschaltet sind und jetzt also das erste Mal: 7vor7 in unserem, in Ihrem Programm. Einen wunderschönen Abend, zu Hause. Unsere Schlagzeilen: Telefonieren teurer, Gas aus Sibirien, Alexis Korner tot. Mit mir im Studio: Hans Meiser und Björn Schimpf.“

Konnte man diese Konkurrenz mit ihrer bemüht wirkenden Lockerheit ernst nehmen? Viele Verantwortliche in den öffentlich-rechtlichen Sendern taten sich damit schwer. Und auch die Berufskritiker der Presse konnten der Billigmischung aus Gewinnspielen, amerikanischen Serien und unprofessionell wirkenden Nachrichten nichts abgewinnen. Aber im Privatfernsehen zählen in erster Linie die Quoten, und die schossen schon bald in die Höhe.

Der Sender RTL, inzwischen in Köln angesiedelt, verfügte über keinen großen Filmstock, wie ihn Leo Kirch dem Konkurrenten SAT.1 zur Verfügung stellte. Er musste sich anders durchsetzen und Geschäftsführer Helmut Thoma machte aus der Not eine Tugend.

„RTL ist eigentlich groß geworden, weil wir eine neue Zielgruppe entdeckt haben: den Zuschauer.“

„Ein neues Chin-Chin-Ballett mit den wirklich süßesten Früchten, am Freitag um 23.05 Uhr bei RTL plus.“

„Wie sieht eigentlich Ihre ideale Brust aus?“

„Na ja, ich sag mal, eine Handvoll.“

Mit Sex und Krawall, mit Sendungen wie „Tutti-Frutti“, „Alles nichts, oder?“, aber auch radikalen Polit-Talkshows wie dem „Heißen Stuhl“ brach RTL unzählige Tabus - und machte sich selbst zum eindeutigen, wenn auch umstrittenen Marktführer. Die kommerziellen Sender krempelten die Fernsehlandschaft um, getreu dem Ausspruch von RTL-Geschäftsführer Thoma: Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Jürgen Doetz von SAT.1:

„Das ‚Tabubrechen’ hatte zwei Wurzeln, die eine Wurzel heißt: aus der Not eine Tugend machen. Wir hatten keine großen Shows, wir konnten keine Stars bezahlen. Das heißt: Wir mussten billig machen, und das waren dann eben so Crash-TV-Versuche oder ‚Einspruch!’ bei SAT.1 mit Ulli Meyer. Das Zweite war: Man merkte, das erregt die deutsche Bevölkerung in einem Ausmaß, das man das wirklich nutzen kann, das war uns gar nicht so bewusst.“

Das Auftreten der kommerziellen Sender war aber nicht nur ein Stein des Anstoßes für viele Kulturkritiker. Es brachte auch, so der Medienwissenschaftler Norbert Bolz, frischen Wind in die Rundfunklandschaft.

„Fernsehen war immer auch die Stimme des Meisters, die Stimme der Autorität, und da hat das Privatfernsehen einen vollkommen neuen Ton angeschlagen, einen Ton, der natürlich sofort auch Gegenstand der Kritik wurde, aber es war ein frecher Ton, es war eine vollkommen neue Buntheit, wenn man so will auch Unverantwortlichkeit, und das hat viele Menschen zunächst schockiert, dann fasziniert und ist letztlich zu einem Element des Pluralismus geworden, der heute aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken ist.“

Doch dieser Pluralismus benötigte einen bundeseinheitlichen Rahmen. Auch wenn Rundfunk Ländersache ist, musste sowohl das öffentlich-rechtliche System geschützt als auch den Privatsendern ein einheitlicher Rechtsrahmen zur Verfügung gestellt werden.

Zumal das Bundesverfassungsgericht 1986 ein weiteres wegweisendes Urteil fällte. Es gab der Klage von 200 SPD-Bundestagsabgeordneten statt, die gegen das Niedersächsische Mediengesetz geklagt hatten. Der Plan Ernst Albrechts, Privatsender durch ein Landesministerium lizenzieren zu lassen, verstoße gegen das Gebot der Staatsferne des Rundfunks.

Und das Gericht ging noch weiter. Es verfügte eine Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, denn, so Vizepräsident Roman Herzog in der Urteilsverkündung:

„Die Programme privater Anbieter vermögen der Aufgabe umfassender Information nicht im vollen Ausmaß gerecht zu werden. Zum anderen ist damit zu rechnen, dass die Rundfunkprogramme privater Anbieter Informationen nicht in der vollen Breite der Meinungen und kulturellen Strömungen vermitteln werden.“

Zentrale Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender sei die Grundversorgung, meinten die Karlsruher Richter. Die kommerziellen Sender wollten und könnten diese weder herstellen noch garantieren, auch wenn es aufgrund der technischen Entwicklung keine wirkliche Knappheit an Sendefrequenzen mehr gebe, sprich: eine Vielzahl an Sendern existieren könnte. Sie finanzierten sich eben ausschließlich aus Werbung.

„Die Anbieter stehen deshalb vor der wirtschaftlichen Notwendigkeit, möglichst massenattraktive, unter dem Gesichtspunkt der Maximierung der Hörer und Zuschauerzahlen erfolgreiche Programme zu möglichst niedrigen Kosten zu verbreiten.“

Der Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens, vor 25 Jahren von den Ministerpräsidenten der Bundesländer unterzeichnet, trug diesem Urteil Rechnung. Er ordnete die Rundfunklandschaft des Dualen Systems und verfügte in der Präambel:

„Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind Bestand und weitere Entwicklung zu gewährleisten. Dazu gehört seine Teilhabe an allen neuen technischen Möglichkeiten zur Verbreitung von Rundfunkprogrammen und die Erhaltung seiner finanziellen Grundlagen einschließlich des dazugehörenden Finanzausgleichs.“

Der Staatsvertrag legte die Finanzierung von ARD und ZDF fest und schuf die Grundlage für den Kulturkanal 3sat und die erlaubten Werbeunterbrechungen. Gleichzeitig etablierte er das bis heute gültige Aufsichts- und Lizenzierungswesen für den kommerziellen Rundfunk. Zwei Prozent der Rundfunkgebühren werden dafür zur Verfügung gestellt, also für die Landesmedienanstalten als Aufsichtsbehörden, aber auch für eine verbesserte Infrastruktur und die Errichtung sogenannter Offener Kanäle für mehr Bürgerbeteiligung am Fernsehen.

Eines konnte jedoch auch der Staatsvertrag nicht verhindern: dass das kommerzielle Fernsehen in Deutschland sich in Richtung Duopol entwickelte: die RTL-Senderfamilie auf der einen und die ProSieben.SAT.1-Gruppe auf der anderen Seite. Und: dass sich öffentlich-rechtliche Programminhalte denen der kommerziellen Sender in großen Teilen angepasst haben, es also kein Nebeneinander der Systeme gibt, sondern einen Wettbewerb.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Deutschlandfunks – © 2012 Deutschlandradio